Laokoon-Weimer in den Schlingen der Zivilgesellschaft

vor etwa 18 Stunden

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Bildquelle: Tichys Einblick

Der Weg in die Demokratiesimulation, das heißt die Ersetzung des demokratischen Systems durch „unsere Demokratie“, die von einer selbsternannten aufgeklärten und privilegierten moralischen Elite (die „Wohlgesinnten“ nach Alexander Wendt) gesteuert wird, wird immer abschüssiger. Die Zeichen (der Hysterie) folgen immer schneller aufeinander, so dass noch Zeit bleibt, besonnen darauf zu reagieren. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat die AfD als „gesichert rechtsextrem“ eingestuft, will aber das Gutachten, auf dem diese Einschätzung beruhen soll, nicht veröffentlichen. Josef K. von der AfD erfährt also nichts von seiner Anklage, trotzdem werden die Rufe nach einem Verbot der in den aktuellen Umfragen stärksten Partei wieder lauter. Und wer weiß, was als nächstes kommt?

Athene-Faeser sendet noch in ihren letzten Tagen Schlangen aus, in denen Laokoon-Merz bis zur Bewegungslosigkeit gefangen sein wird. Blicken wir trotz der Ereignisflut noch einmal zurück auf die Ernennung von Wolfram Weimer zum künftigen Kulturstaatsminister. Denn an ihr lässt sich besonders gut ablesen, wie gut geölt „unsere Demokratie“ mittlerweile funktioniert. Kaum war die Nachricht von Weimers Nominierung durchgesickert, setzte auch schon das mediale Trommelfeuer ein, allen voran das Schlachtschiff FAZ – vertreten durch den Herausgeber Jürgen Kaube –, dicht gefolgt von der Süddeutschen Zeitung und vielen anderen. Weimer gehört zwar nicht zu den „unantastbaren“ Journalisten, denen der Weg in die Talkshows des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wohl für immer versperrt ist, aber mit seinem Büchlein „Das Konservative Manifest, Zehn Gebote der Neuen Bürgerlichkeit“ hat er es sich mit den Wohlgesinnten gründlich verscherzt.

Wichtige Positionen, die sich daraus ergeben, sind für Weimer beispielsweise das Festhalten am Konzept der Zweigeschlechtlichkeit, die Betonung der Eigenverantwortung des Individuums und der Familie (im Gegensatz zu einer immer stärkeren Bevormundung durch den Staat) sowie die Ablehnung der Gender-Ideologie. Maximilian Krah hat übrigens im Jahr 2023 ein bemerkenswertes Buch (Politik von rechts) vorgelegt, in dem er teilweise sehr ähnliche, oft sogar differenziertere und realistischere Ansichten vertritt. So beschwört Weimer im letzten Kapitel eine Rückbesinnung auf Gott, da „eine menschenwürdige Gesellschaft den Maßstab des Überindividuellen braucht“ – etwa zur Beurteilung der Frage der Sterbehilfe und des Klonens.

Während Weimer eine Renaissance des christlichen Glaubens im Abendland für möglich hält, ist Krah hier deutlich pessimistischer (und wohl auch realistischer). Er stellt nüchtern fest, dass der Glaube weitgehend verschwunden sei und die Politik ihn nicht wiederbeleben könne. Interessant ist, dass beide in diesem Zusammenhang ausgerechnet Jürgen Habermas zitieren. Weimer führt an, dass Habermas sich nach der „Einhegung (des Machbarkeitswahns der Moderne) durch Glaubengrundsätze sehne“, während Krah aus einem Brief von Habermas an Joseph Ratzinger zitiert, in dem dieser von einem „Bewusstsein, dass etwas fehlt“ (nämlich der Glaube) spricht. Auf diesem Bewusstsein müsse, so Krah, eine konservative Politik aufbauen.

