
Das Wohnen in Höhlen hielt man für eine Erscheinung, wenn nicht sehr lange zurückliegender Zeiten, so doch vor allem exotischer Orte. Im klassischen Äthiopien galt für das Bauen von Kirchen angeblich: je tiefer hinab in die Erde, desto nobler. Und das mag durchaus Sinn ergeben, angesichts des klassischen und unveränderten äthiopischen Klimas. In Hamburg dachte man sich weit entfernt von ähnlichem. Nun aber hat sich die FDP des heißen Themas angenommen, womit aber zunächst einmal die Wohnungsnot im Stadtstaat gemeint ist. In der Bezirksversammlung Harburg brachten die Abgeordneten Dirk Kannengießer und Annett Musa (beide FDP Harburg) einen Antrag zur Umwandlung von „,Kellerräumen‘“ (in distanzierenden Gänsefüßchen) „zu Wohnzwecken“ ein. Dafür sollen „administrativ und gesetzlich“ die Grundlagen geschaffen werden.
Zum Hintergrund schreiben die Abgeordneten in nicht immer ganz klarem Deutsch: „Der anhaltend drängende Bedarf an Wohnungen aller Art und Güte ist in Hamburg sehr groß und vermag die Nachfrage seit Jahren und auf absehbare Zeit nicht zu decken.“ Anscheinend schafft es der Senat nicht, seinem eigenen Ziel gerecht zu werden, „mindestens 10.000 Wohnungen“ pro Jahr zu bauen. So weit, so klar. Dieses Ziel wurde aber laut der FDP-Politiker „in den letzten Jahren zumindest bei den Genehmigungen dramatisch“, auch wenn man nicht so genau weiß, was das nun heißen soll – dramatisch verpasst? Dramatisch übererfüllt? Oder einfach nur dramatisch im Sinne von einem guten Actionthriller? Man darf sich selbst entscheiden. In jedem Fall bleibt der „Nachfrageüberhang nach Wohnungen weiterhin sehr groß“. Das dürfte unbestritten und die Erfahrung von vielen sein.
Die FDP-Lösung ist ebenso einfach wie genial: Ungenutzte „Keller- oder Souterrainräumlichkeiten“ sollen trotz Einschränkungen für „adäquate Wohnqualität“ sorgen, etwa dank Hanglage der Immobilie. Nun ist Hamburg für vieles bekannt, nur nicht für seine Berge. Alternativ können es auch „großzügige Ausschachtungen“ tun – als so eine Art Tunnelröhren als Oberlicht? Zudem beschwört die Harburger FDP den Fortschritt der Technik. „Moderne Beleuchtungsmittel“ ermöglichen demnach „eine so tageslichtnahe“ oder doch „simulierende“ und zugleich energieeffizente künstliche Beleuchtung „mit entsprechend förderlicher Wirkung für eine Wohnqualität auch in Kellerräumlichkeiten“. Zudem gebe es auch neue technische Möglichkeiten bei Belüftung, die sich auch durch „Smarthome-Technologien“ so steuern lasse wie nie zuvor. Folgt man der FDP Harburg, liegen viele Keller- und Souterraingeschäfte ohnehin seit der Corona-Zeit brach und suchen noch immer nach Nutzern. Also her mit den modernen Troglodyten!
Die FDP glaubt übrigens, dass man mit Kellerwohnungen auch das Klima schützen kann – wegen der weniger exponierten Außenwände. Das wussten schon die alten Kappadokier in ihren Höhlenwohnungen zu nutzen. Die Grundlagen für einen Umzug größerer Teile der Harburger Menschheit unter die Erde sind also gelegt. Dann würde langfristig auch besser erklärlich, wenn Grundschulkinder nicht mehr wissen, was ein „Bach“ oder eine „Hecke“ ist – wie jüngst im Hamburger Talk von Markus Lanz angedeutet wurde. Aber die neuen Kellerkinder werden auch Elbe und Alster nicht kennen. Die Zukleisterung der Wände mit Graffiti und die neudeutschen Müllberge (in Grünanlagen und auch sonst) kommen hinzu – und schon sind wir mitten in einer trans-posthumanistischen Elends-Großstadt-Welt, die sich durch den derzeit stattfindenden Zuzug wohl nur zuspitzen kann.
