
Das Narrativ, dass Kinder Virenschleudern und gleichzeitig eine Gefahr oder gar die direkte Ursache für den Tod ihrer Eltern oder Großeltern seien, war faktisch durch nichts zu beweisen, aber in der gesellschaftlichen Debatte, in der Politik, den Behörden, den Medien und den Schulen wirkmächtig vertreten. Das war kein Zufall, sondern politisch so gewollt. ≫Willst du, dass die Oma stirbt?≪, als geflügelte Drohung an Kinder, die nicht jede unsinnige Maßnahme und Einschränkung brav befolgen wollten. Kinder als ≫Virenschleudern≪, ≫Pandemietreiber≪ und ≫Ratten≪ im medialen Diskurs. Kinder als Gefährder der Lehrer an den Schulen, was zu sozialer Ausgrenzung, Bloßstellung und Stigmatisierung in den Klassen führte, die man getrost als ≫schwarze Pädagogik≪ bezeichnen kann.
Eine Gesellschaft, die sonst nicht laut genug nach Kinderrechten rufen kann, versank in einer kollektiven Missachtung ihrer ureigenen Aufgabe: Kinder als schwächste Mitglieder ihrer Gemeinschaft besonders zu schützen. Stattdessen waren nicht wenige gar zur Stigmatisierung ihrer Schutzbefohlenen bereit und stellten Kinder an den Pranger. Wie konnte es dazu kommen?
Dass Kinder durch das Virus nicht sonderlich gefährdet sind, war offenbar politisch eine nicht gerade willkommene Botschaft. Vielmehr gab es von Anfang an von staatlicher Seite eine gezielte Strategie der Angst-Kommunikation – auch in Bezug auf die Gefahr, die angeblich von Kindern ausgehe. Man war keineswegs dabei, die verunsicherte und verständlicherweise auch verängstigte Bevölkerung – Kinder inklusive – zu beruhigen. Das Aufrechterhalten der Angst gehörte gar essenziell zur politischen Agenda.
Ende März 2020 dringt ein ≫nur für den Dienstgebrauch≪ erstelltes, 17-seitiges Papier aus dem Innenministerium mit dem Titel ≫Wie wir COVID-19 unter Kontrolle bekommen≪ an die Öffentlichkeit, welches an das Bundeskanzleramt und weitere Ministerien verteilt wird und offenbar im Auftrag des Innenministeriums von namhaften Wissenschaftlern erstellt worden war. In den ≫Schlussfolgerungen für Maßnahmen und Kommunikation≪ wird unter Punkt 4 aufgelistet, wie staatlicherseits an die Bevölkerung kommuniziert werden soll, um Maßnahmen zu rechtfertigen. Der Absatz beginnt mit dem Satz ≫Worst case verdeutlichen!≪, und rät darunter: ≫Um die gewünschte Schockwirkung zu erzielen, müssen die konkreten Auswirkungen einer Durchseuchung auf die menschliche Gesellschaft verdeutlicht werden.≪
Die Behauptung vom Kind als Virenschleuder und fahrlässigem Gefährder selbst für die Gesundheit und das Leben der eigenen Eltern, wenn es sich auch nur unerlaubt zu Nachbarskindern zum Spielen schleicht, war von Anfang an eine empfohlene Kommunikationsstrategie, direkt verbreitet aus dem Innenministerium. (…)
Man muss es schon als bösartig bezeichnen, wenn Alexander Kekulé, Direktor des Institutes für Medizinische Mikrobiologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Mitte März 2020 in der ARD-Talkrunde Anne Will vorrechnet: ≫Ein Kind, was in München, Bayern, irgendwo in der Schule sitzt und nicht erkannt wurde als Corona-Fall, das hat acht Wochen später, wenn das so durchläuft, ungefähr 3000 Menschen infiziert.≪ Von diesen 3000, führt Kekulé weiter aus, kämen ≫vielleicht 200, 300 auf die Intensivstation, und 15 sterben. Also, für ein Kind, was wir nicht entdeckt haben≪.
Lassen wir beiseite, ob dieses Schreckensszenario überhaupt etwas mit der Realität zu tun hat. Aber: Wieso spricht er hier nur vom Kind? Jeder einzelne Mensch, der zur Arbeit geht und in einem Büro mit anderen sitzt, konnte in solch einer Argumentationskette dasselbe bewirken, jeder, der in einem Bus sitzt oder in einem Wartezimmer. Aber er greift singulär die Kinder heraus, zu einem Zeitpunkt, als er schlicht nicht einmal annähernd eine wissenschaftliche Evidenz besaß, solche Hochrechnungen zu präsentieren. Und auch später gab es die Evidenz nicht (…).
