
Ausgerechnet im idyllischen Städtchen Stratford-upon-Avon mit seinen elisabethanischen, Häusern, Pubs und Tea-Rooms – dem Geburtsort von William Shakespeare (1564 bis 1616) – tobt ein gnadenloser Kampf gegen Englands größten Dichter.
Ausgelöst hat ihn eine woke Akademikerin, die zuvor in der Shakespeare-Forschung nicht aufgefallen war. Sie heißt Helen Hopkins. Sie legte dem Shakespeare-Verein nahe – er kümmert sich liebevoll um das Andenken des Jahrtausend-Dichters („Romeo und Julia“, „Ein Sommernachtstraum“) – „die Rolle anzuerkennen, die Shakespeare in der Erschaffung und Erhaltung des imperialistischen Narrativs kultureller Überlegenheit gezwungen war zu spielen“. Ohne Soziologen-Chinesisch heißt es an anderer Stelle: „Auch Shakespeare ist nichts weiter als ein schuldiger toter weißer Mann.“ Hopkins will, dass die Ausstellung im Geburtshaus des Dichters vollkommen neu ausgerichtet wird und umzugestalten sei. Ihre Forderungen haben in den sozialen Medien große Beachtung gefunden – jedenfalls bei ihren woken Anhängern.
Die neuen Kritiker des Dichters sagen: „Wer Shakespeare schätzt, unterstützt weiße anglozentrische und überhaupt westlich Ansichten, die bis heute Elend in der Welt verbreiten.“ Der weltweit gespielte Dramatiker sei „ein Treiber weißer europäischer Überlegenheit“. Das Städtchen Stratford-upon-Avon müsse von „Anglozentrik und kolonialistischem Denken gesäubert“ werden.
Welch ein Hochmut, welch eine Verblendung! Shakespeare, Sohn eines Handschuhmachers, war ein Kind seiner Zeit. Seine Dramen sind gespickt mit Gewalt-Geschichten und mit bösen Witzen über Franzosen, Italiener, Spaniern, Juden, Türken, Schotten und Puritaner, also die Woken seiner Zeit. Er war politisch alles andere als korrekt.
Seine Sprache („Sein oder Nichtsein: das ist hier die Frage“, Hamlet) war derb und anrührend zugleich. Die Menschen verstanden ihn damals. Und sie tun es heute. Seine Stücke wurden bei Hofe geschätzt, und die Arbeiter Londons rannten in seine Aufführungen – er passte die Texte dem jeweiligen Publikum an. Die Neue Zürcher Zeitung schreibt: „Der Mann, der in seinen Dramen protofeministische Figuren schuf, der in „Was ihr wollt“ Cross-Dressing selbstverständlich machte, braucht keine Dekolonialisierung. Autoren wie James Baldwin und Tagore haben seinen Universalismus, sein Genie verehrt. Shakespeares Kunst ist divers und inklusiv. Und er wird von allen gelesen.“
Mein gesunder Menschenverstand erlaubt sich etwas hinzuzufügen: Shakespeares Kunst hat die Jahrhunderte überdauert und sie wird es weiterhin tun – wenn die Woke-Bewegung längst vergessen sein wird. Und seine Verse bleiben unsterblich:
Liebe wechselt nicht mit Stunde oder Woche, weit reicht ihre Kraft bis zum letzten Tag.