
Es ist eines der neueren Phantasmen der politischen Verfassungsgeschichte, dass die Justiz eine Art Chefkontrolleurin der Macht sei und in allen politischen Fragen das letzte Wort haben soll, so wie jetzt in den USA, wo sich die Trump-Regierung aktuell gegen rund 100 Klagen zur Wehr setzen muss. Mehr als 20 Mal urteilten Richter, meist nachgeordnete Bezirksrichter, gegen politische Dekrete des Präsidenten. Es geht dabei etwa um die Abschaffung des automatischen Geburtsrechts für Kinder von (auch illegalen) Zuwanderern, um die Effizienzbehörde DOGE oder darum, die Entlassung von Staatsdienern und Angestellten zu verhindern.
Es ist natürlich legitim, politische Entscheidungen vor Gericht zu überprüfen – zumal, wenn sie willkürlich und am kurzfristigen Eigeninteresse der Regierenden orientiert sind (siehe Berlin und die Causa „Neuer und alter Bundestag“). In vielen anderen Fällen wird man den Eindruck nicht los, dass viele Bürger etwas bequem geworden sind und sich selbst gar kein Urteil mehr zu bilden versuchen. Sie delegieren ihr politisches Urteil an Staatsanwälte und Richter, vergleichbar einem Nachbarschaftsstreit über Herbstlaub oder Fallobst, der mangels geteiltem Common Sense vor dem Richterstuhl endet. Im Alltagsleben würde man das vermutlich als Niederlage ansehen, auch wegen der Unkosten eines Prozesses. In der Politik wird das Verfahren immer beliebter und als Krönung der eigenen Ambitionen gesehen, vor allem, wenn gute Argumente für oder gegen eine Politik fehlen.
Das merkt man auch vor Wahlen, wo immer, wenn etwas gar nicht gewollt ist, ein quasi-juridisches Brimborium darum herum gestaltet und aufgeführt wird, wonach diese für manch einen Parteimann unerwünschte Sache auch rechtlich gar nicht möglich sei. Als Beispiel fällt zuerst der striktere Umgang mit der illegalen Zuwanderung ein, dem immer wieder alle möglichen „rechtlichen“ Einwände entgegengehalten werden, mit Vorliebe natürlich „völkerrechtliche“ oder „europarechtliche“, ganz so, als ob Abmachungen zwischen Staaten über dem Recht stünden, das sich die Bürger selbst in einem Staat gegeben haben.
Auch in den USA geht es derzeit darum, wer die Zügel des Staates in der Hand hält. Und es ist passenderweise ein Jurist, den Trump dieser Tage von seinem Amt entbinden wollte: Hampton Dellinger ist Special Counsel im „U.S. Office of Special Counsel“, das heißt, er ist der Leiter dieser Stelle. Deren Name klingt byzantinisch genug, und sie wurde auch erst 1979 – also relativ spät gegenüber der Verfassung von 1776 – gegründet. Ihre Aufgabe ist es, über die Personalpolitik der US-Regierung zu wachen. So schaut sie darauf, dass kein Staatsdiener bevorzugt oder benachteiligt oder zu einer politischen Handlung getrieben wird oder selbst in Vetternwirtschaft verstrickt ist. Der Special Counsel ist also Aufseher der Arbeitgeber- wie der Arbeitnehmerseite und soll allgemein für Fairness sorgen.
Dass Dellingers Entbindung nun ein solches Politikum geworden ist – bis hin zum vergröbernden provinziellen ZDF und seinem ewig-besserwisserischen Korrespondenten Elmar Theveßen –, liegt aber nur daran, dass einige nicht wollen, dass sich an der Personalpolitik des Bundesstaats, vielleicht auch der Korruption, die sich eingenistet hat, etwas ändert. Das legte jedenfalls die Sprecherin des Weißen Hauses, Pam Bondi, bei Fox nahe. Und es liegt wirklich nah.
