
Mit der ersten Meldung vom Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt, in dem Moment, als sich die ersten, grausamen Bilder wie ein Lauffeuer verbreiteten, als die Körper der Verstorbenen noch warm waren und Retter am Ort der Verwüstung um die Leben der Schwerstverletzten kämpften, begann er: der Kampf um die Hoheit über die Deutungshoheit.
Wer Spiegel oder Tagesspiegel oder öffentlich-rechtliche Medien liest oder die Äußerungen von Politikern wie Jürgen Trittin (Grüne) verfolgt, weiß nur Stunden nach dem Magdeburg-Terror: Taleb Al-Abdulmohsen war ein verwirrter Rechtsextremer, ein Anhänger AfD, der den Islam hasste und deshalb – wohl befeuert vom rechten Islam-Hass der AfD und der Rechten in Deutschland – unschuldige deutsche Bürger auf einem Weihnachtsmarkt tötete.
Dass diese dünn belegte Erzählung vorne und hinten keinen Sinn ergibt und sich ebenso Gegenteiliges deuten ließe, scheint nicht zu interessieren. Man will sich nicht einmal mehr die Mühe machen, glaubwürdige Erzählungen zusammenzuschustern. Diese schnellen Urteile zeigen jedoch, mit welcher Verzweiflung politische Propaganda betrieben wird, die der Komplexität des Falles und der Wahnwelt des Todesfahrers in keiner Weise gerecht wird.
Diese Proganda soll die Debatte über das Mega-Thema Migration und die negativen Folgen, zu denen natürlich auch der Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Magdeburg gehört, verhindern – doch dieser Versuch scheitert kläglich.
Taleb Abdulmohsen ist 2006 als legaler Arbeitsmigrant aus Saudi-Arabien nach Deutschland gekommen. Er nannte sich selbst Ex-Muslim und Atheist und kritisierte den Islam heftig, sagte zudem, er habe als Schiit den Wahabismus als wahren Islam erkannt, was auch als Kritik verstanden werden kann. Er war öffentlich als ex-muslimischer Aktivist bekannt, bedrohte jedoch andere Aktivisten zu dieser Thematik und auch Flüchtlinge aus Saudi-Arabien, für er sich eigentlich einzusetzen vorgab. Er fühlte sich gleichermaßen von der Regierung in Saudi-Arabien und der in Deutschland verfolgt. Er warnte vor der Islamisierung Europas, gab Ex-Kanzlerin Angela Merkel die Schuld daran und teilte AfD-Inhalte – und zuletzt auch solche von Elon Musk. „Deutschland will Europa islamisieren“ und „Die deutsche Polizei ist der echte Treiber des Islamismus in Deutschland“, schrieb er ins Netz. Zeitgleich sprach er von „wir“, wenn er über die islamistischen Terroristen der Hamas sprach, zeigte sich aber auch Hamas-kritisch und pro-israelisch, während er sich selbst „Linker“ nannte.
Schon das X-Pofil des Magdeburg-Attentäters ist eine Bedrohung.
Es nur eine unvollständige Kurzzusammenfassung, die sich aus all den wirren Beiträgen und Äußerungen ergibt, die Taleb Abdulmohsen in den vergangenen Jahren getätigt hat. Wer daraus ein geschlossenes Weltbild ableitet, muss und will der eigenen These widersprechende Teile ausblenden und die offensichtliche Verwirrtheit und Widersprüchlichkeit des Attentäters ignorieren. Wohl, um aus der Instrumentalisierung des Magdeburg-Anschlags politisches Kapital.
Dieselben vorschnellen Urteile werden parallel auch von rechten Kreisen gefällt, die mit dem Fall ihr Weltbild bestätigt sehen wollen. Nur dass Taleb Abdulmohsen in dieser Erzählung qua arabischer Herkunft ein Islamist sein muss, seine Aktivisten-Rolle als Ex-Muslim nur ein verschleiernder Vorwand gewesen sei, um irgendwann unbehelligt zuschlagen und Schrecken verbreiten zu können. Schrecken hat Taleb Abdulmohsen verbreitet und fünf Menschen getötet sowie viele weitere schwer verletzt. Für das Urteil „Islamist“ ist der Fall ebenso zu komplex wie für die Behauptung, er sei ein „Rechtsextremer“.
Was mit der Erzählung „Der Attentäter von Magdeburg war ein rechtsextremer Islam-hassender AfD- und Musk-Fan“ bezweckt werden soll, ist offensichtlich: Sie soll die Reihen im Kampf gegen Rechts schließen und davon ablenken, dass neben der besonderen, kaum zu durchdringenden Motivlage des Täters es sich bei ihm um einen seit Jahren auffälligen arabischen Einwanderer handelte, dessen Gefahrenpotenzial die Behörden kolossal falsch eingeschätzt haben.
Den zu den zahllosen verwirrenden und sich widersprechenden Thesen von Taleb Abdulmohsen kommen nämlich zig Drohungen hinzu.
