Wirtschaft am Abgrund, Krankenstand hoch wie nie: Aber Deutschland träumt von Null-Bock-Tagen und Vier-Tage-Woche ...

vor 6 Monaten

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Deutschland ist krank. Und das gleich doppelt.

Was ist hier los? Scheinbar gibt es zwei Welten:

Die durchschnittliche Zahl der Krankheitstage in Deutschland ist zuletzt deutlich gestiegen. Laut Statistischem Bundesamt auf 15,1 Tage im Jahr 2023. Nach Angaben der DAK beispielsweise war fast ein Drittel der Versicherten mindestens einmal im Jahr krankgeschrieben. Bei den Pflichtmitgliedern der gesetzlichen Krankenversicherung lag der Krankenstand im Jahresdurchschnitt bei knapp 6,1 Prozent. Die Schätzung für das Jahr 2024 liegt bei 5,9 Prozent.

Beschäftigte in Berufen mit Personalmangel waren besonders häufig krank.

Solche Höchstwerte von über 5 Prozent wurden zuletzt Mitte der 1970er Jahre erreicht und selbst da lagen die Spitzenwerte bei knapp 5,7 Prozent. In allen Jahren vorher und auch danach, also in den 1950er und 1960er Jahren, wie auch durchgehend seit den 1980er Jahren bis heute, lagen die durchschnittlichen Krankenzahlen immer deutlich unter diesem Niveau. Die deutschen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind also so krank wie nie.

Im Durchschnitt fehlten die Beschäftigten von Januar bis enschließlich Juni fast zehn Tage in ihrem Job. Quelle: picture alliance/dpa | Marius Becker

Einen zusätzlichen Sprung haben die Krankmeldungen noch einmal bekommen, weil die Möglichkeit von telefonischen Krankschreibungen, die eigentlich nur für die Corona-Zeit vorgesehen waren, weiterhin möglich sind. Das heißt: Den Arzt anrufen, Symptome beschreiben, sagen, dass man sich sehr schlecht fühlt – und mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit ist eine Krankschreibung erreicht. Das ganze hat merkliche Auswirkungen auf das Wachstum der Wirtschaft im Land. Der Vorstandsvorsitzende der Allianz Versicherung beispielsweise sagte dem Handelsblatt, dass die deutsche Wirtschaft ohne den hohen Krankenstand nicht um 0,3 Prozent  geschrumpft, sondern um knapp 0,5 Prozent gewachsen wäre. Der Verband der forschenden Arzneimittelhersteller, geht davon aus, dass die Wirtschaftsentwicklung um 0,4 Prozent-Punkte schwächer ausfällt, weil der Krankenstand in Deutschland so hoch ist.

Das bedeutet: Die Tatsache, dass sich die Deutschen in so großer Zahl und so oft krankschreiben lassen, ist einer der verantwortlichen Treiber für die Rezession in unserem Land. Und dazu kommen noch hohe Kosten. Denn jeder Mitarbeiter der fehlt, kostet die Unternehmen Umsatz und damit entgehen dem Staat Steuereinnahmen. Gleichzeitig müssen im Krankheitsfall die Löhne weiter gezahlt werden. Allein diese Lohnfortzahlungen im Krankheitsfall haben sich im vergangenen Jahr auf satte 76,7 Milliarden Euro summiert.

Trotz allseits und zurecht Beklagtem Fachkräftemangel, entlassen deutsche Unternehmen massenhaft Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Und das gilt für große Konzerne, wie auch für kleine und mittlere Unternehmen. Erst in dieser Woche hat Volkswagen angekündigt, drei Werke schließen zu wollen und damit tausende Menschen zu entlassen auch die Deutsche Bahn hat angekündigt rund 30.000 Stellen abzubauen. Der Automobilzulieferer ZF aus Friedrichshafen will 14.000 Stellen abbauen. Continental, ebenfalls vor allem in der Automobilindustrie als Zulieferer aktiv, will 13.000 Stellen streichen. Der Verband der deutschen Automobilindustrie prognostiziert, dass in Deutschland bis zum Jahr 2035 140.000 Jobs in der Autobranche wegfallen. Seit 2019 sind bereits schon 46.000 Arbeitsplätze in der Automobilindustrie gestrichen worden. In Summe geht es hier also um knapp 200.000 Menschen und die Familien, die zu diesen Menschen gehören. 2035 ist das Jahr, in dem nach Beschluss der Europäischen Union keine klassischenVerbrennungsmotoren mehr gebaut werden dürfen.

