
Das nennt man heute vollen grünen Erfolg: riesige gerodete Flächen, autobahnbreite Zufahrtswege für Schwerlastwagen und gegossene Fundamente aus Stahlbeton inmitten eines der letzten zusammenhängenden Waldgebiete. Breite Schneisen ziehen sich wie offene Wunden durch das grüne Dickicht. Baumstümpfe ragen wie Mahnmale aus dem Boden. Auf einer Fläche, die einst als Kernzone des europäischen Schutzgebiets „Natura 2000“ galt, rollen heute schwere Bagger, lärmende Planierraupen und Tieflader.
Die Rede ist vom Reinhardswald in Nordhessen – einst eine stille Waldwildnis, in der Märchenfiguren der Brüder Grimm zuhause waren – wird derzeit in eine gigantische Windindustrie-Zone verwandelt. Wo einst Eichen und Buchen standen, Bäche gluckerten und Rotmilan und Schwarzstorch lebten, rollen heute Kettenbagger und schwere Planierraupen und reißen tiefe Wunden in die Wälder. Lastwagen transportieren über 100.000 Tonnen Schotter in die Wälder, um die Fundamente für die Straßen aufzuschütten. Über die sollen später schwere, überbreite Tieflader Mastteile, Rotorblätter und Maschinenhäuser für aberwitzig große Anlagen der Windindustrie herantransportieren. Alles im Namen der Energiewende – und mit dem Segen der hessischen Grünen.
Denn was derzeit im „Grimmschen Märchenwald“ geschieht, ist keine Episode aus einem dystopischen Zukunftsroman, sondern politische Realität: 18 Windräder mit jeweils 240 Metern Höhe sollen hier entstehen. Bisher sind über 14 Kilometer neue Schwerlasttrassen in den Wald geschnitten, hunderte Bäume – viele davon über 150 Jahre alt, teils naturnah gewachsen – wurden gefällt.
Tonnenweise Schotter verdichten nun den Waldboden. Ökologische Rücksicht? Fehlanzeige. Selbst seltene Tierarten wie die Mopsfledermaus oder der Rotmilan wurden mit „Ausnahmeregeln“ zur Seite gewischt – offenbar, damit der politische Wille Vorrang vor dem Artenschutz erhält. Verantwortlich für das Projekt: Die „Windpark Reinhardswald GmbH & Co. KG“, ein Zusammenschluss mehrerer Energieunternehmen, in denen meist hessische Politik das Sagen hat.
Erinnert werden muss an die wesentlich Verantwortliche für dieses Umweltdesaster: Das war die Grüne Priska Hinz. Die war von 2014 bis Januar 2024 hessische Umweltministerin – zuvor bereits 1998–1999 in diesem Amt und langjährige Landtagsabgeordnete. Im Januar 2024 schied sie aus Landtag und Ministeramt aus und hinterlässt eine Katastrophe im ältesten Wald in Hessen. Sie war diejenige, die letztlich 2022 die Genehmigung gegen massiven Widerstand aus Bevölkerung, Kommunen und Naturschutzverbänden erteilte. Der Reinhardswald war bis dahin ein sogenanntes FFH-Gebiet, Teil des europäischen Schutzgebietssystems Natura 2000 – jetzt ist er zur Industriefläche erklärt worden.
Der damalige mediale Jubel über „grünen Strom aus dem Märchenwald“ ist heute schalem Schweigen gewichen, wo die dramatischen Konsequenzen sichtbar werden. Mit platten Sprüchen verteidigte Hinz einst im Wiesbadener Landtag die Genehmigung der Windräder im Reinhardswald: „Der Reinhardswald wird nicht zerstört, sondern in einem Teil Windenergie erschlossen. Urwald bleibt erhalten.“ Sie betonte seinerzeit, es handle sich nicht um ein offiziell geschütztes Schutzgebiet und dass für Rotmilan, Fledermäuse und andere Tiere artenschutzrechtliche Prüfungen stattgefunden hätten.
