
Ein Schwarzstart bezeichnet die Fähigkeit eines Kraftwerks, nach einem vollständigen Stromausfall (Blackout) eigenständig wieder in Betrieb zu gehen – ohne auf externe Energiequellen angewiesen zu sein. Dieser Prozess ist hochkomplex, sorgfältig geplant und entscheidend für die Wiederherstellung eines gesamten Stromnetzes.
Kohlekraftwerke etwa benötigen zum eigenen Betrieb selbst eine Menge Strom. Da müssen Pumpen betrieben werden, Förderbänder, Ventile geöffnet oder geschlossen werden, und das Ganze wird von einer elektrischen Schaltwarte aus gesteuert. Ohne Strom ist auch das nichts los.
Nur wenige Kraftwerke besitzen die notwendige Ausstattung für einen Schwarzstart. Typisch sind kleinere wasserbetriebene Kraftwerke, Gasturbinen oder spezielle Dieselgeneratoren. Große Kohle-, Gas- oder Kernkraftwerke sind oft auf ein funktionierendes Stromnetz angewiesen und können nicht eigenständig hochfahren. Deshalb beginnt der Wiederaufbau des Netzes stets bei kleinen, robusten Einheiten.
Zunächst wird eine unabhängige Stromquelle aktiviert – beispielsweise ein Dieselgenerator. Dieser Generator liefert die notwendige Energie, um die ersten Betriebssysteme eines kleinen, schwarzstartfähigen Kraftwerks zu versorgen: etwa Steuertechnik, Kühlung, Schmierung und Leittechnik.
Relativ einfach ist dies bei einem Wasserkraftwerk. Dort öffnet die Schwarzstartstromversorgung die Einlassventile für die Wassermassen. Die treiben die Turbinen an und synchronisieren die ersten Generatoren.
Das schwarzstartfähige Kraftwerk bringt seinen Generator auf eine stabile Frequenz und eine definierte Spannung. In diesem frühen Stadium sind die elektrischen Lasten gering, und der Generator läuft in einem „Inselbetrieb“, unabhängig vom restlichen Netz.
Ist die erste Spannung stabil, wird vorsichtig damit begonnen, Teilbereiche des Netzes wieder zuzuschalten. Dies erfolgt äußerst kontrolliert: Zuerst werden eigene Betriebseinrichtungen, dann nahegelegene Umspannwerke und schließlich weitere Kraftwerke oder Verbraucher reaktiviert.
Es müssen Last und Erzeugung stets sorgfältig ausbalanciert werden: Zu viel Last würde das Netz sofort wieder zum Zusammenbruch bringen; zu wenig Last könnte die Frequenz gefährlich ansteigen lassen. Deshalb erfolgt der Netzwiederaufbau in kleinen Schritten.
In vielen Fällen entstehen parallel mehrere Schwarzstartinseln im Netzgebiet. Sobald diese Inseln stabil sind, werden sie miteinander synchronisiert – was höchste Präzision erfordert: Frequenz, Spannung und Phasenlage müssen exakt übereinstimmen, bevor die Inseln zusammengeschaltet werden dürfen. Und es wirken erhebliche Kräfte.
Schritt für Schritt wird so das gesamte Übertragungs- und Verteilnetz wiederhergestellt. Das Ziel ist es, möglichst schnell eine flächendeckende Grundversorgung aufzubauen. Erst danach werden besonders große Lasten wie Industriebetriebe oder Bahnnetze sukzessive wieder angeschlossen. Ein Schwarzstart ist eine hochkoordinierte Abfolge kleiner, wohlüberlegter Schritte. Er beginnt mit einer minimalen Energiequelle, entwickelt sich über eine Inselversorgung und mündet in die vollständige Wiederherstellung eines stabilen Stromnetzes. Ohne Schwarzstartfähigkeit wären Blackouts potenziell tagelang nicht behebbar.
Typische schwarzstartfähige Kraftwerke sind Wasserkraftwerke, die nur die Schwerkraft des Wassers benötigen. Mechanische Systeme wie Ventilsteuerung und Erregersysteme können oft mit kleinen Dieselaggregaten in Gang gesetzt werden.
