Wirtschaftsweise warnen Merz und Klingbeil vor der Konsumfalle

vor 25 Tagen

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Einzelne Worte im Journalismus haben ihre Konjunktur. Etwa der Begriff der “Zusätzlichkeit”. Der spielte nach den Hartz-Reformen unter Kanzler Gerd Schröder (SPD) eine gewisse Rolle. Rot-Grün hatte Arbeitgebern ermöglicht, billige “Ein-Euro-Jobber“ einzustellen, die sich im Wesentlichen von Hartz-IV ernährten. Aber diese Jobs mussten “zusätzlich” sein. Das heißt: Sie durften nicht zu der regulären Wirtschaft in Konkurrenz treten, die mit ihrer Arbeit Sozialversicherungspflichtige finanzieren. Das funktionierte nicht. Vor allem die in Deutschland mächtige und skrupellose Sozialindustrie missbrauchte die Ein-Euro-Jobs, um Kneipen, Läden, Handwerkern oder Trödlern Konkurrenz zu machen. Nach einer Studie des Gewerkschaftsbundes DGB gab knapp die Hälfte der befragten Ein-Euro-Jobber an, die gleiche Arbeit wie regulär beschäftigte Kollegen zu verrichten. Das Image der Ein-Euro-Jobs war so schlecht, dass die Politik nicht mehr wollte, dass sie so genannt werden – und sie öffentlich auch nicht mehr bewarb. Damit verschwand auch der Begriff der “Zusätzlichkeit” aus der Berichterstattung

Nun ist er zurück. Der Sachverständigenrat für die Wirtschaft hat diesen in der aktuellen Debatte um die Schuldenpolitik der schwarz-roten Bundesregierung gesetzt. Die “Wirtschaftsweisen” messen ihm entscheidende Bedeutung für die Zukunft der deutschen Wirtschaftskraft bei. Die Regierung Friedrich Merz (CDU) hat sich selbst neuen finanziellen Spielraum verschafft, indem sie die Schuldenbremse in der Verfassung aufgeweicht hat – und sich so zusätzliche Schulden von bis zu einer Billion Euro ermöglicht. Nutzt die Regierung diesen Spielraum wie versprochen für zusätzliche Investitionen in die Infrastruktur, so sind die Wirtschaftsweisen überzeugt, kann sie die deutsche Wirtschaftskraft bis zur nächsten Wahl im Jahr 2029 um über fünf Prozent erhöhen. Gibt die Regierung das Geld aber für Konsumausgaben aus, schrumpfe die Wirtschaftskraft in dieser Zeit sogar.

Die strukturelle Wirtschaftskraft wohlgemerkt. Nicht das aktuelle Wachstum. In diesem Bereich machen die Wirtschaftsweisen das Gleiche wie die Bundesregierung und die EU: Sie geben optimistische Prognosen ab, die sie dann später nach unten korrigieren müssen. Entgegen der bisherigen Aussage der Weisen wachse die deutsche Wirtschaft dieses Jahr nicht, sondern stagniere. Aber nächstes Jahr gehe die Fahrt los mit einem Wachstum von 1,0 Prozent. Nach der Prognose ist vor der Korrektur. Veronika Grimm, die Sprecherin des Expertenrats, hofft auf staatliche Investitionen in die Bau- und Rüstungswirtschaft, um diesen Wachstums-Effekt nächstes Jahr zu erreichen.

Wobei der Bereich der Verteidigung zeigt, auf welch dünnem Fundament das Versprechen der schwarz-roten Regierung auf Zusätzlichkeit steht. Das “Sondervermögen” für “Investitionen in die Infrastruktur” haben Merz und sein Finanzminister Lars Klingbeil (SPD) auf 500 Milliarden Euro begrenzt. Für die Verteidigung wollen sie unbegrenzt viel Geld ausgeben. “Whatever it takes”, wie es Merz ausdrückt.

Für die Wirtschaftsweise Ulrike Malmendier zeigt sich da ein erster Riss in der Argumentationskette: Eigentlich gehöre die Verteidigung zu den Kernaufgaben des Bundes und müsste folglich aus dem Kernhaushalt bezahlt werden. Doch die Argumentation von Merz und Klingbeil lasse darauf schließen, dass sie den Aufwuchs in den Verteidigungsausgaben ausschließlich über Schulden zahlen wollen. Auch Ausgaben für den Verteidigungsbereich seien Konsumausgaben, argumentiert Malmendier: “Wenn wir Verteidigung nicht aus dem Haushalt bezahlen können, leisten wir uns im konsumtiven Bereich zu viel.”

Diesen konsumtiven Bereich werden Merz und Klingbeil mit dem neuen Schuldengeld füttern, fürchtet Malmendier. Als Beispiele nennt sie die geplante Senkung der Gastrosteuer, die Mütterrente oder die Subventionierung des Agrardiesels. Das Geld, das Schwarzrot an die Länder und in den Klimafonds geben will, stehe noch gar nicht unter klaren Regeln, die sicherstellen, dass es für Zusätzlichkeit ausgegeben wird. Deswegen fordert Malmendier, dass es eben diese klaren Regeln für den Kernhaushalt geben muss, wie hoch darin die Investitionsausgaben sein müssen. So will die Weise verhindern, dass Merz und Klingbeil etwa den Straßenbau künftig nur noch über das Schuldenpaket bezahlen, um dann das im regulären Haushalt frei gewordene Geld für Konsumausgaben zu verheizen. Etwa für das Bürgergeld.

