“Wohlfahrt”: Verbände fordern mehr Arme

vor etwa 3 Stunden

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Bildquelle: Tichys Einblick

Es gibt in Deutschland Armut, die wir sehen. Etwa Rentner, die Flaschen aus dem Müll kramen müssen, um ihren Lebensabend zu finanzieren. Dann gibt es Armut, die wir nicht sehen. Etwa, wenn Familien sich ab dem 25. des Monats nur noch von Nudeln ernähren und das Kind sich krank meldet, weil die alleinerziehende Mutter nicht genug verdient, um die Klassenfahrt finanzieren zu können. Letztlich gibt es dann noch die Armut, die wir zählen – und um die ist jetzt ein Streit entbrannt.

Die 27 Mitgliedsstaaten hatten bisher unterschiedliche Definitionen für Armut und damit auch unterschiedliche Zählweisen für Armut. Deswegen hat die EU darauf bestanden, dass alle die gleiche Zählweise übernommen – so ließen sich die Zahlen der Staaten miteinander vergleichen. Für Brüssel eine erstaunlich sinnvolle Idee.

Das Statistische Bundesamt hat zuerst die europäische Zählweise übernommen, an der deutschen gleichzeitig aber festgehalten und beides gemeinsame veröffentlicht. Jetzt hat das Amt die deutsche Zählweise eingestellt. Nach der europäischen Rechnung kommt Deutschland auf eine Armutsquote von 15,5 Prozent – vorher waren es 16,6 Prozent. Das entspricht mehr als einer Million Betroffenen.

Faktisch gibt es durch die Statistik nicht einen Rentner weniger, der Flaschen sammeln muss oder keine Alleinerziehende, die arbeiten geht, und ihre Kinder trotzdem nicht auf Klassenfahrten schicken kann. Aber die Sozialverbände kämpfen trotzdem um ihre Statistik. Sie wollen keinen ihrer Armen verlieren.

30 “Armutsforscher” haben jetzt einen Protestbrief ans Statistische Bundesamt verfasst. Unter den Autoren ist der ehemalige Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverband, Ulrich Schneider. Dem Redaktions Netzwerk Deutschland sagte er, die Armut sei damit “mal eben um mehr als eine Million Menschen geringer”. Als ob das was Schlechtes wäre, wenn es stimmen würde.

Nun ja. Für die Wohlfahrtsverbände schon. Armut ist ihre Existenzberechtigung. Ihr Geschäftsmodell. Und es fließen Summen, die deutlich größer sind als Beträge, für die schon Morde begangen oder Kriege gestartet worden sind: 1,3454 Billionen Euro betragen die Sozialleistungen in Deutschland im Jahr, wie das Fachportal Sozialpolitik-Aktuell recherchiert hat. Noch die letzte Zahl hinter dem Komma steht dabei für 400 Millionen Euro.

Den größten Posten der 1,3454 Billionen Euro beanspruchen die Sozialversicherungen mit rund 800 Milliarden Euro im Jahr, wovon wiederum 410 Milliarden an die Renten- und 330 Milliarden Euro an die Krankenversicherung gehen. Rund 60 Milliarden Euro fließen demnach ins Bürgergeld mit all seinen Nebenkosten und 130 Milliarden Euro in die Jugend-, Sozial- und Eingliederungshilfe – dem Kerngeschäft der Wohlfahrtsverbände.

Wobei auch die statistische Erfassung von Sozialpolitik-Aktuell – bei allem Bemühen um Redlichkeit – an ihre Grenzen stößt. Stoßen muss. Wenn Angehörige zuhause bleiben, um ihre Alten und Kranken zu pflegen oder wenn alleinerziehende Beschäftigte auf alles für sich selbst verzichten, um dem Kind doch noch den Schulausflug zu ermöglichen, sind das auch Sozialleistungen. Sogar welche, die das individuelle Armutsrisiko maximal erhöhen.

Was an den Zahlen von Sozialpolitik-Aktuell trotzdem auffällt: Den größten Posten der Sozialleistungen erwirtschaften Private – Betriebe und Beschäftigte mit ihren Abgaben auf den Bruttolohn. Die staatlichen Ausgaben fallen im Vergleich dazu eher gering aus. Andere Daten machen deutlich, dass die Betriebe und ihre Beschäftigten – auch “die Wirtschaft” genannt – an die Grenzen dessen stoßen, was sie leisten können.

Dass Sozialverbände nun für höhere Armutszahlen kämpfen, klingt nicht nur schräg. Es ist schräg. Es zeigt und erklärt letztlich, wie und warum das deutsche Sozialwesen dysfunktional geworden ist. Die Forderung, der Starke müsse den Schwachen abgeben, ist so beliebt, dass immer mehr Geld durch die Kassen des Staates und der Sozialverbände fließt. Etwas davon bleibt halt hängen. Die Verwaltung. Die Kosten. Man muss ja auch selber leben.

Mittlerweile fließt so viel Geld, dass die “Schwachen” die neuen Starken sind. Dass der Rentner und die arbeitende Alleinerziehende von ihrem Bisschen noch was abgeben müssen, damit die, die nicht arbeiten gehen und das auch nicht vorhaben, sich Dinge leisten können, die für die nicht mehr in Frage kommen, die den Spaß erwirtschaften. Doch dazu wird man nie, aber wirklich nie, einen Protestbrief der Sozialverbände lesen. Denn der würde ihrem Geschäftsmodell schaden.

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