Ausgerechnet bei Wirtschaftsfragen ignoriert die Regierung wissenschaftlichen Rat ... und gefährdet den Wohlstand!

vor 5 Monaten

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Rezession, Wohlstandsverluste und Fachkräftemangel bestimmen die Wirtschaftslage in Deutschland. Es geht dem Land nicht gut. Wie kommen wir da wieder raus? Die Wissenschaft kann Antworten geben und die unterschiedlichen Stellschrauben und politischen Maßnahmen für mehr Wachstum und Wohlstand im demografischen Wandel berechnen. Die Ergebnisse sind klar. Nur, ob diese Stimme der Wissenschaft politisch auch gehört wird, ist fraglich. Dabei gilt doch sonst immer „Listen to the scientists“…

Das Hamburgische Weltwirtschafts-Institut (HWWi) hat in seinem letzten Arbeitsmarktmonitor untersucht, welchen Effekt unterschiedliche Maßnahmen für den Arbeitsmarkt auf die weitere wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland haben werden. Dabei hat das HWWI gefragt und berechnet, welchen Effekt es hätte, wenn Frauen mehr in volle Erwerbstätigkeit gebracht werden würden, das Rentenalter erhöht werden würde, wenn es eine Zuwanderung von Fachkräften aus dem Ausland gäbe und wenn der technische Fortschritt, also die Digitalisierung und Automatisierung in der Wirtschaft, deutlich ausgebaut werden würde.

Erhöhte Vollzeitbeschäftigung von Frauen hätte einen mittleren Effekt auf den Arbeitsmarkt.

Den größten Effekt hätten dabei eine Erhöhung des Rentenalters und eine konsequente Digitalisierung und Automatisierung in der Wirtschaft. Einen mittleren Effekt, der immer noch deutlich spürbar und positiv wäre, hätte das verstärkte Arbeiten in Vollzeit von Frauen in Deutschland. Den mit Abstand geringsten Effekt hat die Zuwanderung von Fachkräften.

Diese Ergebnisse widersprechen damit allen Erzählungen, die wir aus der Politik, vor allem von Grünen, Linken und der SPD hören, aber auch dem, was uns die Union gerne weismachen will. Denn da sind sich Friedrich Merz und Olaf Scholz einig: Über die Rente soll im Wahlkampf nicht gesprochen werden und eine Erhöhung des Renteneintrittsalters ist ein absolutes Tabu. Auch Grüne und Linke und das Bündnis Sarah Wagenknecht hüten sich davor, über einen späteren Renteneintritt zu reden oder diesen gar zu fordern. Die FDP fällt hier aus dem Rahmen, wobei die Liberalen schon länger ein späteres Renteneintrittsalter fordern, beziehungsweise überhaupt eine Pflichtverrentung zu einem bestimmten Alter abschaffen wollen. Und auch die AFD hat in ihrem Programm „Freiheit beim Renteneintritt“ stehen und will es jeder Person selbst überlassen, wann er oder sie in Rente geht.

Scholz und Merz sind sich einig, das Thema Rente im Wahlkampf auszusparen.

Ganz ähnlich verhält es sich beim Thema Einwanderung. Linke, Grüne und Sozialdemokraten verbreiten seit Jahren und Jahrzehnten das Narrativ, dass mehr oder weniger unbegrenzt viele Menschen nach Deutschland kommen müssen, um die Fachkräfte-Lücke zu füllen und den Wohlstand in Deutschland zu erhalten.

Die Union hat diese Geschichte sehr lange miterzählt, ist jetzt allerdings deutlich skeptischer, zumindest in der Theorie und in der Programmatik. Wenn es um konkrete Maßnahmen in diesem Feld geht, scheut sich die Union jedoch davor, entsprechende Anträge in den Bundestag einzubringen. Die FDP spricht sich für eine kontrollierte und begrenzte Einwanderung von Fachkräften nach dem kanadischen Modell aus. Das bedeutet, dass nach einem Punktesystem, das an den Bedürfnissen der Wirtschaft orientiert ist, nur bestimmte Menschen mit bestimmten Qualifikationen in einer begrenzten Anzahl nach Deutschland einwandern dürfen. Die AFD fordert auch hier sehr Ähnliches, nur in vielen Bereichen noch strenger und restriktiver.