Die Schuldenbremse ist nationales Recht. Union und SPD konnten sie daher – mit Hilfe von Grünen und Linken – aufweichen. Doch es gibt auch auf EU-Ebene Schuldengrenzen. Um die Stabilität des Euro nicht zu gefährden, dürfen sich die Mitgliedsstaaten nicht um mehr als 60 Prozent ihres Bruttoinlandproduktes verschulden. Schon jetzt steht Deutschland bei 62,5 Prozent, wie die Deutsche Bundesbank mitteilt. Die Folgen der anstehenden Schuldenorgie von Merz und Klingbeil sind da noch nicht eingerechnet.

Entsprechend waren die Wirtschaftsweisen in ihren Einschätzungen uneinig. Einige wollten der Bundesregierung sagen, wie heikel es wäre, wenn Deutschland bewusst noch viel stärker als ohnehin gegen die Stabilitätskriterien des Euro verstoßen würde. Andere aus dem Beraterteam der Bundesregierung sichern ihre Beraterposition damit ab, dass sie der Regierung sagen, das schon ok sei, was die so mache.

Noch hat die Bundesrepublik nicht mal für das laufende Jahr einen Haushalt. Den will Finanzminister Klingbeil nächsten Monat einbringen, im September soll der Bundestag diesen dann beschließen. Folglich muss es noch etwas von Spekulation haben, sich zu fragen, ob die Bundesregierung das zusätzliche Schuldengeld tatsächlich für Zusätzlichkeit ausgibt – oder einfach nur konsumtive Lieblingsprojekte puscht. Dass Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) die rot-grünen NGOs noch stärker pampern will mit Geld aus den Töpfen der “Demokratieförderung”, zeigt, dass Sparwille in Berlin noch nicht heimisch ist. Oder Problembewusstsein.

Ein tiefergehender Blick bestätigt diese Tendenz. Etwa ein Blick auf die bisherigen Ausgaben für Verkehrswege. Das Kernstück einer jeden Infrastruktur. Da liegen jetzt die endgültigen Zahlen für 2023 vor. Demnach gab die Ampel in dem Jahr rund zehn Milliarden Euro für den Bau und die Erhaltung von Schienen aus. Für die Fernstraßen des Bundes waren es zwölf Milliarden Euro – neun Milliarden Euro davon waren reine Investitionen. Für die Wasserstraßen gab die Ampel im Jahr 2023 immerhin noch anderthalb Milliarden Euro aus. Zusammen kommen also Ausgaben für Verkehrswege in Höhe von rund 24 Milliarden Euro. Ganz ohne “Sondervermögen” und bei (halbwegs) ernst gemeinter Schuldenbremse.

Schon bei dieser Ausgabenhöhe hatte der damalige Verkehrsminister Volker Wissing – erst FDP, dann parteilos – Probleme, diese Projekte umzusetzen. Nicht nur wegen der Finanzierung. Um diese Bauvorhaben zu planen, umzusetzen und zu kontrollieren, braucht es eine gewisse Zahl an Fachkräften in den Verwaltungen des Bundes und der Länder, die etwa den Autobahnbau vor Ort praktisch umsetzen. Von diesen Fachkräften standen Wissing in manchen Projekten zu wenige zur Verfügung.

Wissings Nachfolger Patrick Schnieder (CDU), ebenfalls aus Rheinland-Pfalz, kann jetzt mehr Geld beanspruchen. Zumindest die Wirtschaftsweisen hätte er auf seiner Seite. Denn Ausgaben in seinem Bereich erfüllen am ehesten das Kriterium der Zusätzlichkeit. Doch das Problem mit den fehlenden Fachkräften in der Verwaltung existiert ja nun einmal weiter. Würde Schnieder pro Jahr 50, 80 oder 100 Milliarden Euro für Verkehrswege ausgeben, würde sich dieses Fachkräfteproblem umso dramatischer auswirken.

Falls. Denn genau an dieser Stelle droht Schwarz-Rot in die Konsumfalle zu treten, vor der sie ihre Berater warnen. Wenn Klingbeil die Ausgaben für Verkehrswege künftig übers “Sondervermögen” bezahlt, weil sie eindeutig die Kriterien der Zusätzlichkeit erfüllen. Aber wenn dann gleichzeitig die Ausgaben für Verkehrswege aus dem regulären Haushalt wegfallen oder der Minister sie nicht mehr abruft. Dann stünde das Geld nämlich für Konsumausgaben bereit: Sei es die Mütterrente, das Bürgergeld oder die staatliche Finanzierung von NGOs.

Als es um die Ein-Euro-Jobs ging, haben nur wenige tapfere Journalisten darauf hingewiesen, dass die Zusätzlichkeit eingehalten werden müsse. Einsame Warner in der Wüste. Am Ende musste sogar die Agentur für Arbeit eingestehen, dass mit dem Instrument vier Prozent der regulären Jobs verdrängt worden seien. Eine ähnliche “Erfolgsbilanz” droht der Zusätzlichkeit, wenn es um die Frage geht, ob Schwarz-Rot die massive Verschuldung für Investitionen ausgibt – oder für Konsum verballert. Es hängt viel davon ab, sagen zumindest die Wirtschaftsweisen: fünf Prozent höhere Wirtschaftskraft. Deutschland braucht diese Stärkung dringend. Etwa um Aufgaben zu finanzieren, die sich aus der Alterung der Gesellschaft ergeben. Oder ein Schrumpfen der Wirtschaftskraft. Dann schlittert das Land angesichts der besagten Aufgaben in eine soziale Katastrophe, die sich heute nur eine Minderheit ausmalen kann.

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