Andere Weltstädte sind Hamburg da ohne Zweifel vorangegangen. In Paris werden schon länger die „chambres de la bonne“ (Dienstbotenzimmer) vermietet und bieten nicht nur im Sommer sicher allerlei extreme Bedingungen unter den klassischen Zinkdächern. Und bei der Airbnb-Suche wird schon der eine oder andere Tourist auf preisgünstige Untergeschosswohnungen gestoßen sein, die man sich für eine Woche gönnen mag. Warum nicht mehr davon.
Denn die Harburger FDP ist durchaus für Mehr – auch angesichts der jüngsten schlimmen Messerattacke im Phoenixcenter (25-jähriger Syrer ersticht 25-jährigen Syrer). Annett Musa und Dirk Kannengießer veröffentlichten einen gemeinsamen Instagram-Post, in dem sie in Reaktion auf die Attacke „mehr Prävention“, „mehr Unterstützung an Schulen“ und „mehr Integration – für Kinder, Jugendliche und Eltern“ forderten. Dabei weiß man noch nicht einmal, was damit genau gemeint sein soll. Soll die Integration nun systematisch auf alle Generationen (inklusive der Eltern) ausgegossen werden? Das klingt schon beinah wie eine groß angelegte Umerziehungsmaßnahme, die am Ende vermutlich auch wenig fruchten wird.
Hamburg wächst, und damit wird es wohl weitergehen, doch nicht durch Geburten der schon dort Lebenden, sondern „vor allem aufgrund von Zuzügen“, wie auch Statistik Nord weiß. Gut 20.000 kamen in einem Jahr dazu. Das entspricht etwa einem Prozent der alten Bevölkerungszahl, und so lag Hamburg Ende 2023 bei 1,85 Millionen Einwohnern.
Aber um was für Zuzügler geht es da eigentlich? Ist Hamburg so magnetisch, dass es ständig neue Bundesbürger anzieht? Nein, das ist es dann doch nicht. 2023 kamen laut dem offiziellen „Monatlichen Lagebild“ sogar 22.908 Personen durch Asyl und Ukraine-Flucht in die Stadt. Und im Jahr darauf ging diese Zahl zwar leicht zurück, lag dann aber immer noch bei 16.188.
Derweil steuert auch Berlin eifrig auf die vier Millionen Einwohner und auf eine veritable Wohnungskrise zu. Der Zuzug lag auch in der Bundeshauptstadt in den letzten zehn Jahren bei fast zehn Prozent der Bevölkerung (312.000 Personen kamen dazu), und wiederum ging der Großteil der Zuzüge auf die offene Tür Asyl zurück. Wohnraum ist auch hier knapp und folglich teuer. Der Himmel über Berlin scheint die Grenze – und die Beschränktheit seiner Bürokraten.
In Hamburg leben aktuell mehr als 22.000 mit syrischem Migrationshintergrund, davon 17.800 nur mit syrischer Staatsangehörigkeit. Von Rückreisen nach Syrien, wie letztes Jahr auch von vielen Mainstream-Medien erhofft, ist kaum etwas zu spüren. Übrigens: 60 Prozent der Hamburger Syrer sind männlich, 33 Prozent jünger als 18 Jahre. Das ist jeweils einer der höchsten Anteile in dieser Statistik. Ähnliche Verteilungen gibt es bei Irakern und Afghanen. In Hamburg leben sogar mehr als 55.000 Afghanistanstämmige, von denen mehr als 27.000 einen deutschen Pass haben – jeweils mehr als die Syrer (Zahlen des Statistischen Amtes für Hamburg und SH von 2022).
Und die Zugänge gehen weiter, früher waren es bis über 2.000 im Monat, aber auch in diesem Mai kamen wiederum 830 Personen über Asylrecht und Flüchtlingsschutz dazu, das waren mehr als im April. Im Jahr ergibt sich damit schon fast jener Zuzug, der den Hamburger und Berliner Wohnungsbauern so zu schaffen macht. Kurios, dass dieser Zusammenhang noch immer von so vielen ausgeblendet und missachtet wird. Aber über einen absoluten Imperativ wie den deutschen Flüchtlingsschutz lässt sich eben nicht diskutieren, schon gar nicht rational.