Was sagt nun die Wissenschaft? Es ist ja nicht zuletzt eine Forderung vor allen Dingen aus dem linken und selbst ernannten progressiven Lager, dass sich Politik strikt und objektiv an die Erkenntnisse der Wissenschaft halten sollte, um die besten Entscheidungen zu treffen ...

Zunächst einmal geht der Arbeitsmarkt-Monitor davon aus und berechnet, dass im Jahr 2024 noch ein Überschuss von Arbeitskräften in Deutschland von knapp einer halben Million Menschen zu verzeichnen ist. Doch schon im Jahr 2026 wird es bereits einen Arbeitskräftemangel in derselben Höhe, also von mehr als 500.000 Menschen geben. Im Jahr 2030 wird der Arbeitskräftemangel bei 2,85 Millionen Menschen liegen. Im Jahr 2040 wird der Mangel an Arbeitskräften bei 7,5 Millionen Menschen liegen und im Jahr 2045 sogar bei 9,3 Millionen Menschen, die dem Arbeitsmarkt fehlen.

Diese Zahlen berechnen sich unter den Voraussetzungen, dass die Erwerbsbeteiligung auf dem gleichen Stand bleibt wie heute, dass der technische Fortschritt im Mittelmaß weitergeht, dass das gesetzliche Renteneintrittsalter bei 67 Jahren liegt und dass es eine jährliche Zuwanderung von 300.000 Menschen mit ausreichender und guter Qualifikation nach Deutschland gibt. Wohlbemerkt: Selbst bei einer gesteuerten Einwanderung von 300.000 qualifizierten Menschen nach Deutschland pro Jahr wird es immer noch einen enormen Mangel an Fachkräften und Arbeitskräften in Deutschland von mehreren Millionen Menschen geben.

Wollte man also allein durch Zuwanderung das Fachkräfteproblem lösen, wie es in der Politik und in den öffentlich-rechtlichen Medien immer behauptet wird, so müssten in den nächsten 20 Jahren mindestens 9 Millionen Menschen nach Deutschland einwandern. Und diese Menschen müssten auch alle gut und sehr gut qualifiziert sein, so dass sie sofort oder zumindest möglichst schnell in den Arbeitsmarkt integriert werden können. Also ohne extra Integrationsmaßnahmen, Sprachkurse oder ähnliche Qualifikationsmaßnahmen, die normalerweise Monate und gar Jahre in Anspruch nehmen.

Illegale Migranten in einem Transporter, der von der Polizei in der Lausitz angehalten wurde.

Dass das völlig illusorisch ist, haben die letzten Jahre und Jahrzehnte der Einwanderung in Deutschland und Europa gezeigt. Was solche Zahlen in der Zuwanderung für die deutsche Gesellschaft und auch die deutschen Sozialsysteme bedeuten würden, können wir uns ausmalen, beziehungsweise relativ einfach ausrechnen. Denn es wären letztlich ja nicht nur 9 Millionen Fachkräfte, die hier nach Deutschland kämen, sondern mindestens die doppelte oder dreifache Anzahl an Menschen. Denn jeder Facharbeiter und jede Facharbeiterin würde höchstwahrscheinlich früher oder später weitere Familienangehörige nachholen. Also rund 20 bis 25 Millionen Menschen innerhalb der nächsten 20 Jahre bei einer Gesamtbevölkerung von knapp 85 Millionen Menschen.

