Wie wird man Papst? Der, der es war, sagt: „Hoffe“

vor 3 Tagen

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Bildquelle: Tichys Einblick

„Historisch einmalig: die Autobiographie des Papstes zu seinen Lebzeiten“, bewirbt der Verlag die Lebensgeschichte von Jorge Mario Bergoglio, der am 13. März 2013 als Papst Franziskus weltberühmt wurde. Im Nachwort verrät uns sein Co-Autors Carlo Musso, dass er eigentlich gewünscht habe, sie erst nach seinem Tode zu veröffentlichen, aber „das Heilige Jahr der Hoffnung und die Erfordernisse unserer Zeit haben ihn schließlich doch überzeugt, uns dieses kostbare Erbe schon jetzt zugänglich zu machen.“ Und so erschien sie bereits im Januar 2025 zeitgleich in mehr als 100 Ländern. Eine seltsame verlegerisch Geschichte, und so ungewöhnlich wie die Person selbst.

Auch wenn man mit diesem Papst gefremdelt haben mag und viele seiner Äußerungen zu Politik und Kirche nicht teilt, diese Geschichte einer Persönlichkeit der Zeitgeschichte fesselt schon auf den ersten Seiten. Im Vorwort erzählt er die dramatische Geschichte vom Schiffbruch der „Titanic Italiens“, die mit 1200 Passagieren an Bord vor der Küste Brasiliens unterging:

„Ich weiß nicht, wie oft ich die Geschichte dieses Schiffes, gehört habe, das den Namen der Tochter von König Vittorio Emanuele III. trug. Auch sie fand, viele Jahre später, ein tragisches Ende im Lager von Buchenwald, gegen Ende eines zweiten schrecklichen Krieges. Die Principessa Malfada. (…) Meine Großeltern und ihr einziges Kind, Mario, der junge Mann, der mein Vater werden sollte, hatten Fahrkarten für diese lange Überfahrt, für dieses Schiff, das am 11. Oktober 1927 von Genua auslaufen sollte Richtung Buenos Aires. Aber sie gingen nicht an Bord. So sehr sie sich auch bemüht hatten, es war ihnen einfach nicht gelungen, ihre Habseligkeiten rechtzeitig zu verkaufen. Schließlich mussten die Bergoglios notgedrungen die Schiffspassage umbuchen und die Fahrt nach Argentinien aufschieben. Aus diesem Grund bin ich heute hier.“

Lebensentscheidendes ereignet sich auch durch Unterlassen … Diese Geschichte hat nicht nur das Leben Jorge Mario Bergoglios überhaupt erst ermöglicht, sondern auch seine Einstellung zu Migration ganz wesentlich geprägt. Damit wurde er zum Papst der Migranten, die sich auf den Weg machen.

Seine oft auch in den kürzesten Nachrufen zitierte besondere Aufmerksamkeit für die Armen, Rechtlosen, Ausgegrenzten und Marginalisierten hatte ihre Wurzeln nicht nur in der Botschaft des Evangeliums: „Politisch stamme ich aus einer Familie von ‚Radikalen‘. (…) In gewisser Weise waren wir elitär, obwohl wir ja nicht reich waren. Arme, die den sozialen Aufstieg in die Mittelschicht geschafft hatten und bei so mancher Gelegenheit wieder unerbittlich abstiegen. 1946, als man in Italien, sehr zur Freude meines Großvaters, die Monarchie abwählte, begann in Argentinien die lange, komplexe und vielgestaltige Phase des Peronismus. Und meine Familie bestand durchweg aus Anti-Peronisten. (…) Als Heranwachsender hingegen interessierte ich mich für die sozialen Reformen, die Perón eingeführt hatte, und sympathisierte damit.“

Neben dem ständigen Bewusstsein des entgangenen Unglücks hat ihn der Peronismus eben auch geprägt. Man könnte das die südamerikanisch verkitschte Form des Sozialismus nennen; tatsächlich war es politischer Populismus mit linken Versprechungen, deren Erträge in die Taschen der Familie Perón und ihrer Clique flossen. Trotzdem ist das Musical „Evita“ Bestanteil der globalen Heulsusen-Folklore unterdrückter Frauen, die ihr Leben den Armen verschreiben und darüber reich werden. Dieses seltsame Gebräu, und bitte immer mit Tango, muss man verstehen, wenn man verstehen will, was dieser Papst wollte.

Seine Chefin im Chemielabor, in dem er seine Ausbildung machte, Esther Ballestrino de Careaga, hat ihn mit dem Marxismus vertraut gemacht. „Ich war nicht immer einer Meinung, aber ich konnte mit ihr darüber diskutieren und sie brachte mich zum Nachdenken. (…) Ich habe einmal gesagt, dass die Kommunisten uns die Standarte geraubt haben, denn das Banner der Armen ist christlich …“. Sie wurde im Dezember 1977 von der Militärjunta verhaftet. „Damals war sie neunundfünfzig Jahre alt. Keiner der Menschen, die sie liebten, sah sie je wieder.“

Das ist das abschreckende an diesem Papst: Dass er den Marxismus südamerikanischer Prägung in der Kirche personifizierte und damit legitimierte.

Es zeigt, wie nah er seine Biographie mit Zeitgeschichte verbunden verstand; auch seine Berufungsgeschichte, sein Werdegang als Priester, Jesuit, die Wahl zum Papst – all das wird eingebettet in die großen Linien und die lebendigen Details des politischen Geschehens. Und selbstverständlich auch mit der biblischen Überlieferung verbunden – ohne theologische Überfrachtung.

Somit wird das Buch aber auch über die kommenden Wochen hinaus lesbar. Es zeigt, wie in der katholischen Kirche um Einfluss gekämpft wird und wie die Biographie für den Fortgang entscheidend sein kann. Denn der Mann auf dem Stuhle Petris kann sich seiner Herkunft nicht entledigen, wer immer es wird. Das zeigte sich deutlich beim polnischen Papst, beim deutschen Nachfolger und jetzt bei Franziskus: Das Heilige wird auf Erden erfahren und interpretiert, auf jeweils ganz andere persönliche Weise. Und wegen der starken, der im ursprünglichen Sinn fürstlichen Stellung des Papstes hat sie globale Auswirkung.

Auf wessen Seite steht der künftige Papst – auf der woken oder traditionellen Seite? Wie wird sich sein Verhältnis zu Donald Trump gestalten und zu Wladimir Putin und den chinesischen Kommunisten? Der Umgang damit ist es, was wie Franziskus auch seinen Nachfolger beschäftigen wird und nicht die Frage nach dem Zölibat.

So droht dieses Pontifikat auch künftig kontrovers interpretiert und instrumentalisiert zu werden. Da ist es durchaus ratsam, sich mit den Erinnerungen und ihrer Darstellung des am Ostermontag verstorbenen Papstes vertraut gemacht zu haben.

Papst Franziskus, Hoffe. Die Autobiographie. Kösel, 384 Seiten, mit zahlreichen bislang unveröffentlichten schwarz-weiß Fotos aus Papst Franziskus´ Privatbestand, Hardcover mit Schutzumschlag und Lesebändchen, 24,00 €.

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