Wirtschaftswarntag: Der Staatsapparat simuliert Diskurs

vor 3 Monaten

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Bildquelle: Tichys Einblick

Demonstrationen, so sagt man, seien die Lieblingsbeschäftigung der Berliner. Doch lernt man hier schnell zwischen zwei Sorten von Protesten zu unterscheiden. Auf der einen Demonstration dominieren Sprechchöre und Gesang das Klangbild. „Gaaanz Börlin hassst die Ahh Effff Dehhh“ ist eine beliebte Parole der „gegen Rechts“-Demos am Brandenburger Tor. „Yallah Yallah Intifada“ schallt oft durch die Straßen Neuköllns. Es sind die Demonstrationen der angeblich gutmeinenden Amateure, die mit selbstgebastelten Schildern durch die Stadt ziehen. Aus innerem Bedürfnis treibt es sie auf die Straße.

Der „Wirtschaftswarntag“ an diesem Mittwoch gehörte zur anderen Sorte. Schon das Klangbild gibt einen Hinweis darauf. Sprechpausen der – offensichtlich ungeübten – Redner wurden nicht mit Sprechchören gefüllt, sondern mit dem Klappern von Ratschen. Man kennt die Teile aus billigem Plastik, die man schwenkt und schwenkt und sich dabei nicht nur halb lächerlich macht.

„Zufrieden“ sei man, sagte der Pressesprecher des „Aktionsbündnis Wirtschaftswarntag“, dass so viele Menschen gekommen seien, gegenüber Tichys Einblick. Einige Hundert Menschen waren am Brandenburger Tor versammelt. 140 Verbände und 180 Unternehmen hatten aufgerufen, am Wirtschaftswarntag teilzunehmen. Zumindest die Mitarbeiter der Verbandsbüros im Regierungsviertel waren vor Ort. Dafür gab es wohl auch die Ratschen – ein Sprechchor bringt nur etwas, wenn die Teilnehmer vom Inhalt überzeugt sind. Auch Schilder im Corporate Design der Demonstration haben die Veranstalter vorbereitet. Sonst hätte die Demonstration ganz ohne auskommen müssen.

Ein erheblicher Teil der Teilnehmer bestand aus Journalisten. Welt, Tichys Einblick, WDR, rbb, Junge Freiheit, und die Vertreter verschiedenster Auslandsmedien gingen durch die Menge auf der Suche nach einem Interviewpartner, den nicht schon ein anderer Kollege angesprochen hatte. Ein geschäftstüchtiger Mann versuchte seine Obdachlosenzeitung an die Leute zu bringen. Mitarbeiter aus FDP-Abgeordnetenbüros verteilten Flugblätter. Aus dem Bundestag kamen Politiker der CDU und FDP vorbei. Eine Sitzungspause im Bundestag überschnitt sich mit der Demonstration. Zufälligerweise.

Begeistert wurden sie von den Rednern – Vertreter dieses oder jenen Wirtschaftsverbandes – empfangen. Wolfgang Kubicki (FDP), Christian Lindner (FDP), Jens Spahn (CDU), Marko Buschmann (FDP), Bettina Stark-Watzinger (FDP) und allerlei andere schwarz-gelbe Granden nahmen den kurzen Spazierweg aus dem Sitzungssaal des Reichstages zum Brandenburger Tor auf sich.

„Das hier ist Notwehr der Deutschen Wirtschaft, denn sie findet kein Gehör beim deutschen Kanzler“, so Julia Klöckner (CDU) zu Tichys Einblick.

Die AfD war nicht (offiziell) vertreten. Die Demonstration sei „nicht unpolitisch aber unparteiisch“ hatte der Eröffnungsredner gesagt. Den versammelten Verbänden und Unternehmen sei aber wichtig, zu Beginn ein „Bekenntnis für Vielfalt“ und irgendwas abzulegen. Irgendwas, weil der Redakteur sich nicht die Mühe machte, den Rest der Worthülse mitzuschreiben. Und später: Für solche, die den Euro abschaffen oder gar aus Europa austreten wollen, sei kein Platz auf dieser Demonstration. Aber Robert Habeck, der der deutschen Wirtschaft so nachhaltig geschadet hat, wie kaum ein zweiter, war natürlich auch eingeladen. Er konnte aber nicht.

Unternehmer und Selbstständige sind nicht dafür bekannt, gerne zu demonstrieren. Dass ein Unternehmer, der am Mittwoch um 13:00 Uhr Zeit hat, um zu demonstrieren womöglich bald kein Unternehmer mehr ist, kommt den Verbänden aber nicht in den Sinn. Für sie ist das – und das sagt leider auch sehr viel aus – eine praktische Uhrzeit: Nach der Mittagspause, vor Arbeitsschluss. Politiker, die vorbeischauen wollen, brauchen dafür auch keinen Wahlkampftermin aufzugeben.

Selbstverständlich gab es eine Gegendemonstration gegen den Unternehmer-Protest, die also eigentlich eine Funktionärs-Demo war. Ein Dutzend Mitarbeiter des Deutschen Gewerkschaftsbunds hatten sich mit Fahnen und Flugblättern auf der anderen Straßenseite positioniert. Ihr Argument: „Deutschland hat kein Standortproblem, sondern ein Vorstandsproblem“.

Dass sich das Flugblatt wie ein SPD-Parteiprogramm liest, ist sicherlich auch nur einer dieser Berliner Zufälle – oder wie der zufällig vorbeikommende TV-stichwortgebende Demonstrant.

Mitglied einer DGB-Gewerkschaft sind sie explizit nicht, erklärte eine Gegendemonstrations-Teilnehmerin. Ihre Ratschen haben sie wohl vergessen – spätestens zum Arbeiterkampftag werden sie aber hervorgeholt werden.

Von Verbänden bezahlte Mitarbeiter demonstrieren gegen die Mitarbeiter von Verbänden, die demonstrieren, damit Politiker sich präsentieren können. Der Staatsapparat und sein Vorfeld simulieren Diskurs.

In der Menschenmenge versprengt waren sogar vereinzelt einige Unternehmer. Ein Handwerker, noch in Arbeitskluft. Ein Immobilienverwalter aus Berlin, der seine Belegschaft mitgebracht hat. Dessen Versuch, einen Sprechchor „Habeck muss weg“ anzustimmen, etwas kläglich scheiterte. Die bühnennahen Verbandsmitarbeiter waren mit dem Schwenken ihrer Ratschen beschäftigt.

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