Früh fiel auf, dass viele der Klagen aus einer Interessenvertretung der Bundesbediensteten heraus erhoben wurden, der Gruppe „Civil Service Strong“. Laut Influence Watch handelt es sich um eine „Koalition aus linken Rechtsgruppen, Interessenvertretungen und Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes“, die „Bundesbediensteten, die unter der zweiten Trump-Regierung von Entlassungen oder Versetzungen bedroht sind, Rechtsbeistand, gewerkschaftliche Vertretung und ein ‚Reaktionsnetzwerk‘ anbieten“. Dahinter steht die den Democrats nahestehende Lawfare-Gruppe „Democracy Forward“.
Kurz gesagt: Es ist der klassische Kampf ums eigene Überleben, vermischt mit einem parteipolitischen Netzwerk – die Sache ist sicher legitim, doch er delegitimiert noch nicht die Anstrengungen des Weißen Hauses um Einsparungen im Sinne der Steuerzahler. Beim ZDF erfährt man nichts von diesem Kontext.
Die Washingtoner Bezirksrichterin Amy Berman Jackson urteilte Anfang März, dass Trump Dellinger gar nicht feuern konnte, weil er ihm dazu eine besondere Ineffizienz hätte vorwerfen müssen, wie man bei CBS News nachlesen kann. Nur weil Trump einen anderen Behördenchef bevorzugt, könne er Dellinger nicht entlassen. Auch dieser Fall – wie viele andere – wird wohl vor dem Supreme Court landen. Und vielleicht werden Musk und Ramaswamy (DOGE) bis dahin genug Details von Ineffizienz aus Dellingers Behörde aufdecken.
Im Englischen gibt es einen Begriff für das beschriebene Verfahren: „Lawfare“ ist eine Paarung aus „warfare“ und „law“, also eine Art Kriegsführung durch das Recht, und ist nicht auf die engere politische Sphäre beschränkt. NGOs haben seit Jahren eigene Rechtsabteilungen, denen es genau darum geht, durch Klagen und Prozesse eine gesellschaftliche und politische Realität zu installieren, die sich am Präzendenzfall orientiert. Die Gesetze eines Landes, die man sich immer noch als Ergebnis von Parlamentsberatungen vorstellt, sollen so in ihrem Charakter verändert werden, quasi neues Recht auf dem Umweg über die Gerichte geschaffen werden. Aber ob das gelingt, liegt am Verhalten mehrerer Mitspieler.
Die New York Times titelt ganz offen mit: „Wir verfolgen die Rechtsklagen gegen Trumps Agenda“ – also den Kampf der Birnen gegen die Äpfel. Trump soll demgegenüber ein apokryphes Napoleon-Zitat benutzt haben („Wer sein Land rettet, verstößt gegen kein Gesetz“), was natürlich umgehend gegen ihn gewandt wird. Auch Bonaparte habe ja eine Republik in ein Kaiserreich verwandelt. Aber wahr ist auch: Noch 50 Jahre später fanden die Franzosen die Regentschaft seines Neffen Napoleon III. akzeptabel.
Gleich nach Trumps Inauguration hieß es in der interessierten Presse wie etwa hier bei Axios, dass „einige von Trumps kühnsten Plänen – darunter die Abschiebung von Millionen von Einwanderern und die Abschaffung des Geburtsrechts [für Zuwandererkinder] – nicht sofort umgesetzt“ würden, da sie „mit Sicherheit vor Gericht angefochten werden“. Allerdings hat Trump an dieser Stelle durch die Erklärung des Grenznotstandes vorgebaut. So kann er auch das Militär in einer noch nicht dagewesenen Weise einsetzen. Auch Trumps Einstufung der mexikanischen Drogenkartelle als „Terrorismus“ hilft ihm bei der Änderung der Politik. Die Wahrnehmung einer äußeren Bedrohung wird die Amerikaner vermutlich an dieser Stelle stärker zusammenschweißen.
Die illegalen Grenzübertritte von Mexiko waren im Februar auf einem Tiefstand seit vielen Jahren. In seiner Rede vor dem Kongress erklärte Trump diese Entwicklung mit Bauernschläue: „Sie hörten meine Worte und entschieden, nicht zu kommen. Viel einfacher für alle Seiten.“ Übrigens ist es auch juristisch falsch, dass das 14th Amendment das Geburtsrecht für alle Zuwandererkinder bestimmen würde, wie es immer wieder heißt. Im Ursprung war diese Regelung nur für die Kinder von einheimischen Sklaven gedacht, die vor ihrer Befreiung keine Staatsbürgerschaft hatten. Es ist mithin ein Überbleibsel aus der Bürgerkriegszeit.