Sehr schnell einsatzbereit sind kleinere Gasturbinen. Sie können in wenigen Minuten hochgefahren werden und liefern dann Strom für weitere Schritte beim Netzwiederaufbau.
Dieselgeneratoren treiben klassische Notstromaggregate an, sind oft in Krankenhäusern oder Rechenzentren installiert. Sie sind der einfachste schwarzstartfähige Typ. Allerdings haben sie nur eine geringe Leistung und eignen sich primär zur Eigenversorgung oder als Startquelle für ein größeres Kraftwerk.
Große Kohlekraftwerke sind in der Regel nicht direkt schwarzstartfähig. Denn sie benötigen umfangreiche Hilfssysteme wie Kohleförderanlagen, Kesselbefeuerung und Dampferzeugung, die selbst Strom benötigen. Ein Schwarzstart ist hier nur mit externer Starthilfe (z.B. durch ein nahegelegenes kleines schwarzstartfähiges Kraftwerk) möglich.
Kernkraftwerke sind hochsicherheitsrelevant und auf ein bestehendes Netz angewiesen, um kontrolliert hochgefahren zu werden. Schwarzstartfähigkeit war bei Kernkraftwerken in Deutschland nicht vorgesehen. Windkraftanlagen und Photovoltaikanlagen benötigen stabile Netzfrequenzen und Spannung zur Orientierung. Ohne Netz können sie sich nicht selbst synchronisieren, obwohl einige moderne Anlagen theoretisch inselbetriebsfähig entwickelt werden.
In modernen Strategien wird oft ein sogenannter „Schwarzstartverbund“ geplant: Schwarzstartfähige Kraftwerke sind gezielt über das Netz verteilt, sodass sie im Ernstfall Regionen unabhängig voneinander wieder hochfahren können.
Es ist schon eine erstaunliche Maschine, das europäische Stromnetz. Alle, aber auch wirklich alle Teilnehmer müssen haargenau mit der exakt derselben Frequenz arbeiten; wie Musiker in einem Orchester, die sich nach demselben Taktgeber richten. Vom riesigen Generator in Kraftwerken und Umspannwerken auf der Erzeugerseite bis hin zum Kühlschrank oder zur Küchenuhr auf der Verbraucherseite.
Denn Strom ist ein besonderer Saft. Er kann nicht wie Getreide, Zement oder Kohle gespeichert werden, sondern muss in exakt dem Augenblick produziert werden, in dem er benötigt wird – in genau der benötigten Menge. Produktion und Verbrauch müssen sich wie bei einer Waage stets im Gleichgewicht befinden. Einen „Stromtank“ gibt es nicht; steigt die Frequenz, wird zu viel Strom erzeugt, sinkt sie, wird zu viel verbraucht. Die Frequenz ist für die Kraftwerke also ein direktes Maß für das Gleichgewicht zwischen Angebote und Nachfrage.
Erstaunlich, mit welcher Präzision dieses Gleichgewicht gehalten werden muss. Sinkt die Frequenz lediglich geringfügig unter die Marke von 49,8 Hz, so gilt dies als Warnstufe. Sinkt sie weiter unter 49,0 Hz, wird automatisch Last abgeworfen, Industriewerke zum Beispiel werden zwangsweise vom Netz getrennt. Sinkt die Frequenz dann weiter, schalten sich unter der Frequenz von 47,5 Hz die Generatoren selbständig ab, um sich zu schützen. Unter 47 Hz droht dann der berüchtigte Blackout.
Das sind wohlgemerkt extrem enge Toleranzgrenzen. Schon eine Abweichung von 0,2 Hz wird als kritisch eingestuft, das sind etwa 0,4 %. Ab einer Abweichung von einem Hertz werden automatische Notmaßnahmen eingeleitet, das sind nur 2 % Abweichung, und ab 5 % ist das System nicht mehr regelbar. Das europäische Stromnetz arbeitet also nur im Fenster von Abweichungen von je 0,4 % stabil.