Bereits im April 2013 bedrohte er die Ärztekammer Mecklenburg-Vorpmmern mit „Ereignissen“ und bezog sich dabei auf den islamistischen Anschlag auf den Boston-Marathon, bei dem drei Menschen getötet und 264 verletzt wurden. „Haben Sie die Bilder aus Boston gesehen? Sowas passiert dann hier auch“, soll er laut Urteil gedroht haben.
Nur zur Einordnung: Die „Alternative für Deutschland“ war zu dieser Zeit als Partei gerade einige Wochen zuvor von Wirtschaftsprofessoren gegründet worden und befasste sich hauptsächlich mit Kritik am Euro – ein ideologischer Einfluss auf den späteren Magdeburg-Attentäter erscheint zu diesem Zeitpunkt ausgeschlossen.
Das Urteil vom Amtsgericht Rostock.
Für diese Bedrohung ist Abdulmohsen vom Amtsgericht Rostock zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen à 10 Euro verurteilt worden. Laut Spiegel war der Hintergrund der Drohung dass Teile seiner medizinischen Ausbildung nicht anerkannt worden waren. Eine Anschlagsgefahr oder islamistische Verbindungen hatten die Behörden damals nicht festgestellt. Wie der Nordkurier berichtet, hatte er zwei Jahre später damit gedroht, sich an den Richtern, die ihn verurteilt hatten, mit einer Pistole zu rächen.
Brisant: Trotz der Bedrohung, trotz der Verurteilung, trotz der Auffälligkeit wurde Asyl-Antrag von Abdulmohsen nicht abgelehnt.
Diese Tatsache zeigt, dass das Attentat von Magdeburg sehr wohl eine gewichtige migrationspolitische Komponente hat, die mehr an Gewicht zunehmen sollte, nachdem dies nicht die einzige Drohung, die einzige Auffälligkeit und der einzige dokumentierte Hinweis an die Behörden gewesen sein sollte. Im Mai 2024 schrieb er auf Englisch auf X, wo er mehr als 40.000 Follower hatte: „Ich gehe ernsthaft davon aus, dieses Jahr zu sterben. Begründung: Ich werde um jeden Preis für Gerechtigkeit sorgen. Und die deutschen Behörden versperren alle friedlichen Wege zur Gerechtigkeit.“
Einer der drohenden Tweets aus dem Mai 2024.
Im August 2024 schrieb er dann auf Arabisch: „Ich versichere Ihnen: Wenn Deutschland Krieg will, werden wir ihn haben. Wenn Deutschland uns töten will, werden wir sie abschlachten, sterben oder voller Stolz ins Gefängnis gehen. Weil wir alle friedlichen Mittel ausgeschöpft haben, sind uns nur noch mehr Verbrechen seitens der Polizei, des Staatsschutzes, der Staatsanwaltschaft, der Justiz und des Innenministeriums begegnet. Frieden nützt ihnen nichts.“
Zwischen April 2013 und Oktober 2024 hatte es sieben Anzeigen und Ermittlungsverfahren gegen den Magdeburg-Attentäter gegeben. Auch aus Saudi-Arabien soll es mehrere Warnungen der Behörden gen Deutschland gegeben haben. Das Königreich hatte seine Auslieferung beantragt, worauf Deutschland nicht reagiert hatte. Auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hatte konkrete Hinweise erhalten, diese aber wegen der Nicht-Zuständigkeit nicht weiter bearbeitet.
Es geschah: nichts. Abdulmohsen bekam Asyl, wurde nicht ausgewiesen, konnte trotz seines Geisteszustandes als Psychiater arbeiten und sollte den schrecklichsten Terror-Anschlag in Deutschland seit dem islamistischen Terror auf Berliner Breitscheidplatz anrichten.
„Idiosynkratischen Motivlage“, nennt es der Extremismusexperte Peter R. Neumann. Idiosynkrasie bedeutet dabei so viel wie „Eigentümlichkeit“ und beschreibt Verhaltensmerkmale oder Eigenschaften, die auf einzelne Personen oder eine Personengruppe zutreffen und von der Norm abweichen, also ein „ungewöhnlicher Fall“.
Er kritisiert, dass in Deutschland bei einem Fall wie dem Terror von Magdeburg zu schnell in bekannten Kategorien gedacht wird: „In Deutschland denken wir zu stark in starren Kategorien: rechts, links, islamistisch.“
Der Versuch, den Magdeburg-Attentäter mit rechten Gedanken und Sympathie für Elon Musk oder die AfD zu erklären, kann nur dazu dienen, von all den Irrungen und Wirrungen, den Drohungen und Warnungen, dem Behördenversagen abzulenken. Denn unterm Strich handelt es sich beim dem Todesfahrer von Magdeburg um einen Migranten, der nach menschlichem Ermessen nicht mehr im Land hätte sein dürfen oder wenigstens unter engster Beobachtung der Sicherheitsbehörden hätten stehen müssen – die Erzählung des „rechtsextremen AfD-Fans“ steht auf derart wackligen, spürbar Ideologie-getriebenen Beinen, dass sie nicht verfangen wird.
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