Man darf also gespannt sein, wer die Nase vorn behält: In seiner State-of-the-Union-Rede hat Donald Trump seine bisherigen Erfolge – die Erfolge seiner Republikaner – aufgezählt, die sich nicht zuletzt einer Reihe von präsidentiellen Anordnungen (bislang mehr als 80) und anderen präsidentiellen Anweisungen, Memoranda und so weiter (wohl mehr als 400) verdanken, mit deren Unterzeichnung Trump noch am Tage seiner Amtseinweihung begann. Er stoppte damit vor allem einige größere Ausgabenposten, was angesichts einer galoppierenden Verschuldung auch in den USA geraten schien.
In seiner Rede vor dem Kongress präsentierte Trump diesen Teil seines Programms nun in einem harmonischen Dreiklang: Eingefroren wurden demnach alle Einstellungen im öffentlichen Sektor, daneben alle Regulierungen durch den Bund und alle Ausgaben in der Auslandshilfe.
Zu den schlimmsten Steuergeldverschwendungen, die so abgewendet werden könnten, gehören 1,9 Milliarden Dollar, die gemäß einer Entscheidung der späten Biden-Regierung an zwei Klimaschutz-NGOs („nonprofits“) gehen sollten, welche zudem in engster Beziehung zur führenden Politikerin der Democrats Stacey Abrams stehen, die sich bisher zweimal erfolglos um den Gouverneursposten in Georgia beworben hat. Das Geld gehört zum Inflation Reduction Act, genauer zum „Greenhouse Gas Reduction Fund“ – also einem steuerfinanzierten Ausgabenfonds zur angeblichen Minderung von Treibhausgasen. Das bedeutet auch in den Staaten: Haushalte sollten beim Übergang von Gasheizungen zu elektrischen Heizungen unterstützt werden.
Die Republikaner wollen nicht nur diese Gelder, sondern insgesamt 20 Milliarden aus dem Inflation Reduction Act (IRA) zurückholen. Und genannt wird das denn auch Reptilien- oder Schmiergeld-Fonds. Insgesamt sollten aber fast 400 Milliarden Dollar aus dem IRA für derlei Klima-Initativen fließen. Man sieht, dass die bürgerfreundlichen Etiketten hier nur äußerlich aufgeklebt waren – im Kern war der IRA ein Konjunkturprogramm für links-woke NGOs und die Klimawandel-Industrie. Nun beklagt sich Stacey Abrams darüber, dass sie für den von ihr propagierten Betrug belangt wird.
Doch umgehend warfen auch Juristen ein, dass es nur eine Frage der Zeit sei, bis die eingefrorenen Gelder durch Gerichte wieder losgeeist würden, so gab sich der Washingtoner Rechtsprofessor Steve Vladeck gegenüber ABC News her. Denn das Haushaltsrecht liege beim Kongress. Die Washington Post titelte etwas netter, Trump „strecke Gesetze, um die Regierung politischer zu machen“ – der Artikel dazu ist noch immer kritisch genug, so weit reicht die Hand von Jeff Bezos noch nicht.
Und daneben begannen auch sich berufen fühlende Richter sogleich, an diesem Dreiklang zu rütteln und Misstöne darin zu entdecken. Es waren vor allem Bezirksrichter, gerne aus dem linken District of Columbia, die Trumps Entscheidungen anzweifelten und sie rückgängig zu machen versuchten.
Schon Ende Januar machten „demokratische“ (also dank der Democrats und verbundenen Kampagnen gewählte) Generalstaatsanwälte aus verschiedenen Bundesstaaten gegen den Ausgabenstopp mobil. Die Parteilichkeit wird hier gar nicht mehr bemäntelt. Und Bundes- oder Bezirksrichter, die natürlich auch politisch bestimmt werden, gaben diesen Anträgen in einigen Fällen statt. Es ging kurz gesagt darum, dass Bundesgelder auch weiter in die 23 beteiligten Staaten und den District of Columbia flössen. Die juristische Schlacht darum hält an.
