
Die Bundestagsfraktion der Grünen soll Einfluss auf die Bundesregierung genommen haben, um den türkischen Journalisten Can Dündar beschleunigt einbürgern zu lassen. Dies zeigen interne Mails, die NIUS exklusiv vorliegen. Dündar arbeitet mittlerweile für das Medienportal Correctiv. Involviert in den Fall ist auch das Haus der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien (BKM), Claudia Roth.
Dündar ist ein unbeugsamer Kritiker des türkischen Präsidenten Erdogan, wird in der Türkei für seine kritische Berichterstattung verfolgt. 2015 wurde er Chefredakteur der Zeitung Cumhuriyet. Für einen Bericht der Zeitung im selben Jahr über Waffenlieferungen der türkischen Regierung an Rebellen in Syrien wurde Dündar in der Türkei zu hohen Haftstrafen verurteilt: 2016 zu über fünf Jahren wegen Geheimnisverrats, vier Jahre später wurde die Strafe auf über 27 Jahre wegen Spionage und Terrorunterstützung aufgestockt. Dündar lebte zu diesem Zeitpunkt längst nicht mehr in der Türkei: Er war 2016 ins deutsche Exil geflohen, nachdem ein Attentäter während eines Gerichtstermins versucht hatte, auf ihn zu schießen.
Journalist Can Dündar.
In Deutschland schrieb Dündar unter anderem eine Kolumne für die Zeit, leitet heute das deutsch-türkische Projekt Özgürüz des Medienportals Correctiv, für das er im Auftrag des SWR für den Jugendkanal Funk auch ein TikTok-Format mit dem Namen „Türkei100“ verantwortet. Und hier wird es in mehrfacher Hinsicht politisch brisant. Denn erstens ist es bemerkenswert, dass Dündar nach seinem Kampf gegen das türkische Regime nun ausgerechnet ein Format für das von der Kommunistischen Partei Chinas kontrollierte Medium TikTok produziert. Und zweitens wird Correctiv unter anderem aus Steuermitteln finanziert (rund 2,5 Millionen Euro seit 2014) und spielt eine wichtige Rolle bei der Diskreditierung der Opposition durch die Regierung.
Im Januar hatte das Portal die Geheimplan-Recherche über ein Treffen rechter Akteure in Potsdam veröffentlicht, bei dem angeblich die massenhafte Deportation von Migranten aus Deutschland geplant worden sei. Im Nachhinein stellte ein Gericht fest, dass es sich bei diesem Vorwurf lediglich um die Meinung der Correctiv-Journalisten handelte, nicht um eine belegbare Tatsache. Allerdings hatte Correctiv so geschickt Parallelen zum Nationalsozialismus gezogen, dass in der Folge Millionen Deutsche auf die Straße gingen, um „gegen Rechts“ und ein Erstarken der AfD zu demonstrieren. Auch die Regierung bezog sich noch Monate später auf vermeintliche Remigrations-Pläne der AfD, obwohl diese längst widerlegt waren.
Correctiv inszenierte die Geheimplan-Recherche wie ein Theaterstück, teilte das Geschehen in Akte und Szenen auf.
Ein Journalist, der in der Türkei Teil der Opposition war, arbeitet also in Deutschland für ein staatlich finanziertes Medium, das die Opposition mit unlauteren Mitteln diskreditiert, und soll nun auf Betreiben einer Regierungspartei beschleunigt eingebürgert werden. Ein Vorgang, der Fragen aufwirft.
NIUS blickt auf die Verstrickungen hinter dem Einbürgerungs-Verfahren.
Am 6. August wendet sich der Justiziar der Grünen-Bundestagsfraktion, Michael Schlikker, an die persönliche Referentin von Kulturstaatsministerin Roth, Claudia Frenzel-Müncheberg, um die Einbürgerung von Dündar voranzutreiben. Schlikker hat drei Vorlagen für Anschreiben verfasst, auf denen Roth nur noch unterschreiben und ihren Briefkopf einfügen soll. „Hier schonmal auf die Schnelle eine Skizze (nicht Korrektur gelesen), bevor ich in den Urlaub verschwinde“, schreibt Schlikker an Frenzel-Müncheberg.
Das Schreiben von Schlikker an Frenzel-Müncheberg.
Die vorformulierten Anschreiben richten sich an Dündar selbst sowie an die zwei zuständigen Senatoren in Berlin: Iris Spranger, Senatorin für Inneres und Sport, und Joe Chialo, Senator für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Joe Chialo und Iris Spranger, Berlins Senatoren für Kultur bzw. Inneres.
