
Respekt ist wichtig, hören wir ja überall. Aber manchmal ist das mit dem Respekt so eine Sache. Wir werden gleich sehen, warum.
Das sind die nüchternen Fakten, Teil 1:
Das Landgericht Berlin hat einen Antrag auf Erlass einer Einstweiligen Verfügung gegen den Journalisten Julian Reichelt zurückgewiesen. Der Ex-Chefredakteur der BILD-Zeitung hatte geschrieben:
„Jeder, der die Berichterstattung über den Neonazi Sven Lieblich verfolgt, kann nur zu einem Schluss kommen: Die Ampel-Regierung hat es per Gesetz geschafft, nahezu die gesamte deutsche Medienlandschaft zu zwingen, die Unwahrheit zu sagen und grotesk falsche Dinge zu behaupten. Sven Liebich ist keine Frau.“
Liebich ist ein führender Kopf Teil in der sächsischen Neonazi-Szene. Das kann man so allerdings nur zur Hälfte gefahrlos sagen: An seiner Gesinnung lässt er selbst keinen Zweifel, an seinem Geschlecht allerdings schon.
Liebich stand wegen Körperverletzung, Steuerhinterziehung, Volksverhetzung, Beleidigung und Verbreitung von verfassungsfeindlicher Propaganda mehrfach vor Gericht. Im Juli 2023 verurteilte ihn das Amtsgericht Halle zu einer Gefängnisstrafe von einem Jahr und sechs Monaten ohne Bewährung – unter anderem, weil er Baseballschläger mit der Aufschrift „Abschiebehelfer“ vertrieben hatte. Das Landgericht Halle und das Oberlandesgericht Naumburg bestätigten das Urteil, es ist rechtskräftig.
Anfang 2025, also anderthalb Jahre nach der Verurteilung in erster Instanz, hat Sven Liebich seinen Geschlechtseintrag ändern lassen. Er definiert sich jetzt als Frau, nennt sich Marla-Svenja und tritt so auf:
Seit der Namensänderung geht Liebich massenhaft juristisch gegen Nennungen des alten Namens vor. Er selbst gibt an, deshalb schon mehr als 500 Anzeigen erstattet zu haben, und nennt als Ziel 1.000 Anzeigen.
Die zweite Zivilkammer des Landgerichts Berlin hat nun Liebichs Antrag auf Erlass einer Einstweiligen Verfügung gegen Julian Reichelt für unbegründet erklärt. Zwar greife Reichelt in Liebichs allgemeines Persönlichkeitsrecht ein. Eine Äußerung, die einer Person die empfundene geschlechtliche Identität abspreche, sei geeignet, „diese Person bloßzustellen und sie auch in ihrer Lebensrealität zu verunsichern“.
Im vorliegenden Fall sei das trotzdem nicht rechtswidrig, Reichelts Recht auf Meinungsfreiheit wiege schwerer. Sein Kommentar sei eine Meinungsäußerung und „nach dem Verständnis des Durchschnittsempfängers als Kritik an der ‚Ampel-Regierung‘ zu verstehen bzw. als Kritik an dem von dieser 2024 verabschiedeten Selbstbestimmungsgesetz, aufgrund dessen die Hürden einer Änderung des Geschlechtseintrags geändert wurden“.
Das sind die nüchternen Fakten, Teil 2:
Wegen des Wechsels seines Geschlechtseintrags hat Liebich gefordert, seine Haftstrafe in einem Frauengefängnis abzusitzen. Das hatte Sachsens Justiz zunächst abgelehnt. Jetzt rudert der Freistaat zurück:
Staatsanwalt Benedikt Bernzen erklärt: „Wir prüfen das eingetragene Geschlecht und den Wohnsitz. Liebich ist formalrechtlich eine Frau und wohnt in Sachsen, sodass der sächsische Vollstreckungsplan heranzuziehen ist.“ Der sieht vor, dass Frauen grundsätzlich in der JVA Chemnitz unterzubringen sind.
Die nüchternen Fakten sind das eine. Ihre Bewertung ist etwas ganz anderes.
Was immer man von Liebich halten mag, und was auch immer für Motive dahinterstehen: Der Person gelingt es gerade, Deutschlands Justiz nach allen Regeln der Kunst vorzuführen.
Das trifft vor allem das sogenannte „Selbstbestimmungsgesetz“ (SBGG). Mit einiger Berechtigung lässt sich sagen, dass es kulturell die verheerendste Hinterlassenschaft der Ampel ist. Die einsitzenden Damen im Frauengefängnis Chemnitz kriegen sich bestimmt gar nicht mehr ein vor Freude darüber, die Gemeinschaftsdusche künftig mit Marla-Svenja teilen zu können.
Am Fall Liebich zeigt sich die ganze Absurdität des SBGG in seiner ganzen Pracht.
Auch für die Meinungsfreiheit ist das Gesetzesungetüm ein Rückschritt um mindestens anderthalb Jahrhunderte. Es zwingt uns einerseits dazu, eine juristische Fantasie („Liebich ist eine Frau“) als einzige Realität anzuerkennen. Es stellt andererseits das Aussprechen der biologischen Wahrheit („Liebich ist ein Mann“) unter Strafe.