Alle, wirklich alle wissenschaftlichen Studien, auch weltweit, entlasteten bereits von Beginn an die Kinder und widersprachen im späteren Verlauf der Corona-Krise immer wieder der gewagten Hypothese, Kinder seien Pandemietreiber. Jene Länder weltweit, die Schulen und Kindergärten nicht schlossen, bewiesen ebenfalls in Echtzeit, dass es möglich war, diese Institutionen offen zu halten, ohne eine überdimensionale Gefährdung der Kinder oder der mit ihnen arbeitenden Erwachsenen zu forcieren. (,,,)
Der in jener Zeit gesellschaftlich gern zitierte Gassenhauer ≫Follow the Science≪ wurde systematisch angepasst und nur für jene mehr oder weniger wissenschaftlichen Erkenntnisse bemüht, die ins eigene Weltbild und zu den benötigten politischen Instrumentalisierungen passten, sodass alle diese Erkenntnisse nicht den geringsten Einfluss auf die weitere Kita- und Schulschließungs-Politik hatten.
Deutschland sprach politisch und auch medial weiter unverdrossen von den Kindern als Pandemietreiber und befeuerte damit die Angst vor todbringenden Kindern nicht nur in Familien, sondern auch unter pädagogischem Personal an Schulen und in Kindergärten. Es beförderte und ermutigte auch Behörden zum rigorosen Drohen und Durchgreifen im Umgang mit Kindern und Jugendlichen.
Gesundheitsminister Karl Lauterbach kam erst im November 2022 bei der Vorstellung der Ergebnisse der sogenannten ≫Kita-Corona-Studie≪ einer interministeriellen Arbeitsgruppe zum Eingeständnis, dass Kitas keine Treiber der Pandemie gewesen und die Kitaschließungen ≫aus heutiger Sicht≪ medizinisch nicht nötig gewesen seien. Wir hören es also erneut, das gern genommene, verklärende Argument, man habe die Dinge früher nicht wissen können.
Im Januar 2023 rang er sich dann im ARD-Morgenmagazin zum kryptisch formulierten Satz durch, dass es sich ≫nicht in dieser Form als richtig erwiesen≪ habe, dass Kitas und Schulen Pandemietreiber gewesen waren. In welcher anderen Form war es denn je richtig gewesen? Man folgte eben damals den Empfehlungen der ≫Wissenschaftler, die die Bundesregierung beraten haben≪, und man habe es damals ≫einfach nicht besser gewusst≪. Auch das ist schlicht nicht die Wahrheit.
Als besonders widerwärtiges Beispiel verbaler Entgleisung im medialen Diskurs um die Rolle der Kinder im Pandemiegeschehen darf sicher die ZDF Magazin Royale-Sendung vom 28. Januar 2022 gelten, in der Kinder durch Jan Böhmermann unter dem Deckmantel von Satire ganz offen mit Ratten verglichen wurden. Zitat: ≫Was die Ratten in der Zeit der Pest waren, sind Kinder zurzeit für COVID-19: Wirtstiere. Ständig infizieren sie sich mit irgendwelchen Viren, und was machen die unverantwortlichen kleinen Halbmenschen dagegen? Nix! Setzen sich jeden Tag in eiskalte Klassenräume.≪ Auch die Tatsache, dass Kinder und Jugendliche häufig nicht geimpft seien, wurde in der Sendung offen als unverantwortlich gebrandmarkt. Kinder wurden als ≫Querdenker≪ und ≫schlimmer als Aluhutträger in der sächsischen Fußgängerzone≪ beschimpft. Ja, wirklich sehr witzig. Dieser Totalausfall menschlicher Reife reichte auch im Folgejahr für eine Weiterführung der Sendung und dem Moderator für einen weiteren renommierten Grimme-Preis.
Was braucht ein krankes Kind besonders? Richtig: Zuwendung, Liebe, Trost, je kleiner Kinder sind, umso mehr. Es will auf den Arm, es weicht nicht von der Seite von Mutter oder Vater, am liebsten schläft es neben oder besser noch auf einem Elternteil. Kranke Kinder sind anhänglich und brauchen in dieser Zeit den körperlichen Kontakt ganz besonders, um gesund zu werden.
Wir sprechen hier von Kindern unter zehn Jahren, Kitakinder sind auch schon Einjährige! Kinder sollten also in ihren Zimmern ≫isoliert≪ werden, denn sonst drohten bei Zuwiderhandlungen nicht nur Zwangsgelder, sondern auch, die Kinder mit Staatsgewalt aus der Familie in einer geschlossenen Einrichtung ≫auszusondern≪, hieß es in manchen Schreiben im besten Beamtendeutsch. Als ≫seelische Grausamkeit≪ und ≫akute Kindeswohlgefährdung≪ bezeichnete hingegen damals die Mitbegründerin der Initiative ≫Familien in der Krise≪, Diane Siegloch, solche Anweisungen.