In den Anschreiben wird begründet, warum in Dündars Fall ein „besonderes öffentliches Interesse an der Einbürgerung“ bestehe. Schlikkers Ziel ist es, eine sogenannte Ermessenseinbürgerung zu erwirken. Auf diese Weise werden etwa Spitzensportler oder herausragende Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Kultur oder Medien beschleunigt eingebürgert. Ein durchaus übliches Verfahren – fragwürdig ist aber, dass die Fraktion einer Regierungspartei ihren Einfluss auf ein Haus geltend macht, das von derselben Partei geführt wird.
Can Dündar und seine Frau Dilek Dündar werden beim Bundespresseball 2023 von Claudia Roth begrüßt.
Schlikker gibt den Anschreiben, die er für Claudia Roth vorformuliert, einen persönlichen Anstrich. So legt er der Kulturstaatsministerin gegenüber Dündar folgende Worte in den Mund:
„Gerne bestätige ich lhnen für die von mir geleitete oberste Bundesbehörde, dass an lhrer Einbürgerung ein ‚besonderes Einbürgerungsinteresse‘ (im Sinne von Nr. 8.1.3.5 der VAH-STAG des Bundesministeriums des Innern) besteht. Dieses besondere Interesse gründet in lhrer herausragenden Rolle als eine journalistische Stimme der Freiheit in der deutschen Medienlandschaft.
Unbeugsam haben sie sich in der Türkei trotz unberechtigter Strafverfolgung für die Werte des freien Westens und für die Presse-, Kunst- und Meinungsfreiheit eingesetzt. Dass Sie – um dem türkischen Verfolgungsdruck zu entgehen – Deutschland als das Land ausgewählt haben, in dem und von dem aus Sie nun auf höchstem journalistischem Niveau den Kampf für diese Werte – die nicht zuletzt die Werte des Grundgesetzes sind – weiterführen, freut mich außerordentlich.
Noch größer ist meine Freude, dass Sie sich für den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch Einbürgerung entschieden haben. Denn damit werden sie zur dauerhaften Stimme der Freiheit in unserem – hoffentlich bald auch rechtlich – gemeinsamen Land. Dass die deutsche Medienlandschaft ein Interesse daran hat, Stimmen wie die Ihre hier zu halten, liegt auf der Hand.
Abschließend wünsche ich lhnen persönlich alles Gute und ihrem Einbürgerungsantrag einen möglichst schnellen Erfolg.“
Diesen Brief soll Roth an Dündar senden, bittet Grünen-Justitiar Schlikker.
An die Senatorin Spranger soll Roth nach dem Willen des grünen Justitiars schreiben:
„Anliegend gebe ich lhnen mein Schreiben an Can Dündar zur Kenntnis, mit dem ich diesem ein besonderes offentliches Interesse an seiner Einbürgerung bescheinige. Wenn Sie Möglichkeiten sehen, das Einbürgerungsverfahren, das Herr Dündar wohl demnächst einleiten will oder bereits eingeleitet hat, unter diesem Gesichtspunkt zu beschleunigen und die Einbürgerung zu erleichtern, sollte mich das sehr freuen.“
Diesen Brief an Innen-Senatorin Spranger hat Schlikker vorformuliert.
Bei Senator Chialo soll Roth bitten:
„Wenn Sie Möglichkeiten sehen, das Begehren zu unterstützen, würde mich das sehr freuen.“
Der Brief, den Roth an Kultur-Senator Chialo schicken soll.
In Claudia Roths Haus ist man mit diesem Vorgehen offenbar nicht einverstanden und versendet die von Schlikker formulierten Anschreiben nicht. Die Pressestelle von Chialo zumindest gibt an, ein solches Anschreiben nicht bekommen zu haben. Das Haus von Spranger schreibt: „Von einer Einbürgerung eines Journalisten namens Can Dündar ist der Senatsverwaltung für Inneres und Sport nichts bekannt.“
Auch aus den internen Mails geht hervor, dass Claudia Roths Mitarbeiter Bedenken haben. Roths persönliche Referentin Frenzel-Müncheberg antwortet Schlikker am 14. August wie folgt:
„Nach Rücksprache hier müssen wir es doch etwas formalisieren. Dazu wäre gut, wenn wir eine offizielle Anfrage für die Unterstützung der Einbürgerung von Can hätten, wo bestenfalls auch schon gern ausführlich die Gründe drin stehen, warum er eingebürgert werden sollte (z.B. wegen der Bedrohung in der Türkei etc. wegen seines Engagements hier). Zudem wäre gut zu wissen, ob er seine Einbürgerung (mit Aktenzeichen etc) schon beantragt hat. Es gilt hier etwas auch den formalen Weg zu wahren für mögliche spätere Anfragen etc und im Sinne einer Transparenz.“
Frenzel-Müncheberg schreibt an Schlikker.