Die Beschäftigung mit einem konservativen Wertekonzept setzt immer die Bereitschaft voraus, eine gewisse Unschärfe zu akzeptieren. Die Wohlgesinnten finden immer einen Einwand gegen irgendeine Kategorie oder ein Prinzip, das nicht in ihr ach so aufgeklärtes Wertesystem passt, und sei er auch noch so abwegig oder unbedeutend. Hat man erst einmal Merkmale mit beckmesserischen Einwänden „erledigt“, bleibt am Ende nur eine Art steriler Rechtsstaatspatriotismus übrig. Konservative Werte lassen sich aber nicht logisch ableiten. Das passende Zitat stammt aus dem Faust: „Wenn ihr’s nicht fühlt, ihr werdet’s nicht erjagen.“

Den großen Treffer landet Kaube mit einem Begriff, der auch die Überschrift seines Artikels ziert, aus der Passage: „Während Generation um Generation in einer Jahrtausende währenden Selbstverständlichkeit die Fortdauer der eigenen Familie, des eigenen Blutes, der Sippe (…) begriffen hat, so bricht dieses Bewusstsein plötzlich in Scherben.“ In diesem Absatz geht es um die Problematik des Geburtenrückgangs, und Weimer verwendet in historisierender Form einen problematischen Ausdruck, den er bei der nächsten Auflage streichen sollte. Jedenfalls reicht das – zusammen mit den diversen Zitaten von Oswald Spengler – für Kaube aus, um Weimers Buch bequem zu verwerfen: „Sein Begriff von Kultur und sein Geschichtsverständnis weisen darauf hin, dass er der falsche Mann am falschen Platz ist. Um es gelinde zu sagen.“

Es ist einer der eher seltenen Fälle, in denen Kaube selbst für die FAZ zur Feder greift, und man hätte sich gewünscht, dass er und die FAZ sich mit ähnlichem Eifer auch anderswo exponiert hätten, etwa gegenüber Weimers Vorgängerin, Claudia Roth, die ganz offensichtlich keine Kompetenz für das Amt mitbrachte, oder gegenüber Annalena Baerbock und Robert Habeck, von denen man dasselbe in ihren Ressorts sagen kann. Letzterem verlieh Kaube stattdessen als Alleinentscheider den Ludwig-Börne-Preis 2023, und auch bei Judith Butler drückte er ein Auge zu, als sie 2012 den Adorno-Preis erhielt (laut Presseberichten saß Kaube damals im Kuratorium).

Vielleicht hat Kaube nie etwas von Habeck gelesen. Hätte er das getan, wäre er wohl nicht zu folgender Einschätzung gekommen: „Wir leben in der steten Gefahr, dass im politischen Gespräch Argumente nichts mehr zählen, sondern ‚Narrative‘. Habeck ragt unter denen heraus, die sich dem als Politiker und politischer Publizist widersetzen. Gesellschaftswissenschaftlich informierte und lebensweltlich grundierte Reflexion prägen seine Äußerungen. In den Zwängen der Politik erkämpft er sich auf beeindruckende Weise Freiräume durch Nachdenklichkeit. Das lässt ihn in der Tradition des politischen Publizisten Ludwig Börne stehen“ (Robert Habeck erhält den Börne-Preis 2023 – Ludwig Börne Stiftung).

Alexander Wendt las Habecks Schriften dafür umso gründlicher (Der Gefluchtete: zur gattungspraktischen Begründung des Phänomens Robert Habeck). Wir zitieren seine in seinem unnachahmlichen Stil vorgetragene Schlussnote ausführlich:

„Dass es Robert Habeck erst zum Doktortitel, dann zum Vizekanzler der drittgrößten Wirtschaftsnation der Welt und zwischendurch noch zum Börne-Preisträger brachte, müsste einem fast Respekt abnötigen. Aber eben nur fast. Sein Aufstieg erzählt mehr über die katastrophale Elitenrekrutierung in dieser Gesellschaft als über ihn selbst. Seine Karriere verdankt er weniger seinen Texten, sondern hauptsächlich seinem Schaumschlag vor allem bei weiblichen Wählern, die gar nicht erst vom Öllicht lesen müssen, um seinem wollpulloverigen Charme zu erliegen. Selbst bei der Zeit zählt man nicht seine Derrida-Zitate, sondern lieber die Löcher in seinen Socken.“

Hier zeigt sich ein deutliches Muster, wie die FAZ bei Themen, bei denen man den Wohlgesinnten auf die Füße treten würde, sehr zurückhaltend ist – um auch dies gelinde zu sagen. Über einen besonders schäbigen Fall haben wir ausführlich in „Im Labyrinth des Kulturkampfes“ berichtet. Statt ein enorm wichtiges Buch von Prof. Susanne Schröter („Der neue Kulturkampf. Wie eine woke Linke Wissenschaft, Kultur und Gesellschaft bedroht”) selbst zu rezensieren, erschien eine polemische Rezension einer offensichtlich überforderten Gastautorin (Ronya Othmann). Damit wurde nicht nur einer wichtigen Wissenschaftlerin die Unterstützung entzogen, die sich als eine der wenigen in ihrem von Wokeness geprägten akademischen Feld ihre kritische Denkfähigkeit bewahrt hat, sondern es wurde und wird auch der Ton für die weiteren Instanzen des rot-grün gefärbten vorpolitischen Milieus – von unbedeutenderen Publikationen bis hin zur Antifa – gesetzt.

