
Eine gute Geschichte erzählt man selten chronologisch. In diesem Fall schon. Denn der Vorgang, um den es geht, gleicht einer hübschen Moritat in drei Akten und einem Epilog.
Dresden, mitten im vergangenen Bundestagswahlkampf. Am 30. August 2024 tritt der damalige Bundeswirtschaftsminister, Vizekanzler, Bundestagsabgeordnete und „Kanzlerkandidat“ der Grünen, Robert Habeck, in einem Kino auf.
Dort sagt er, jeder wisse, dass AfD und BSW von Moskau bezahlt würden. Das berichten übereinstimmend mehrere Augen- und Ohrenzeugen. Die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Sächsischen Landtag, Franziska Schubert, stellt einen Videomitschnitt von dem Auftritt ins Netz. Die Tonqualität ist schlecht, die betreffende Passage ist deshalb schwer zu verstehen. Gut zu hören sind aber die Vorwürfe Habecks, AfD und BSW würden sich „für ihre Meinung bezahlen lassen“, „Troll-Armeen aufbauen“ und „im Internet Stimmen kaufen“.
Sahra Wagenknecht, die Vorsitzende vom „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW), erstattet wegen der öffentlichen Behauptungen Strafanzeige gegen Habeck. Zuständig ist die Staatsanwaltschaft Dresden, denn dort sind die Äußerungen ja gemacht worden. Für die Justizbehörde besteht der Anfangsverdacht auf Verleumdung gegen politische Personen nach Paragraf 188, Absatz 2 des Strafgesetzbuches, und sie eröffnet ein Ermittlungsverfahren. Außerdem wollen die Staatsanwälte gegen Habeck auch wegen übler Nachrede gegen Politiker ermitteln (§ 188 Abs. 1 StGB).
Wenn ein Staatsanwalt gegen einen Abgeordneten ermitteln will, weil der Verdacht auf eine Straftat besteht, muss er deshalb erst beim Bundestag die Aufhebung der Immunität des betreffenden MdB beantragen. Darüber berät dann der Immunitätsausschuss des Bundestages und gibt eine Empfehlung ab. Über die stimmt danach das gesamte Parlament ab. Meist wird dabei den Empfehlungen des Ausschusses gefolgt.
Ermittlungen gegen MdBs passieren öfter, als man vielleicht denkt. Der 19. Deutsche Bundestag hat in seiner Amtsperiode von 2017 bis 2021 allein 25-mal die Immunität eines Abgeordneten aufgehoben. Das Parlament hat in seiner Geschäftsordnung (Anlage 6) sogar eine Generalklausel festgeschrieben: Demnach dürfen Staatsanwaltschaften grundsätzlich gegen MdBs ermitteln, wenn das Bundestagspräsidium mindestens 48 Stunden vorher informiert wird. Das gilt für die meisten Straftatbestände. Ausgenommen sind Klageerhebungen, Strafbefehle oder Verhaftungen. Dafür muss immer im Einzelfall die Immunität eines Abgeordneten vom gesamten Bundestag aufgehoben werden.
Die Verleumdung gegen politische Personen (§ 188 Abs. 2 StGB) fällt unter die oben beschriebene Generalklausel – Ermittlungen wegen übler Nachrede gegen Politiker (§ 188 Abs. 1 StGB) dagegen nicht. Hier ist erst die ausdrückliche Aufhebung der Immunität durch den Bundestag nötig.
Am 5. Juni 2025, einem schönen Donnerstag, findet sich nachmittags um 16.00 Uhr der Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zu seiner dritten Sitzung in der noch jungen Legislaturperiode zusammen. In Saal 4800 des Paul-Löbe-Hauses liegt dem Ausschuss der Antrag der Staatsanwaltschaft Dresden auf Aufhebung der Immunität des Abgeordneten Habeck zwecks Ermittlungen wegen übler Nachrede gegen Politiker nach § 188 Abs. 1 StGB vor.
Der Ausschuss (Drucksache 21/389) gibt dem Bundestagsplenum folgende Beschlussempfehlung:
„Die Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens gegen das Mitglied des Deutschen Bundestages Dr. Robert Habeck gemäß Schreiben des Bundesministeriums der Justiz vom 11. März 2025 – II B 1 – 1044/1E(303)-21 8/2025 – wird nicht erteilt.“
In derselben Sitzung – kurz zuvor, unter den Tagesordnungspunkten ZP 14 und ZP 15 – hat das Plenum übrigens die Immunität der Abgeordneten Gökay Akbulut („Linke“) und Ingo Hahn (AfD) aufgehoben. Akbulut soll in einem Zug der Deutschen Bahn einen Fußballfan vom VfB Stuttgart übel beleidigt, mit einer Flasche beworfen und über den Vorgang danach gelogen haben. Hahn soll ein Video verbreitet haben, in dem die Rede einer Politikerin der „Freien Wähler“ aus dem Zusammenhang gerissen und mit anderen Aufnahmen zusammengeschnitten worden sei.
Gegen Politiker der „Linken“ und der AfD dürfen die Staatsanwälte jetzt also ermitteln, gegen den Grünen Robert Habeck nicht. Aber das ist – selbstverständlich, natürlich, ganz sicher – bestimmt nur Zufall.
Wegen möglicher übler Nachrede gegen Politiker nach § 188 Abs. 1 StGB ist Habeck also aus dem Schneider. Wegen möglicher Verleumdung politischer Personen nach § 188 Abs. 2 StGB dürfen die Dresdner Staatsanwälte gegen den ehemaligen grünen Zampano zwar weiter ermitteln, weil für diesen Tatbestand die pauschale Immunitätsaufhebung gilt. Für eine Anklageerhebung oder einen Strafbefehl müsste die Dresdner Justiz allerdings noch einmal die Aufhebung von Habecks Immunität beantragen.
Man kann sich wohl denken, wie die „demokratische Mitte“ im Bundestag dann reagieren würde.
Robert Habeck hat „wissentlich Lügen über einen politischen Konkurrenten verbreitet“, schimpft Sahra Wagenknecht. Auch unvoreingenommene Außenstehende kommen kaum umhin festzustellen: Da ist was dran. Habeck selbst lässt mitteilen, seine Aussagen seien eine „strafrechtlich zulässige kritische Meinungsäußerung“.
So ganz sicher scheint er sich dabei aber selbst nicht zu sein: Schon im September 2023 gab er in einem zivilrechtlichen Verfahren eine Unterlassungserklärung ab und versicherte, die umstrittenen Anschuldigungen gegen das BSW nicht zu wiederholen. Selbst die grüne Partei ließ seinerzeit verlauten, Habeck habe „etwas zu sehr zugespitzt“ formuliert.
Konsequenzen daraus muss er aber nicht mehr befürchten. „Es lässt tief blicken, dass ausgerechnet Robert Habeck sich jetzt hinter der Immunität versteckt“, sagt der Parlamentarische Geschäftsführer der AfD, Stephan Brandner. Denn gerade Habeck lässt seine Kritiker besonders unerbittlich verfolgen: Während seiner Ministerzeit hat der Grüne wohl mehr als 800 Strafanträge wegen Beleidigung gestellt. Im Zweifel rückte da schon mal die Polizei morgens um sechs bei den Betroffenen zur Hausdurchsuchung an.
Normale Bürger genießen eben keine Immunität.