
Auch im fertigen Koalitionsvertrag von Union und SPD finden sich viele Stellen wo man sich am Ende nicht einigen konnte. Stattdessen werden ganze Themenbereiche zur „Prüfung“ oder aber eine neue Kommission abgegeben, die später eine Antwort erarbeiten sollen. Fast 90 solcher Prüfaufträge werden im Koalitionsvertrag angekündigt, während sich die Verhandler durch das Einführen von mehr als einem dutzend Kommissionen konkrete Versprechen im Papier sparen und so die Lösungen an andere auslagern. Ergebnis: völlig offen.
Das bisher wahrscheinlich bekannteste Vorhaben ist dabei die Expertenkommission, die „unter Beteiligung des Deutschen Bundestages und der Länder“ einen „Vorschlag für eine Modernisierung der Schuldenbremse“ entwickeln und so „zusätzliche Investitionen in die Stärkung unseres Landes“ ermöglichen soll. Bis Ende 2025 soll hier bereits ein Ergebnis vorliegen.
Und auch bei der Stabilisierung der gesetzlichen Krankenversicherungen, die in den vergangenen Monaten massiv ins Defizit gerutscht sind, nimmt der Koalitionsvertrag eine Kommission in die Pflicht, statt eigene Stabilisierungsanstöße zu liefern. Experten sollen stattdessen bis 2027 Vorschläge zur Stabilisierung der Beiträge und der Kassenfinanzierung machen. Tatsächlich soll auch die „Corona-Pandemie umfassend im Rahmen einer Enquete-Kommission“ aufgearbeitet werden, allerdings „insbesondere um daraus Lehren für zukünftige pandemische Ereignisse abzuleiten“.
Auch bei der Reform des Sozialsystems berufen sich Union und SPD auf eine Kommission. Die designierten Regierungspartner versprechen zwar, dass die Leistungen zusammengefasst und „besser aufeinander“ abgestimmt werden sollen. Zudem sollen „immer Anreize bestehen, ein höheres Erwerbseinkommen zu erzielen“ – wie genau, wird aber nur vage angeschnitten.
Stattdessen wird eine Kommission „zur Sozialstaatsreform gemeinsam mit Ländern und Kommunen mit dem Auftrag zur Modernisierung und Entbürokratisierung“ angeführt, die noch im vierten Quartal dieses Jahres die Vergabe der Sozialleistungen überprüfen und ein Ergebnis präsentieren soll – ein zeitkritisches Vorhaben.
Das SPD-Vorhaben, das Rentenniveau bis 2031 auf 48 Prozent zu halten, ist als Versprechen enthalten, wie das aber umgesetzt wird, soll die Rentenkommission erarbeiten. Das einzige dahingehend Konkrete im Koalitionsvertrag bezüglich des Rentenniveaus lautet: „Die Mehrausgaben, die sich daraus ergeben, gleichen wir mit Steuermitteln aus“ – um den Rest soll sich die Kommission bis zur Mitte der Legislatur kümmern und „eine neue Kenngröße für ein Gesamtversorgungsniveau über alle drei Rentensäulen prüfen“ – gemeint sind die betriebliche, die öffentlich-rechtliche und die private Altersvorsorge.
Unter dem Aspekt der Gleichstellung erklären es Union und SPD außerdem zum Ziel, „eine Gesellschaft, in der Frauen und Männer gleichberechtigt und respektvoll miteinander leben – im Beruf, in der Familie und in der Politik“ zu schaffen. „Wir werden eine Kommission einsetzen, die bis Ende 2025 dazu Vorschläge macht“, heißt es im Koalitionsvertrag.
Geplant ist zudem das Fortbestehen der Mindestlohnkommission, weil der Mindestlohn weiter steigen soll. Eingeführt werden sollen auch Kommissionen für „Kinder und Jugendschutz in der digitalen Welt“, zur Ausgestaltung des Medizinstudiums und eine Nord-Süd-Kommission, um die Zusammenarbeit mit dem Globalen Süden zu verbessern – dessen Länder das Entwicklungsministerium jährlich bereits mit Milliardenbeträgen unterstützt, etwa im Kampf gegen den Klimawandel.
Zu jenen Entwicklungsländern zählt auch immer noch China – auch wenn Deutschland hierhin kein Geld mehr überweist. Das Land ist mittlerweile großflächig technologisiert und hat sich „zu einem systemischen Rivalen entwickelt“, hieß es noch in der Arbeitsgruppe Außen. Doch diese Formulierung wurde leicht abgeschwächt: „Wir müssen feststellen, dass die Elemente systemischer Rivalität durch Chinas Handlungen mittlerweile in den Vordergrund gerückt sind. Vor diesem Hintergrund werden wir einseitige Abhängigkeiten abbauen“, heißt es jetzt im Koalitionsvertrag. Auch dahingehend soll aber eine Expertenkommission im Bundestag einberufen werden.
Ebenfalls geplant ist eine Expertenkommission für „Wettbewerb und Künstliche Intelligenz“, die beim dann voraussichtlich CDU-geführten Bundeswirtschaftsministerium angesiedelt werden soll. Ebenso soll eine Kommission von Bund und Ländern zur Entbürokratisierung eingerichtet werden – wobei im Koalitionsvertrag auch hier mit weiteren Details gespart wird. Wie bereits angekündigt soll eine Wahlrechtskommission überdies „die Wahlrechtsreform 2023 evaluieren und im Jahr 2025 Vorschläge unterbreiten“, wie dieses System fortgeführt oder abgeändert werden könnte.
In anderen Fällen möchten die designierten Koalitionäre die Empfehlungen bereits bestehender Kommissionen umsetzen, etwa beim Strukturwandel, dem auch der Kohleausstieg bis 2038 angehört oder der „Modernisierung der Zivilprozessordnung“. Auch die Strafprozessordnung soll reformiert und dahingehend eine Kommission eingesetzt werden.
Aus dem Koalitionsvertrag ergeben sich also mindestens 14 neue Kommissionen und die Weiterführung bereits bestehender Gremien. Während das Versprechen der Einführung von Kommissionen den Verhandlern konkrete Textversprechen ersparte, beinhalten manche Kommissionsvorschläge brisante Vorhaben.