Wird Deutschland unregierbar? Wie CDU und CSU alle Koalitions-Optionen ausschließen

vor 3 Monaten

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Je näher der Wahltag rückt, desto heftiger wird die Frage diskutiert, wie eigentlich eine Regierung aussehen könnte, wer mit wem eine Mehrheit bilden könnte. Dabei ist der Wahlkampf deutlich mehr von Unterschieden und „Ausschließeritis“ als vom Betonen etwaiger Gemeinsamkeiten und möglicher Bündnisse geprägt. So sehr, dass die Frage im Raum steht, ob es überhaupt zu einer stabilen Mehrheit kommen kann.

Die Union aus CDU und CSU liegt in sämtlichen Umfragen mit rund 30 Prozent vorne. Mehrheiten ohne die Union erscheinen beim Blick auf aktuelle Umfragen undenkbar. Doch inzwischen scheint kein einziges Mehrheits-Bündnis in Sicht, dem nicht mindestens ein Widerspruch oder ein gebrochenes Versprechen entgegenstünde.

Denn: Friedrich Merz gibt inzwischen die „Garantie“ ab, „in der Wirtschaftspolitik und in der Asylpolitik eine wirkliche Wende“ herbeiführen zu wollen.

Als wahrscheinlichstes Szenario gilt ein Bündnis aus Union und SPD, eine „große Koalition“, die ihren Namen nicht mehr verdient hat, nachdem die Sozialdemokraten längst nicht mehr die zweitstärkste Kraft im Land sind. In aktuellen Umfragen haben CDU/CSU und SPD gemeinsam rund 47 Prozent der Stimmen, die für eine parlamentarische Mehrheit reichen, nachdem bis zu 15 Prozent der abgegebenen Stimmen wegen der Fünf-Prozent-Hürde nicht im Parlament vertreten sein könnten.

Doch es gibt zwei Hindernisse: Zum einen ist das Kern-Versprechen des Wahlkampfes von Friedrich Merz der „Politikwechsel“ – weg von der Politik, die der SPD-Bundeskanzler Olaf Scholz als Regierungschef wie kein zweiter verkörpert. Zeitgleich führt die SPD einen reinen Abgrenzungs-Wahlkampf zu Friedrich Merz.

„Mitte statt Merz“ steht auf den Plakaten der SPD. Bedeutung: Friedrich Merz gehört für die SPD offenbar nicht mehr zu dem Kreis, den die SPD als „Mitte“ definiert. Können also die Sozialdemokraten überhaupt noch an ein Bündnis mit Merz denken? Vom „Tor zur Hölle“ sprach SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich im Zusammenhang mit der gemeinsamen Abstimmung von CDU/CSU, FDP und AfD für eine Wende in der Migrationspolitik, während SPD-Gesundheitsminister Karl Lauterbach von der „dunkelsten Stunde“ im Deutschen Bundestag sprach.

Heißt: Beide Parteien – Union und die SPD – müssten ihr Wahlkampf-Versprechen nebst Wahlkampf-Ansagen also ins Gegenteil verkehren, um eine „alte GroKo“ einzugehen. CDU und CSU müssten den versprochenen „Politikwechsel“ in weiten Teilen begraben, die SPD müsste mit denen zusammenarbeiten, die vor kurzem noch das „Tor zur Hölle“ geöffnet haben und deshalb nicht mehr zur „Mitte“ gehören.

Bei der Grünen Partei ist es zurzeit kompliziert: Es ist ein Hin-und-Her, eine Art On-Off-Beziehung mit dem Gedanken an ein schwarz-grünes Bündnis. Als CDU-Chef Friedrich Merz nach dem Messer-Angriff von Aschaffenburg ankündigt hatte, über seinen 5-Punkte-Plan zur Not auch mit der AfD stimmen zu wollen, war Schwarz-Grün sehr schnell abgesagt, um dann doch wieder in den Bereich des Möglichen zu rücken. Kurze Zeit später drohten die Grünen dann jedoch, man schließe eine Merz-Koalition kategorisch aus, wenn die Union mit der AfD stimmt. Nachdem genau das geschah, war Grünen-Minister Cem Özdemir erneut in der ARD unterwegs, um zu verkünden, dass es doch noch nicht zu spät sei.