Schnell führen kleine Fehler zu großen Folgen, wie historische Netzstörungen und weltweite Blackouts zeigen. So wurde in New York 1977 durch Blitzeinschläge und nachfolgende Fehler in Transformatoren ein Blackout ausgelöst, der bis zu 48 Stunden dauerte. Er führte zu Behinderungen und massiven wirtschaftlichen Schäden.
2003 führte der Ausfall von zwei Stromleitungen aus der Schweiz zu einer Kettenreaktion, an deren Ende ganz Italien für mehrere Stunden ohne Strom war. 56 Millionen Menschen waren betroffen. Als der größte Stromausfall der Geschichte gilt der Indien-Blackout 2012. Über 600 Millionen Menschen waren betroffen, als Stromleitungen durch illegale Stromentnahmen überlastet wurden.
Frequenzabweichungen an vier Verbindungsleitungen zwischen Deutschland und Österreich führten am 10. Januar 2019 dazu, dass die Netzfrequenz für 9 Sekunden auf 49,8 Hz absank, die größte Abweichung seit 2006. Das Stromsystem konnte nur dadurch stabilisiert werden, dass in Industriewerken der Strom abgeschaltet, also Last abgeworfen wurde, und schnell Regelreserven in ganz Europa aktiviert wurden.
Ein Albtraumszenario für Netzbetreiber, wenn eine Region oder viele große Verbraucher vom Netz gehen. Das ist ein struktureller Bruch im System. Besonders kritisch ist anschließend der Wiederanschluss abgeschalteter Regionen oder Großverbraucher. Das geht nicht einfach wie mit einem Lichtschalter – einfach einknipsen und fertig. Dazu sind die Energien zu groß, die plötzlich fließen.
Zunächst einmal muss die Frequenz sehr genau bei 50 Hz liegen, Spannung und der sogenannte Phasenwinkel müssen übereinstimmen. Netzbetreiber fürchten sich vor solchen gefährlichen Vorgängen, denn ein entkoppeltes Gebiet ist kaum steuerbar. Wenn Frequenz, Spannung und Phase nicht exakt über einstimmen, drohen neue Kurzschlüsse und Dominoeffekte in den Netzen. Schon Fehler im Millisekundenbereich können neue Störungen auslösen, einen sogenannten Desynchronisationsschock. Das ist nichts anderes als ein plötzlicher brutaler Energieausgleich wie bei zwei Zahnrädern, die bei voller Geschwindigkeit ineinander krachen. Ein Hochrisikomanöver, bei dem Bruchteil von Sekunden über Zerstörung oder Stabilität entscheiden.
Auch der Generator mit mehreren 100 Tonnen Gewicht kann im Extremfall aus dem Gehäuse geschleudert werden, dabei Wände durchbrechen als seien sie aus Pappe. 1965 beispielsweise passierte Ähnliches in Kanada bei dem Wasserkraftwerk von Ontario Hydro. Beim asynchronen Einschalten brach die Welle, der Rotor wurde teilweise aus dem Maschinenhaus geschleudert – anschließend musste die Halle neu gebaut werden.
Auch in Italien kam es im Zuge des Blackouts 2003 zu erheblichen Desynchronisationsproblemen beim Versuch, Regionen wieder zusammen zu schalten. Transformatoren überhitzten. Resultat: Schaden in Millionenhöhe.
Das verwundert nicht weiter, wenn man sich die gigantischen Energien anschaut, die gespeichert sind. Ein Stromgenerator, der 500 Megawatt leistet, hat bei 3000 Umdrehungen/Min. eine gespeicherte Rotationsenergie von mehreren 100 Megajoule; das ist vergleichbar mit einem Flugzeug, das fliegt, oder liegt in der gleichen Größenordnung wie ein fahrender ICE. Wenn diese plötzlich gegen ein Hindernis prallen, kracht es ordentlich. Solche Energien rotieren unsichtbar in den Generatoren der E-Werke und werden in Echtzeit über Leitungen quer durch Europa verschoben, ohne dass man es merkt. Bis etwas schiefgeht.