Dass sich selbst Gerichte damit spürbar unwohl fühlen, zeigt das Verfahren um die Äußerungen von Julian Reichelt. So begrüßenswert hier das Ergebnis auch ist, weil es ein Stück Meinungsfreiheit zurückbringt, so unangenehm ist der Vorgang trotzdem.
Erstens schämt man sich geradezu dafür, dass so ein Gerichtsprozess in Deutschland im Jahre 2025 überhaupt möglich ist. Und zweitens ist der positive Ausgang überhaupt nur möglich geworden, weil die Richter in ihrer Urteilsbegründung am absolut äußersten Rand des Tragbaren balancieren.
Denn das Landgericht Berlin macht sprachlich und argumentativ sozusagen mit den Händen greifbare Verrenkungen, um im Sinne der Meinungsfreiheit entscheiden zu können. Letzterer sei eine umso höhere Bedeutung zuzumessen, „je mehr die Äußerung darauf zielt, einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung zu leisten, und umso weniger, je mehr es hiervon unabhängig lediglich um die emotionalisierende Verbreitung von Stimmungen gegen einzelne Personen geht“.
Davon steht nichts im SBGG.
Weiter begründen die Berliner Richter ihr Urteil damit, der Kommentar betreffe „eine die Öffentlichkeit wesentlich berührende Frage, die kontrovers und scharf diskutiert wird, nämlich unter welchen Voraussetzungen ein Wechsel des Geschlechts möglich ist“.
Das stimmt zwar – aber nirgendwo steht, dass deshalb das SBGG nicht mehr gilt.
Seit dem Inkrafttreten des Selbstbestimmungsgesetzes am 1. November 2024 genügt für die Änderung des Geschlechtseintrags eine einfache Erklärung vor dem Standesamt. Vorher brauchte es zwei psychiatrische Gutachten und ein familiengerichtliches Verfahren – wofür es auch gute Gründe gab, die die Ampel allesamt beiseite fegte. Jetzt gibt es weder eine Plausibilitätsprüfung noch eine Beratungspflicht.
Wie geradezu verzweifelt die Berliner Richter nach Möglichkeiten suchten, um Reichelts Kommentar durchzuwinken, zeigen viele Passagen der Urteilsbegründung. Denn zunächst verteidigt das Landgericht Berlin das SBGG: Das Absprechen der Geschlechtsidentität einer Transperson unter Nennung des Namens stelle im Allgemeinen einen „besonders intensiven Eingriff in das Persönlichkeitsrecht“ dar. Die Zuordnung eines Menschen zu einem Geschlecht „kann nicht allein nach den äußerlichen Geschlechtsmerkmalen im Zeitpunkt seiner Geburt bestimmt werden, sondern sie kann wesentlich auch von seiner psychischen Konstitution und selbstempfundenen Geschlechtlichkeit abhängen.“
Wegen der Menschenwürde und dem Grundrecht auf Schutz der Persönlichkeit sei es nötig, „dem Selbstbestimmungsrecht der betroffenen Person Rechnung zu tragen und ihre selbstempfundene geschlechtliche Identität rechtlich anzuerkennen, um ihr damit zu ermöglichen, entsprechend dem empfundenen Geschlecht leben zu können, ohne in ihrer Intimsphäre (…) bloßgestellt zu werden“.
Dann macht das Gericht eine Kehrtwende: Im Fall Liebich überwiege dennoch das Recht auf Meinungsfreiheit, denn Liebich hat nichts zu den Gründen des Geschlechtswechsels vorgetragen.“
Das allerdings verlangt das SBGG auch ausdrücklich nicht.
Je weiter man liest, desto mehr wundert man sich: Liebich sei vor dem Geschlechtswechsel „durch Teilnahme an öffentlichkeitswirksamen Demonstrationen, durch Aktivitäten in der rechtsextremen Szene, durch queer- und transfeindliche Äußerungen, durch eine Verurteilung u. a. wegen Volksverhetzung und durch die Änderung ihres Geschlechtseintrags öffentlich bekannt“ geworden.
Heißt das, dass nur Menschen ihr Geschlecht wechseln dürfen, die früher nie gegen Geschlechtswechsel waren?
Die Richter verrennen sich weiter: „Zugleich stellt der Verweis auf das Vorleben der Antragstellerin als ‚Neonazi‘ eine hinreichende Anknüpfungstatsache für die von dem Antragsgegner verbreitete Meinung dar, bei der Antragstellerin handele es sich nicht um eine Frau.“
Heißt das, dass Neonazis grundsätzlich nicht ihr Geschlecht wechseln dürfen?
Man verstehe das bitte nicht falsch: Hier soll weder Sven Liebich verteidigt werden noch das SBGG. Aber was hier völlig klar wird, ist: Dieses „Selbstbestimmungsgesetz“ ist auf allen nur denkbaren Ebenen eine Katastrophe für unser Land. Es lässt den real existierenden Rechtsstaat an seiner eigenen Absurdität zerschellen.
Irgendwann musste jemand kommen, der das – absichtlich oder nicht – vorführt.