Angesichts des medialen Störfeuers machte Weimer sofort einen Kotau gegenüber den Wohlgesinnten und beging damit den Standardfehler bürgerlicher Politiker, sich gegen perfide und ungerechtfertigte Vorwürfe zu verteidigen: „Ich bin Kulturverfechter, nicht Kulturkämpfer. Gegen die AfD und die üblen Umtriebe des Rechtspopulismus schreibe ich seit Jahren an.“ Er wird freilich erkennen müssen, dass ihm das wenig nützen wird, weil seine Gegner darin eine Bestätigung ihrer Kampagne sehen und sie mit jedem noch so kleinen Schritt aus dem Meinungskorridor der Wohlgesinnten heraus verschärfen werden. Von Friedrich Merz, in dem manche den Weltmeister im Rückwärtsrudern zu erkennen glauben, hat er bei alledem wenig Unterstützung zu erwarten.

Die Einschüchterungsmechanismen und die darauf folgenden peinlichen Rückzieher der Union sind inzwischen hinlänglich bekannt – selbst die Beschwichtigungsformeln sind in diesem Demokratie simulierenden Schauspiel festgelegt wie die Rollen in der Commedia del Arte. Als sich Ende 2023 in Hessen die Koalition aus CDU und SPD bildete, wurde im Koalitionsvertrag ein weitreichender Passus zum Ende der Gendersprache im amtlichen Sprachgebrauch festgeschrieben (Hessen: Wie der ÖRR und die Universitäten sich als Opfer im „Kulturkampf“ darstellen) und damit dem vom Autor initiierten Volksbegehren in Hessen der Wind aus den Segeln genommen. Nach massiven Protesten der Wohlgesinnten gebar der Berg schließlich nur ein Mäuschen, indem er unter anderem die Universitäten und den Hessischen Rundfunk fast völlig außen vor ließ.

Man kann nur immer wieder teils bewundernd, teils entsetzt feststellen, dass es den Wohlgesinnten den letzten Jahren mit beeindruckender Konsequenz gelungen ist, ihr Weltbild in allen wichtigen politischen und vorpolitischen Institutionen zu verankern, angefangen bei den Schulen und Universitäten über den ÖRR, einen Großteil der Medien, Kulturinstitute, sogenannte Faktenchecker etc. Sie haben ihre Gramscis und Alinskys und deren Methoden, politische Veränderungen herbeizuführen, sorgfältig studiert und ihren Marsch durch die Institutionen konsequent zu Ende geführt. Ihre Grundüberzeugungen sind eine krude Mischung aus sehr unterschiedlichen, und manchmal völlig widersprüchlichen Ansichten, darunter der Glaube an unbegrenzte Masseneinwanderung, Identitätstheorien und Genderismus, Postkolonialismus und Ähnliches.

Teil dieses radikalen Glaubens ist jedoch auch die stillschweigende Akzeptanz von Widersprüchen und das Verschweigen negativer Konsequenzen, die sich aus der Umsetzung dieser Prinzipien ergeben. So werden beispielsweise Hinweise auf eine zunehmende Islamisierung als Folge von Masseneinwanderung oder auf Widersprüche zwischen sexueller Selbstverwirklichung und radikalem Islam in der Regel mit beispielloser Härte und Intoleranz bekämpft. Daraus hat sich eine Form des Doppeldenkens entwickelt, die sich wie eine Krankheit in der Bevölkerung ausgebreitet hat. Im Fall von Kaube und der FAZ zeigt sich dies unter anderem darin, dass bei der Beurteilung von politisch nahestehenden und politisch fernen Personen völlig unterschiedliche Maßstäbe angelegt werden.

Daran wird auch ein Regierungswechsel nichts Wesentliches ändern, denn die bürgerliche Mehrheitsgesellschaft ist in den Fesseln der Wohlgesinnten gefangen, die jede substantielle Veränderung unterwandern oder sabotieren können. Das wissen natürlich auch Leute wie Kaube. Insofern braucht es keinen Mut, jetzt billig gegen Weimer anzuschreiben.

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