Nach Europa drang vor allem der Streit über diese Sache. So vertrat JD Vance die Auffassung, dass kein Richter die Macht der Exekutive kontrollieren könne oder dürfe. Das scheint dem klassischen Begriff der Gewaltenteilung und von „checks and balances“ zu widersprechen. Aber natürlich müssen die Richter zuständig sein, und in föderalen Rechtsfragen hat natürlich der Supreme Court das letzte Wort.
Eine richterliche Verfügung stammte vom Bezirksrichter Amir Ali aus Washington D.C. Er ordnete an, dass im Fall der USAID-Gelder (also der Auslandshilfen) die Regierung zumindest jene „Arbeiten“ bezahlen müsse, die schon erbracht wurden. Das Weiße Haus klagte dagegen beim Supreme Court und kassierte nun eine, wenn auch knappe Niederlage. Fünf von vier Richtern stimmten dem Bezirksrichter zu. Zu den vier Minderheitsvoten gehörten die der Richter Clarence Thomas, Neil Gorsuch und Brett Kavanaugh.
Der vierte, Samuel Alito, schrieb in seinem Votum: „Hat ein einzelner Bezirksrichter … die unkontrollierte Macht, die Regierung der Vereinigten Staaten zu zwingen, zwei Milliarden Dollar an den Steuerzahler auszuzahlen (und sie wahrscheinlich für immer verloren zu geben)? Die Antwort auf diese Frage sollte ein eindeutiges Nein sein, aber die Mehrheit dieses Gerichts ist offenbar anderer Meinung. Ich bin fassungslos.“ Es gibt also auch innerhalb des Supreme Court starke Meinungsunterschiede. Dann ist aber natürlich die Frage, inwiefern das Recht hier eindeutig ist.
Schon jetzt haben Bundes- oder Bezirksrichter mehr einstweilige Verfügungen gegen Verordnungen des Präsidenten ausgesprochen, als es in vier Jahren gegen Joe Biden gab. Das könnte man als Einwand gegen Trumps Regieren nehmen – es kann aber ebenso Zweifel an den Richtern nähren, zumal wenn sie – wie Alito formuliert hat – als einzelne Bezirksrichter vielleicht gar nicht zuständig waren. Jedenfalls ist der Wille zur Einflussnahme unverkennbar.
Es gibt aber – zu guter Letzt – auch Erfolge der Trump-Regierung vor Gericht. So bleibt die Macht des neuen CIA-Direktors John Ratcliffe unwidersprochen, Stellen, die sich bisher mit Diversity-Programmen (DEI) verbanden, zu streichen. Elon Musk darf als DOGE-Co-Chef (zusammen mit Vivek Ramaswamy, den man oft vergisst) auch weiterhin Zugang zu Bundesdaten haben und sich an Personalentscheidungen beteiligen. Und auch das massenhafte Versenden von E-Mails an Mitarbeiter bleibt legal. Sie müssen ja nicht antworten. Aber wenn sie nicht antworten, könnten sie ihren Job verlieren. Und sogar der Ausschluss von Journalisten der Associated Press (AP) von Briefings im Weißen Haus ist rechtskonform. Pressekonferenzen sind ja auch immer ein wenig Hofhaltung. AP wollte nicht die Sprachregelung vom „Golf von Amerika“ übernehmen. Nun ja, vielleicht muss man ja auch nicht.
Derweil gehen republikanische Senatoren zusammen mit DOGE ein weiteres Problem an. Elon Musk hat sich mit einer Gruppe von Senatoren getroffen, um die von ihm vorgeschlagenen Einsparungen wasserfest und dauerhaft zu machen, berichtet Axios. Senator Rand Paul (R-Kentucky) hat Musk demnach am Mittwoch zu einem „massiven Sparpaket überredet“. Gemeint ist das Rückgängigmachen von Ausgaben, die der Kongress bereits beschlossen hat. Nach Pauls Wunsch ginge es um bis zu 500 Milliarden Dollar. Mit 51 Stimmen, also mit der einfachen republikanischen Mehrheit, könnte solch ein Beschluss durch den Senat kommen. Und so wunderte sich sogar Elon Musk, dass demokratische Prozesse so einfach sein können.