Auch der deutsche Software-Konzern SAP plant den Abbau von 5300 Stellen. Bosch ein Traditionsunternehmen und Sinnbild für deutsche Ingenieurskunst und weltweiten Erfolg, will fast 4000 Stellen abbauen. Weitere Unternehmen wie Webasto oder Evonik planen Stellenkürzungen im Umfang von ungefähr 1500 Stellen. Diese Zahlen hat die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft kürzlich veröffentlicht. Und die Liste ist sehr lang. Der deutsche Stahlkonzern ThyssenKrupp wird vor allen Dingen vom grünen Wirtschaftsminister stets gern als Vorbildunternehmen für die Energiewende, die Wasserstoffwirtschaft und als Vorreiter für sogenannten „grünen Stahl“ gelobt. Und auch dieser Konzern hat Stellenstreichungen in großen Stil angekündigt, ebenso wie Werkschließungen, weil ein "Weiter so!" im Konzern nicht möglich sei. Zwischen den Zeilen unschwer erkennbar bedeutet das, dass der hochgelobte Kurs in Richtung „grüner Stahl“ direkt in die Verlustzone und den Ruin führt und die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dieses politisch gewollte Experiment mit ihren Jobs bezahlen.

Eine Besserung für die Wirtschaft ist nicht in Sicht. Das Ifo-Institut verlautbare offiziell, dass die deutsche Wirtschaft fest in der Krise steckt der Sachverständigenrat für Wirtschaft pflichtet dem bei und vermeldet dass eine kräftige Konjunkturerholung weiter auf sich warten lässt. Der Internationale Währungsfonds geht davon aus, dass Deutschland, wenn überhaupt, im Jahr 2025 nur ein Mini Wachstum verzeichnen wird. Das Institut der Deutschen Wirtschaft sieht sogar Anzeichen dafür, dass die Arbeitslosigkeit in Deutschland wieder als ein bestimmendes Phänomen zurückkehrt. Die Gründe dafür, sind in dem genannten massenhaften Abbau von Arbeitsplätzen zu sehen. Gleichzeitig reiche die Schaffung neuer Arbeitsplätze in anderen Bereichen nicht aus, um die so entstehende Arbeitslosigkeit zu senken.

Und das Institut der Deutschen Wirtschaft schreibt zudem: „Ein weiterer Grund, ist vor allem in einer hohen Nettozuwanderung zu sehen. Bereits im Jahr 2022 lag der Wanderungsaldo bei 1,5 Millionen Personen. Für die Entwicklung der Arbeitslosigkeit war die Entscheidung von Bedeutung, die ukrainischen Geflüchteten ab Juni 2022 in den Rechtskreis SGB 2 („Bürgergeld“) zu überführen. Weil sie dort im Grundsatz dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, werden sie gegebenenfalls als arbeitslos registriert.“

Arbeitsplätze in Deutschland sind also massiv gefährdet, weil die Produktivität in Deutschland im internationalen Vergleich zu gering ist, gleichzeitig die Kosten am Standort zu hoch sind. Die Konkurrenz aus dem Ausland wird derweil immer härter, wie wir ja gerade unter anderem am Drama um Volkswagen sehen. Und die Digitalisierung, wie auch der Siegeszug von Künstlicher Intelligenz erhöhen den Wettbewerbs- und Kostendruck noch weiter. Dieses zuletzt genannte Thema spielt in der politischen Diskussion momentan fast gar keine Rolle. Obwohl hier die größten Gefahren und auch gleichzeitig größten Chancen für Produktivität, Wettbewerbsfähigkeit und Innovation in Deutschland lagen. Aber nach Meinung des Wirtschaftsministers, sind Klimaziele, Energiewende und E-Mobilität deutlich wichtiger, als revolutionäre Technologien, die neue und ungeahnte Chancen eröffnen könnten.

Eigentlich könnte man ja annehmen, dass vor diesem Hintergrund die Bereitschaft wächst, mehr zu arbeiten und mehr Leistung zu erbringen. Schlicht und einfach, um den eigenen Arbeitsplatz zu sichern. Allerdings scheint das Gegenteil der Fall. Die BKK Pronova veröffentlichte Anfang des Jahres die Ergebnisse einer Befragung unter Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zur sogenannten „Bettkantenentscheidung“. Ein Drittel der Befragten gab an, sich häufig oder manchmal krank zu melden, obwohl sie eigentlich arbeiten könnten. Deswegen „Bettkanten-Entscheidung“: Bequemer liegen zu bleiben, als aufzustehen und zum Job zu gehen („Arbeit nervt“). Das ist natürlich nur das Ergebnis einer Befragung und nicht unbedingt repräsentativ für alle. Aber es wirft schon ein Schlaglicht auf die Situation und die Einstellung im Land. Ebenfalls interessant ist ein Blick auf die Gründe, warum sich Menschen in Deutschland hauptsächlich krank melden. Die „Top Drei“ sind: Atemwege, psychische Gründe, Muskel und Skelett. Umgangssprachlich können wir das so übersetzen: Husten, Schnupfen, Heiserkeit; genervt vom Job; Bewegungsmangel und Unsportlichkeit („Ich hab´ Rücken...“). Ohne die sicherlich zum Teil ernsten Beschwerden verniedlichen oder kleinreden zu wollen: Ob die genannten Dinge wirklich immer eine "Arbeitsunfähigkeit" bedeuten… Da können wir durchaus ein Fragezeichen setzen. Oder um es mal direkt und sehr holzschnittartig auszudrücken: Sind wir Deutschen vielleicht mittlerweile etwas zu verweichlicht?