Im Haus der Kulturstaatsministerin ist man sich offenbar dessen bewusst, wie ungewöhnlich und intransparent der Vorgang ist – und dass die Einflussnahme den Beteiligten später um die Ohren fliegen könnte. Frenzel-Müncheberg drängt darum darauf, „etwas auch den formalen Weg“ zu wahren, sich also zumindest dem Anschein nach an die geltenden Regeln zu halten, „für mögliche spätere Anfragen“ und „im Sinne einer Transparenz“. Dündar soll darum eine fingierte Anfrage bei Roth einreichen, deren Inhalte Roths Referentin im Vorhinein Schlikker diktiert.
An diesem Gemauschel nimmt anscheinend sogar Dündar selbst Anstoß. Jedenfalls meldet sich Schlikker am 29. August bei Frenzel-Müncheberg zurück: „Nochmals Dank für die Unterstützung. Ich habe ihm übermittelt, dass Ihr gerne noch ein Schreiben mit der Bitte um Unterstützung zur Vervollständigung Eurer Akte hättet. Ich denke, ich werde ihn beruhigen müssen, dass das nicht nach Vitamin B aussieht...“
Gleichzeitig schlägt Schlikker dem Haus von Roth vor, mit welcher Strategie es die Einbürgerung von Dündar vorantreiben soll, und verweist dabei auf seine frühere Tätigkeit in der Ministerialverwaltung:
„In der Sache würde ich – auch vor dem Hintergrund meiner langjährigen früheren Tätigkeit in der Ministerialverwaltung – dazu raten, dass Ihr (Claudia) Euch in Eurem Schreiben nicht zu seinen Motiven zur Einbürgerung (das dürften die üblichen sein; etwa: volle demokratische Teilhabe, Sicherheit des Aufenthalts – der vor dem Hintergrund seiner Verfolgung in der Türkei natürlich wichtig ist) verhaltet, sondern zu dem, was Euch hier als oberste Bundesbehörde obliegt: Bestätigung eines öffentlichen Interesses an der Einbürgerung.“
Schlikker antwortet Frenzel-Müncheberg.
Nach Informationen von NIUS war geplant, Dündars Anfrage gemeinsam mit den vorformulierten Anschreiben an die beiden zuständigen Senatoren zu senden. Diese, so erfuhr NIUS von einer Quelle, sollen vorab mündlich darüber informiert worden sein. Inwiefern die Einbürgerung tatsächlich weiter vorangetrieben wurde, bleibt unklar. Auf die Frage, ob eine mündliche Absprache stattgefunden habe, schreibt die Berliner Senatsvewaltung für Inneres: „Dazu liegen keine Informationen vor.“ Dündar selbst reagierte auf Anfrage von NIUS nicht. Auch die grüne Bundestagsfraktion sowie ihr Justitiar Schlikker antworteten NIUS nicht. Roths Haus lässt auf Anfrage wissen:
„Kulturstaatsministerin Claudia Roth kennt in der Regel nicht und kannte auch in diesem Fall nicht einzelne Mails von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ihrer Behörde. Sie war aber über den Vorgang informiert, dass es eine Anfrage für einen unterstützenden Brief von ihrer Seite für eine Einbürgerung in Deutschland von Herrn Can Dündar gibt, der seit 2016 in Deutschland lebt und als Journalist arbeitet. Grundsätzlich wäre es auch Sicht von Kulturstaatsministerin Claudia Roth ein richtiges politisches Signal und im höheren politischen Interesse Deutschlands, gerade in diesen Zeiten einen unerschrockenen Journalisten, der für den Kampf für die Freiheit der Presse und des Wortes steht und der dafür europaweit zum Symbol geworden ist, hier einzubürgern. Sie hat deshalb ihr Haus gebeten, die rechtlichen Möglichkeiten und Grenzen zu prüfen, inwieweit sie und ihr Haus eine solche Einbürgerung mit einem unterstützenden Brief rechtskonform unterstützen könnten.“
Roth geht also sicherheitshalber zum Inhalt einzelner Mails auf Distanz. Man darf vermuten, dass sie den Eindruck verhindern möchte, die Details des Falls zu kennen. Denn damit würde sie eingestehen, im Bilde darüber zu sein, dass ihr Haus Dündar zu einer fingierten Anfrage animierte.
Dass es sich bei Dündar um einen verdienten Journalisten handelt, dessen Einbürgerung aus deutscher Sicht wünschenswert erscheint, ändert nichts daran, dass das Vorgehen sowohl der Grünen als auch Claudia Roths irritiert. Gerade bei der beschleunigten Einbürgerung von Journalisten sollten Parteien besonders darauf achten, dass nicht der Eindruck entsteht, man gewähre politisch genehmen Journalisten eine Bevorzugung. Doch dieser Eindruck scheint sogar bei Dündar selbst entstanden zu sein.
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