Nach den Berechnungen wäre auch der Wachstumseffekt einer erhöhten Zuwanderung für die deutsche Volkswirtschaft mehr als mickrig. Sie läge je nach Region in Deutschland zwischen 0,01 und 0,06 Prozent pro Jahr. Wir können also aufgrund der wissenschaftlichen Analysen und der objektiven und statistischen Berechnungen mit Fug und Recht feststellen: Eine Einwanderung von 300.000 bis 350.000 qualifizierten Fachkräften pro Jahr nach Deutschland würde dafür sorgen, dass die Konjunktur und das Wohlstandsniveau in Deutschland auf dem Niveau des Status quo gehalten werden kann. Aber ein auch nur halbwegs nennenswertes Wachstum wird es dadurch nicht geben. Egal ob 0,01 Prozent oder 0,06 Prozent – beides ist praktisch Nullwachstum. Und selbst das gilt nur unter den optimalen Voraussetzungen, dass all diejenigen, die hierher kommen auch gut qualifiziert sind und schnell in den Arbeitsmarkt integriert werden können. Das Ziel aller Bundesregierungen seit der deutschen Einheit 1990, egal unter wessen Führung, und auch aller Wirtschaftsinstitute in Deutschland für ein angemessenes Wachstum liegt im Vergleich dazu bei jährlich zwei bis drei Prozent. Das sind völlig andere Dimensionen.

Andere Maßnahmen hätten hier einen viel höheren und viel positiveren Effekt. Diese sind aber bezeichnenderweise politisch nicht gewollt oder die Politik ist in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten daran gescheitert, sie konsequent umzusetzen.

Seit Ewigkeiten wird darüber debattiert, dass die Erwerbstätigkeit von Frauen, insbesondere Müttern, in Deutschland erhöht werden muss. 69 Prozent der Mütter minderjähriger Kinder sind laut Statistischem Bundesamt aktuell erwerbstätig. Allerdings sind viele davon nicht in Vollzeitstellen, sondern mit reduzierter Arbeitszeit zwischen zwei und vier Tagen in der Woche, also in Teilzeitmodellen. Dabei schwanken die Zahlen hier je nach Branche, weil in einigen Bereichen Teilzeit eher und besser möglich ist als in anderen.

Eine Erhöhung der Vollzeit-Erwerbstätigkeit von Frauen würde den Fachkräftemangel dämpfen und die Konjunktur und das Wirtschaftswachstum stützen. Das Problem des Arbeitskräftemangels würde aber natürlich nicht gelöst. Auch mit einer deutlich höheren Erwerbstätigkeit von Frauen gäbe es im Jahr 2030 immer noch einen Fachkräftemangel von rund 680.000 Menschen in Deutschland, und im Jahr 2040 einen Fachkräftemangel von rund 4,8 Millionen Menschen. Der jährliche Wachstumseffekt läge hier bei immerhin 0,1 Prozent. Der Effekt wäre also mindestens doppelt so hoch wie der Effekt von qualifizierter Einwanderung.

Noch stärker würde sich eine konsequente Rentenreform bemerkbar machen. Und die müsste noch nicht mal besonders weitgehend sein. Wenn das Rentenniveau zwischen 2025 und 2030 in mehreren Schritten von 67 auf 70 Jahre erhöht werden würde, dann hätte dies einen jährlichen Wachstumseffekt von 0,2 Prozent zur Folge. Diese Maßnahme würde also doppelt so stark wirken wie die Erhöhung der Vollzeit-Erwerbstätigkeit von Frauen und mindestens viermal so stark wirken wie die Einwanderung von qualifizierten Fachkräften.

Anders ausgedrückt: Menschen länger in ihrem Job arbeiten zu lassen, bringt für die Wirtschaft und die Gesellschaft am meisten, wenn man politische Maßnahmen und Entscheidungen miteinander im Hinblick auf ihre Effektivität hin vergleicht.