„Klimaneutralität“ bis 2045 sei nur durch maximalen Ausbau erneuerbarer Energie machbar, auch in bewaldeten Vorrangflächen wie dem Reinhardswald, log sie. Laut Hinz blieben 98 Prozent der Landfläche windfrei. Und: Windkraft im Wald stünde dem grün verstandenen Naturschutz nicht grundsätzlich entgegen – noch so ein hanebüchener Hinz-Spruch.
Dass es sich dabei nicht um „ein paar harmlose Windmühlen“ handelt, wird jedem klar, der sich die Dimensionen vor Augen führt: 150 Meter hohe Stahlbetontürme, darauf 90 Meter lange Rotorblätter, Fundamentteller mit bis zu 3.000 Tonnen Beton. Jeder einzelne dieser „Windgiganten“ wiegt mehr als ein Zerstörer der Marine – und bleibt jahrzehntelang in einem empfindlichen Ökosystem verankert. Selbst nach Stilllegung bleiben die Fundamente im Boden, ein Rückbau wird praktisch nie vollständig vollzogen.
Die Windradriesen werden mit massiven Fundamenten verankert, mehrere tausend Tonnen Beton versiegeln dabei den Waldboden dauerhaft. Ihre Rotorblätter durchstreifen die Atmosphäre in Höhen, die mit dem Flugraum von Greifvögeln kollidieren. Schutzmaßnahmen? Fehlanzeige, sagen Kritiker.
Foto: Privat
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Doch nicht nur die Zerstörung der Natur sorgt für Empörung. Immer mehr Studien legen nahe, dass der Nutzen der Windkraft deutlich überschätzt wird – und ihre ökologischen Nebenwirkungen unterschätzt. So warnt eine vielbeachtete Harvard-Studie aus dem Jahr 2020 vor einem Effekt, über den bislang kaum gesprochen wird: Windturbinen können die lokale Lufttemperatur deutlich erhöhen.
„Windturbinen verursachen lokale Temperaturerhöhungen an der Erdoberfläche, indem sie die Luft in Teilen der Atmosphäre durchmischen“, so die Forscher. „Turbinen, die nachts in Betrieb sind, können wärmere Luft aus bis zu 500 Metern Höhe an die Oberfläche ziehen und so die Erdoberfläche erwärmen. Das wirkt sich direkt auf Menschen, Pflanzen und Tiere in der Nähe aus.“
Besonders problematisch: Diese Temperaturerhöhung tritt unmittelbar auf – während der Nutzen durch vermiedene Emissionen erst langfristig wirksam wird. Der Effekt ist zudem lokal begrenzt – das bedeutet: Genau die Regionen, die Windräder bereitwillig „aufnehmen“, zahlen den höchsten Preis. Für die Harvard-Forscher ist klar: Die lokale Erwärmung übertrifft in manchen Regionen sogar den positiven Klimaeffekt durch eine sogenannte „CO₂-Einsparung“.
In einem empfindlichen Ökosystem wie dem Reinhardswald, das von Temperaturgradienten, Bodenfeuchte und einem intakten Mikroklima abhängt, könnte dieser Effekt dramatische Folgen haben: Trockenstress für Bäume, veränderte Wachstumsbedingungen für Pflanzen, gestörte Tierwanderungen.
Die großen Windräder bringen also nicht nur Veränderung in die Landschaft, sondern auch ins Klima vor Ort. Der Wald wird wärmer, trockener – und das ausgerechnet durch eine Technologie, die das Klima retten soll.
Dann stelle man sich brennende Maschinenhäuser der Windräder inmitten dieser Wälder vor. Jeder Feuerwehrmann bekommt Alpträume.
Der Widerstand vor Ort ist entsprechend groß. Bürgerinitiativen wie „Rettet den Reinhardswald“ oder „Märchenland in Not“ protestieren seit Jahren. Die Gemeinde Wesertal hat geklagt, sechs Verfahren liegen derzeit vor dem Verwaltungsgerichtshof in Kassel. Doch gebaut wird trotzdem weiter – offenbar im Vertrauen darauf, dass ein späterer Rückbau unwahrscheinlicher ist als ein erfolgreicher Stopp.