Diese Frage drängt sich auch schon fast auf, wenn wir auf die Ergebnisse einer Studie blicken, die das Berufsnetzwerk LinkedIn kürzlich veröffentlichte. Demnach fühlen sich nach dieser Forsa-Umfrage im Auftrag der kaufmännischen Krankenkasse und 43 Prozent der Berufstätigen massiv unter Druck. Fast jeder Zweite klagt also über zu viel Wettbewerb. Doch genau dieser Wettbewerbsdruck wird, wie oben bereits beschrieben, in Zukunft noch stärker werden. Sogar rund 70 Prozent aller deutschen Arbeitnehmer fühlen sich der schnellen Entwicklung vor allem durch Digitalisierung und Künstliche Intelligenz nicht gewachsen und fühlen sich überfordert. Beklagt wird hier vor allen Dingen eine zunehmende Arbeitsverdichtung, also immer mehr Aufgaben, die in die Arbeitszeit hineingepresst werden. Und auch hier müssen wir konstatieren, dass diese Arbeitsverdichtung in Zukunft gerade durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz noch weiter fortschreiten wird. Das ist in der Vergangenheit immer so gewesen. Alle neuen Technologien, die eigentlich die Arbeit bequemer und einfacher machen sollten, haben im Endeffekt dazu geführt, dass die Menge an Arbeit pro Arbeitnehmer ständig zugenommen hat. Der Grund liegt hier darin, dass Informationen schneller fließen und die Kommunikation ebenfalls schneller läuft und deswegen schneller gearbeitet und schneller entschieden werden muss. Und wie schnell KI arbeitet, das hat momentan sicherlich jeder von uns mitbekommen, seitdem es ChatGPT gibt. Die Anforderungen im Job und der Wettbewerbsdruck werden also garantiert wachsen.

Als ob es das alles nicht gäbe, bestimmen skurrile Diskussionen die Wirtschafts- und die Medienwelt. So wird doch tatsächlich darüber debattiert, ob Unternehmen nicht sogenannte Null-Bock-Tage einführen sollten. In Großbritannien und bei einigen großen Konzernen wie Microsoft gibt es sowas. Das bedeutet schlicht und einfach, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einfach nicht zur Arbeit kommen müssen, wenn sie eben gerade mal Null Bock haben. Diese Null-Bock-Tage kämen natürlich noch auf die Krankheitstage oben drauf (Null Bock ist ja etwas anderes als arbeitsunfähig). Und Urlaub kann man natürlich weiterhin im vollen Umfang nehmen. Denn der Urlaub ist ja garantiert und zur Erholung vom stressigen Jobleben da...

Auch die vier Tage Woche ist mittlerweile ein Dauerbrenner, der immer wieder diskutiert wird. Angeblich würde eine Vier-Tage-Woche die Arbeitszufriedenheit erhöhen, die Gesundheit schützen und zu höherer Produktivität führen. Das Institut der deutschen Wirtschaft hat das einmal überprüft und kommt zu dem nicht besonders überraschenden Ergebnis: Es gibt bei allen mittlerweile vielfach gemachten Versuchen und Projekten keinen Beleg dafür, dass diese Thesen auch nur annähernd stimmen. Aber solche Diskussionen und Forderungen erhöhen natürlich den „Kuschelfaktor“ in der öffentlichen Debatte und vermitteln weiter das Bild, dass Deutschland als „reiches Land“ mit einer ach so starken und international erfolgreichen Wirtschaft sich das alles natürlich locker leisten könnte. Und die Politik stimmt hier freudig mit ein und will die Menschen in diesem Land noch weiter verhätscheln.

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Grüne und Sozialdemokraten wollen die sozialen Sicherungssysteme kontinuierlich weiter ausbauen und denken sich immer neue Zusatzleistungen und soziale Dienste und Unterstützungen für sogenannte „gesellschaftliche Teilhabe“ aus, die den Alltag erleichtern und den Arbeitsstress verringern sollen. Natürlich soll auch das Bürgergeld kräftig erhöht werden. Und der Mindestlohn muss natürlich auch nach oben. Das hat der Bundeskanzler von der SPD ja sogar zur Chefsache und zum Wahlkampfthema erklärt. Über das Thema Renteneintrittsalter wird natürlich auch nicht geredet, denn das würde ja bedeuten dass man mehr und länger arbeiten müsste. Das ist selbst der CDU zu viel und zu heikel und deshalb hat Kanzlerkandidat Friedrich Merz dieses Thema auch schon zum Tabu erklärt.

Dass in dieser kommunikativen Gemengelage Ideen wie Wettbewerb, Leistung, Anstrengung und auch eine gewisse Fähigkeit Härten zu ertragen wie von einem anderen Planeten erscheinen, kann dann nicht mehr so ganz verwundern. Aber wir leben alle gemeinsam auf einem Planeten. Und der Rest dieses Planeten nimmt fatalerweise keine Rücksicht auf deutsche Politik-Märchen und Märchenerzähler.

*Andreas Moring ist Wirtschaftsprofessor und langjähriger Unternehmer in der Digitalwirtschaft aus Hamburg

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