Man könnte hier sogar noch weiter denken und weiter diskutieren, ob ein Rentenalter mit 70 überhaupt noch zeitgemäß ist oder ob man mit der Zeit nicht noch weiter gehen könnte, auf beispielsweise 75 Jahre. Dann wäre der Wachstums- und Wohlstandseffekt logischerweise noch höher.

Den größten Effekt hätte nach den Berechnungen allerdings eine konsequente Digitalisierung und Automatisierung der Wirtschaft in Deutschland. Das kann politisch allerdings nicht so einfach beschlossen und umgesetzt werden wie beispielsweise eine Erhöhung des Rentenalters. Hier kommt es vor allen Dingen darauf an, die Rahmenbedingungen entsprechend zu gestalten und Forschung und Entwicklung konsequent und gezielt zu fördern. Wirtschaftswissenschaftler sprechen hier von der sogenannten „Faktor-Produktivität“. Das bedeutet, dass Arbeitsplätze mit einem steigenden Grad an Digitalisierung und Automatisierung immer leistungsfähiger und damit produktiver werden.

Eine hohe Produktivität ist entscheidend im internationalen Wettbewerb, wenn sich eine Volkswirtschaft einen Sozialstaat und einen hohen Lebensstandard leisten will. Genau das gilt für Deutschland. Genauso wie für ganz Europa. Deswegen ist der technische Fortschritt so wichtig, nicht nur für die Unternehmen und deren Gewinne, sondern für die Stabilität und den nachhaltigen Wohlstand der Gesellschaft.

Der genaue Effekt einer steigenden Produktivität durch Digitalisierung und Automatisierung lässt sich schwerer voraussagen und berechnen, weil niemand wirklich voraussehen kann, welche Technologien in den nächsten fünf, zehn oder gar zwanzig Jahren erfunden werden und welche Effekte sie haben. Was sich aber schon berechnen lässt, ist die Tatsache, dass technischer Fortschritt in der Lage ist, ein Wachstum zwischen einem und zwei Prozent pro Jahr zu erzeugen. Das ist also schon ziemlich nah an der Zielmarke von zwei bis drei Prozent Wirtschaftswachstum allein durch Forschung und Entwicklung, Technisierung und Digitalisierung. Hier liegt also der größtmögliche Hebel für Wachstum, Wohlstand und den Umgang mit dem demografischen Wandel.

Und die Politik müsste noch nicht einmal viel beschließen oder gar lenken und steuern! Sondern Forschern, Erfindern und Unternehmen einfach die Freiheit und die Rahmenbedingungen geben, damit sie neue Technologien entwickeln und auch einsetzen.

Die Ergebnisse sind also ganz klar und auch die Botschaft der Wissenschaft: Technologieoffenheit und Innovationsfreude zusammen mit konsequenter Digitalisierung und Automatisierung in der Wirtschaft haben den größten Effekt für Wachstum und Wohlstand.

Die mit Abstand wichtigste politische Entscheidung für Wohlstand und Stabilität ist eine ehrliche und konsequente Erhöhung des Rentenalters in Deutschland. Eine Erhöhung der Vollzeit-Erwerbstätigkeit von Frauen kann ebenfalls einen nennenswerten Beitrag zum Wirtschaftswachstum und für unseren Wohlstand leisten.

Eine Einwanderung von qualifizierten Fachkräften (wobei diese so qualifiziert sein müssen, dass sie praktisch sofort in Deutschland arbeiten können!) in einem Umfang von 300.000 Menschen pro Jahr hat mit Abstand den geringsten Effekt und erzeugt praktisch kein Wirtschaftswachstum, kann aber die Folgen des Arbeitskräftemangels durch den demografischen Wandel durchaus bremsen und abschwächen.

Es wird im kommenden Wahlkampf spannend zu sehen sein, welche Politiker und Parteien auf die Wissenschaft hören – oder auch nicht.

Mehr von Andreas Moring:Wer die Schuldenbremse angreift, ist der wahre Demokratie-Feind

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