Mit derzeit 42 Prozent in den Umfragen dürfte es ohnehin knapp werden mit einer parlamentarischen Mehrheit.

Markus Söder schließt eine Koalition mit den Grünen aus, Friedrich Merz quasi auch.

Doch es gibt noch viel größere Hindernisse: Markus Söder zum Beispiel. Der CSU-Chef wird seit Monaten an keiner Stelle müde, Schwarz-Grün auszuschließen, was auch in weiten Teilen der Unions-Wählerschaft auf Zustimmung stößt. Die CDU hat sich auf den Sprachduktus „mit diesen Grünen“ geeinigt, was beim Blick auf das Spitzen-Duo Robert Habeck und Annalena Baerbock jedoch synonym mit „den Grünen“ zu verstehen ist, nachdem diese beiden Politiker die heutigen Grünen verkörpern wie niemand sonst.

Das vielleicht noch größere Hindernis als Markus Söder ist jedoch das Versprechen von Friedrich Merz, am ersten Tag als Kanzler die Migrationswende herbeizuführen: Am ersten Tag will er – egal wer Innenminister ist – mithilfe seiner Richtlinienkompetenz anweisen, Zurückweisungen an der Grenze durchzuführen und faktisch keine Asyl-Bewerber mehr ins Land zu lassen. Dabei würde es sich um eine Politik handeln, die mit der Grünen Partei – egal ob mit „dieser“ oder einer neuen Generation – auch nur im Ansatz denkbar wäre. Die Grünen halten dieses Versprechen nicht nur für rechtswidrig, sie halten es vor allem auch für unmenschlich. CDU-General Carsten Linnemann hat die Asyl-Wende aber zur Bedingung für eine Regierung gemacht und gesagt: „Oder wir regieren eben nicht.“

Heißt: Für CDU und CSU ist ein Bündnis mit den Grünen faktisch beinahe unmöglich. Denn zum einen sind „diese Grünen“ exakt diese Grünen, mit denen sie koalieren müssten. Darüber hinaus ist mit diesen Grünen kein „Politikwechsel“, geschweige denn die versprochene Wende in der Asylpolitik denkbar.

Nur die kühnsten Optimisten glauben noch an die Möglichkeit eines schwarz-gelben Bündnisses. Die FDP muss zuallererst darum bangen, überhaupt in den Bundestag einzuziehen und nicht an der Fünf-Prozent-Hürde zu scheitern. Die Partei von Parteichef Christian Lindner dümpelt stabil bei vier Prozent in den Umfragen herum und scheint innerlich zwischen dem klassisch-liberalen und dem links-liberalen der jungen Generation zerrissen.

Deutlich wurde das bei der Abstimmung zum Zustrombegrenzungsgesetz am vergangenen Freitag, als etwa ein Viertel der FDP-Bundestagsfraktion die Zustimmung verweigerte, die Parteichef Christian Lindner eigentlich angekündigt hatte. Innerhalb der „Liberalen“ gibt es eine jüngere Nachrücker-Garde, die die freie Wahl des Geschlechts und Impfpflichten für bestimmte Berufsgruppen ebenso für Freiheit hält, wie unflätige Kommentare im Netz zu suchen, diese zur Anzeige zu bringen und daraus ein Geschäftsmodell zu machen.

An eine Regierung unter Beteilung der FDP ist kaum zu denken – die „Liberalen“ müssen gar um den Einzug in den Bundestag bangen.