Die Mitglieder der Bürgerinitiativen schäumen: „Der Reinhardswald ist ein empfindliches Ökosystem, in dem sich jegliche Eingriffe weit über die Grenzen der Bauflächen hinweg auswirken. Unzerschnittene Wälder wie der Reinhardswald können nur im Ganzen ihre wichtigen Funktionen aufrecht erhalten kann. Die geplanten Wind-Industriegebiete werden diese Funktionen massiv stören, da sie den Wald mit breiten Zuwegungen, Straßen und bewuchsfrei zu haltenden Wartungsfächen zerstückeln. Last- und Schwerlastfahrten und Beton-Fundamente werden die wertvollen, wasserspeichernden Waldböden auf Jahrzehnte verdichten und versiegeln, wodurch das Ökosystem fragmentiert wird und z.B. Austrocknung weiter begünstigt wird. Im Brandfall können die schwer bis unmöglich zu löschenden Anlagen zudem katastrophale Schäden in Wald und Grundwasser anrichten.“
Die politisch Verantwortlichen ducken sich derweil weg. Von Priska Hinz hört man heute nichts mehr. Auch Bundesgrüne wie Habeck oder Baerbock schweigen zur Zerstörung eines der bekanntesten deutschen Wälder. Und das, obwohl der Reinhardswald sinnbildlich für das steht, was die Grünen einst zu verteidigen vorgaben: Wald, Artenvielfalt, Schutz der Heimat.
Besonders brisant: Mehrere Gemeinden hatten sich ursprünglich an dem Projekt beteiligt, in der Hoffnung auf finanzielle Beteiligung. Doch inzwischen sind viele wieder abgesprungen – zu groß sei die Enttäuschung über den tatsächlichen Flächenfraß, die Kommunikationspolitik der Projektgesellschaft und die drastischen Eingriffe ins Landschaftsbild. Was bleibt, ist Spaltung.
Einen Stopp des weiteren Ausbaus von Windrädern fordert in Niedersachsen gerade eine Inititative. In einer öffentlichen Petition rufen sie zu einer „Anpassung des Gesetzes zur Festlegung von Flächenbedarfen für Windenergieanlagen an Land (WindBG) an den IST-Zustand“ auf, „da bereits zu viele Windkraftanlagen (WKA) installiert sind“.
Einen Windenergieschlüssel zu benutzen, der sich auf eine Zahl stützt, wie viel Landfläche nötig ist, sei nicht zielführend, binde personelle Ressourcen und richte Schäden in Milliardenhöhe an, ganz zu schweigen von der Vernachlässigung von Umwelt- und Naturschutz sowie der Gesundheit, so heißt es in der Petition. Mitzeichner werden noch gesucht.
Von 75 000 Haushalten ist regelmäßig die Rede, die mit Strom aus dem Reinhardswald versorgt werden könnten. Doch bei Flaute liefern die Räder nichts, bei Sturm muss der Strom abgeregelt werden. Und zuletzt war ziemlich häufig Flaute. Bei „Dunkelflaute“ hilft nur der Rückgriff auf Gaskraftwerke oder Atomstromimporte. Die vermeintliche „grüne Lösung“ ist weder verlässlich noch nachhaltig – aber sie zerstört eine Landschaft, die über Jahrhunderte gewachsen ist.
Der Reinhardswald ist mehr als ein Ort: Er ist Symbol, Gedächtnis, Kultur. Hier vermischen sich Naturgeschichte mit Dichtung, Heimatgefühl mit Mythen. Und dass ausgerechnet jene Partei, die sich als Naturschutzpartei versteht, diesen Bruch ermöglicht hat, ist politisch wie moralisch eine grüne Bankrotterklärung.