Erste Fälle solch skandalöser Schreiben wurden zunächst aus einigen Landkreisen Baden-Württembergs bekannt, danach häuften sich die Meldungen über die Drohgebärden der Behörden auch aus Hessen, Nordrhein-Westfahlen, in Niedersachsen besonders im Raum Hannover und in Mecklenburg-Vorpommern. Man kann also von einem systematischen Phänomen sprechen. Und das sind nur die medial bekannt gewordenen Fälle, weil empörte Eltern es in die Öffentlichkeit brachten.
In Bruchsal bei Karlsruhe traf es die Eltern von Viertklässlern. Bezeichnenderweise war die Lehrerin die positiv getestete Person der Klasse, die Kinder kamen dafür alle in Quarantäne, und die Eltern beglückte man zusätzlich mit der Empfehlung, die Kinder sollten zu Hause Maske tragen, bei Zuwiderhandlungen der Quarantäne-Bedingungen könnten die Kinder sonst ≫zwangsweise in einer geeigneten geschlossenen Einrichtung abgesondert≪ werden. Nach öffentlicher Empörung unter den Eltern versuchte sich das Landratsamt Karlsruhe in einer Stellungnahme um Begrenzung des Imageschadens und versicherte, das Landratsamt Karlsruhe ≫habe von dieser Regelung im Falle von COVID-19 bisher keinen Gebrauch gemacht≪. Und an die Trennung des Kindes von den Eltern sei hier überhaupt nicht gedacht gewesen, wenn es nötig werden sollte, ≫ein Kind zum Schutz anderer zu isolieren, wurde es zusammen mit den Eltern untergebracht≪. Man droht also genau genommen der ganzen Familie mit Unterbringung in einer externen Isolationseinrichtung, wenn sie nicht gehorchen, denn Kinder und ihre Eltern sind ja bereits bestens zu Hause gemeinsam untergebracht. (,,,)
Das Bundesgesundheitsministerium, damals noch unter Jens Spahn, fühlte sich für Presseanfragen zum Thema grundsätzlich nicht zuständig und verwies an die Länder. Von der damaligen Ministerin für Kinder und Jugendliche, Franziska Giffey, sonst immer lautstarke Verfechterin von ≫Kinderrechten≪, wenn es darum geht, diese ins Grundgesetz und damit unter die Definitionsgewalt des Staates zu stellen, war ebenfalls kein Wort zu diesen skandalösen Drohungen gegen Kinder und ihre Eltern zu hören.
Ein Wort noch an dieser Stelle zum Thema ›Kinderrechte ins Grundgesetz‹, da sich in der Politik hartnäckig die Erzählung halt, Kinderrechte in der Verfassung seien ein besonderer Schutzstatus der Kinder und der Staat könne diese viel besser garantieren, wenn sie Verfassungsrang hätten.
Gerade die Corona-Zeit bewies das Gegenteil! Das Einzige, was sich mit Kinderrechten im Grundgesetz im Land ändert, ist der weitere Übergang der Definitionshoheit, was dem Kindeswohl entspricht und was nicht, von den Eltern weg hin zum Staat. Es ist also eine Entrechtung der Eltern und ein Eingriff in das Erziehungsrecht der Eltern. Ein Staat, der all diese Eingriffe in die Rechte der Kinder als vereinbar mit dem Kindeswohl hält, versagt nicht nur auf voller Linie, sondern ist sogar Feind der Kinder, deren einziger Schutz in solchen Situationen die Eltern bleiben. In einem Staat, der glaubt, Kinderrechte auch an Eltern vorbei definieren zu können, hätte es vielleicht gar dem Kindeswohl gedient, sie zwangsweise zu impfen – auch gegen den Willen renitenter Eltern.
Jede Zumutung geht im Namen der Kinderrechte, wenn die Eltern als Instanz ausgeschaltet werden. Und es geht noch schlimmer: In einem solchen Staat drohen Eltern das Erziehungsrecht zu verlieren, wenn sie sich dem ≫Segen≪ staatlicher Schutzmaßnahmen widersetzen, weil man ihnen daraus den Strick dreht, sie würden sich gegen das Wohl ihrer Kinder stellen. Die Drohungen deutscher Gesundheitsämter sind der beste Beweis, dass es offenbar keine Skrupel gibt, wenn ein Staatsapparat erst einmal glaubt, uneingeschränkte Macht zu besitzen.
Gekürzter Auszug aus: Birgit Kelle / Eva Demmerle, Die Corona Generation. Wie unsere Kinder um ihre Zukunft gebracht wurden. Mit einem Vorwort von Kristina Schröder, Bundesministerin a. D. Deutscher Wirtschaftsbuch Verlag, Klappenbroschur, 272 Seiten, 20,00 €.