Sollte es die FDP doch noch ins Parlament schaffen und es erwartungsgemäß für Schwarz-Gelb nicht reichen, dann hat Parteichef Christian Lindner am Wochenende (ohne Anlass und ohne dass irgendwer gefragt hätte) ein Bündnis mit den Grünen alias Jamaika ausgeschlossen. Bliebe also nur noch eine „Deutschland“-Koalition aus Union, SPD und FDP, deren Entstehung vor denselben Herausforderungen stünde wie oben bereits beschrieben (siehe „Die alte GroKo“).

Blickte man im Ausland und ohne jede Kenntnis der innenpolitischen Debatten auf die Wahlumfragen, würden wohl die meisten denken: In Deutschland wird eine schwarz-blaue Koalition aus CDU/CSU und AfD regieren und die große Mehrheit in der Bevölkerung, die offenbar Politik rechts der Mitte verlangt, vertreten.

Die sogenannte „Brandmauer“ verhindert dies jedoch. „Schwarz-Blau“ ist die Koalition, deren Name nicht genannt werden darf. CDU-Chef Friedrich Merz und CSU-Chef Markus Söder werden nicht müde zu betonen, dass es keine Zusammenarbeit mit der AfD geben wird – so auch am Montag auf dem Parteitag der CDU. Dabei wünschen sich inzwischen 26 Prozent der Deutschen ebenjenes Bündnis (Tendenz steigend).

CDU/CSU und AfD werden im nächsten Bundestag eine große Mehrheit haben. Eine schwarz-blaue Koalition schließt die Union jedoch aus.

Wer sich nun fragt: Und was war das dann vergangene Woche, als ihr angetreten seid, eine Mehrheit für euren Antrag für eine Migrationswende zu erreichen, liebe Union?

CDU und CSU haben kurzerhand die Definition der sogenannten „Brandmauer“ abgeändert. Von „keine Mehrheiten durch Stimmen der AfD“ zu „keine Absprachen, Zusammenarbeit oder Koalition mit der AfD“. Als es darum ging, „das Richtige“ in der Migrationspolitik anzustoßen, wie es CDU-Chef Friedrich Merz nannte, wurde „das Richtige“ nicht falsch, nur weil „die Falschen“ zugestimmt haben.

Schule soll „das Richtige“ zur Not auch mit „den Falschen“ zu tun allerdings nicht machen: Die Merz-CDU hat einer Minderheitenregierung, die sich von Vorhaben zu Vorhaben Mehrheiten suchen muss, bereits eine Absage erteilt.

„Wir haben hier so große Entscheidungen von so großer Tragweite zu treffen, dass wir dafür eine stabile Regierung mit eigener Mehrheit benötigen“, sagte der Merz-Vertraute und heutige Parlamentarische Geschäftsführer der Unions-Bundestagsfraktion Thorsten Frei. Wie diese stabile Regierung mit eigenen Mehrheiten aussehen soll und wer der passende Partner werden könnte, sagt er nicht.

Bedeutet zusammengefasst: Die Union kann, wenn sie wirklich den „Politikwechsel“ will, nicht mit der SPD koalieren. Die Union will nach eigener, dutzendfacher Aussage nicht mit „diesen Grünen“ zusammenarbeiten. Mit der FDP wird die Union nach Adam Riese keine Koalition bilden können, weil schlicht die Mehrheit fehlen wird. Eine schwarz-blaue Koalition mit der AfD haben die Chefs von CDU und CSU zigfach ausgeschlossen. Doch auch eine Minderheitenregierung, bei der man sich von Vorhaben zu Vorhaben eine neue Mehrheit sucht, soll es nicht sein.

Da bleibt eigentlich nur gar nicht regieren übrig. Mit den genannten Entschlüssen und Ausschlüssen wäre Deutschland unregierbar.

Mehr NIUS: Verzweifelter Endspurt im CDU-Wahlkampf: Dieses „Sofortprogramm“ wird nur jenseits der Brandmauer funktionieren

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