„Ihr hattet genug Zeit“ – wie die Kommunalwahlen NRW verändern könnten

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Bildquelle: Tichys Einblick

In einer Ära, die Jüngere im größten Bundesland nicht mehr kennen, übersetzten Sozialdemokraten das Kürzel NRW gern mit: „Noch regieren wir“. Damals verkörperten die Genossen die Macht an der Ruhr: absolute Mehrheit unter Ministerpräsident Johannes Rau, die Mehrheit in vielen Stadträten, SPD-Bürgermeister in den wichtigen Rathäusern. Das Ruhrgebiet nannten Parteianhänger und Journalisten gern „die Herzkammer der Sozialdemokratie“.

Heute steht diese Herzkammer fast vor dem Infarkt: In dem schwarz-grün regierten Land dümpelt die ehemals siegreiche SPD in Umfragen zur Landtagswahl gerade noch bei 18 Prozent. Und bei der bevorstehenden Kommunalwahl am Sonntag droht ihr auch noch ein guter Teil des ohnehin schmalen Unterbaus in Städten und Kreisen wegzubrechen. Besonders demütigend wirkt für Sozialdemokraten die Aussicht, dass in den alten und längst krisengeschüttelten Arbeiterstädten Gelsenkirchen und Duisburg Kandidaten der AfD im Bewerberfeld der Oberbürgermeisterkandidaten weit vorn liegen.

Trotz dieser Unzufriedenheit genießt der amtierende Oberbürgermeister Sören Link, 49, von der SPD noch relativ viel Zustimmung. Denn er spricht beispielsweise die schlechte Integration etlicher Migranten deutlicher an als viele Genossen in Berlin. Link findet auch, seine Partei sollte verständlich reden und „nicht alles von oben bis unten durchgendern“. Allerdings: Das zentrale Problem berührt er nicht: die systematische Erdrosselung der ehemals starken Industrie durch hohe Strompreise und CO2-Umlage. Die Stichwahl könnte auf ein Finale zwischen ihm und dem AfD-Bewerber Groß hinauslaufen. Allein schon die Aussicht, sich womöglich nur noch mit Hilfe einer Allparteienfront gegen den Herausforderer halten zu können, illustriert den Abstieg der SPD.

Die Grünen müssen am Sonntag mit einem regelrechten Einbruch in der Fläche rechnen. Bei der letzten Kommunalwahl erreichten sie landesweit 20 Prozent. Jetzt sagen ihnen die Demoskopen nur noch um die 13 voraus. Zieht man die zwei bis drei Prozentpunkte der üblichen Grün-Überbewertung in Umfragen ab, steht der Partei also möglicherweise eine Halbierung der Mandate an Rhein und Ruhr bevor. Das liegt zum einen daran, dass der Trend bundesweit und also auch in NRW gegen die Partei läuft: Die Zugkraft des Themas „Klima“ lässt merklich nach, zur Rezession beziehungsweise ihrer Bekämpfung weiß die neue Grünen-Führung noch weniger zu sagen als das frühere Parteiidol Robert Habeck.

Ihre Parolen, am Verbrennerverbot und an der Energieverteuerung durch die CO2-Abgabe dürfe nicht gerüttelt werden, passt 2025 noch schlechter in die politische Landschaft als im vergangenen Jahr. Erst recht, da sich schon ein Teil der Industrie davonmacht wie das Ford-Werk in Köln, das 2032 ganz schließt, und ein anderer wie Thyssen ums Überleben kämpft. Dazu kommen noch landesspezifische Themen, die das grüne Ergebnis am Sonntag vermutlich drücken. Zum einen trägt Flüchtlings- und Integrationsministerin Josefine Paul von den Grünen die politische Verantwortung dafür, dass sich der syrische Attentäter von Solingen, der 2024 auf einem Stadtfest drei Menschen ermordete, zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch in Deutschland befand. Denn eigentlich hätte der abgelehnte Asylbewerber nach Bulgarien abgeschoben werden müssen. Das passierte aber nicht. Paul blieb im Amt; Ministerpräsident Hendrik Wüst entließ sie aus Rücksicht auf seinen Koalitionspartner nicht.

Dieser grüne Partner setzte auch durch, dass NRW nicht wie andere Kohle-Länder erst 2038, sondern schon 2030 aus der Kohleverstromung aussteigt. Die nötigen Gaskraftwerke zum Ersatz stehen allerdings erst auf dem Planungspapier. Außerdem sollen sie nach dem realitätsfremden Wunsch der Grünen auch noch auf Wasserstoff umrüstbar sein. Woher die neuen Anlagen innerhalb von nur fünf Jahren kommen sollen, kann die Landesregierung nicht plausibel beantworten. In NRW kommt zu dem teuren Strom möglicherweise auch bald noch eine Energiemangellage, die Firmen erst recht vertreibt und Investoren fern hält.

Der AfD sagen Umfragen landesweit eine Verdoppelung der Mandate voraus. Selbst wenn sie nach dem 14. September keine Oberbürgermeister stellen wird, ziehen ihre Kandidaten also gestärkt in die Ratssäle ein. Das stellt die CDU in den Kommunen vor ein erhebliches Problem: Entweder arbeitet sie mit der Partei dann doch zusammen und beseitigt die Brandmauer – oder sie zwingt sich selbst in Bündnisse mit SPD, Grünen und Linkspartei, die dann absehbar die Richtung vorgeben.

Die Angst der anderen vor der „blauen Welle“ lässt sich mit Händen greifen. Wenige Tage vor der Abstimmung brachte das Schauspiel Köln einen Aufguss der juristisch schon reichlich zerfledderten Correctiv-Wannsee-Story auf die Bühne. Zeitgleich präsentiert „Correctiv“ selbst einen angeblichen Kronzeugen – den Influencer Erik Ahrens, früher Wahlkämpfer für die AfD, der sich mit der Partei allerdings überworfen hat, und auf X über Geldprobleme klagt. Wirken dürfte diese Offensive in letzter Minute angesichts der Probleme in dem Bundesland nur in einem Milieu, das am Sonntag die grünen sowie die linken Kandidaten ankreuzt.

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