Wozu mit Linken reden?

vor etwa 2 Stunden

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Bildquelle: Tichys Einblick

Im Jahr 2017 erschien das Buch „Mit Rechten reden“, verfasst von dem Schriftsteller Per Leo mit Zuarbeit von Maximilian Steinbeis und Daniel-Pascal Zorn. Das Trio wollte dabei keine Handreichung verfassen, wie andere mit Rechten zu reden hätten – wobei sie den Begriff nicht besonders scharf abgrenzten –, sondern wie sie, die Autoren, sich mit diesem fluiden Rechtssein auseinandersetzen. Dabei beschrieben sie, was sie für typisch linke Argumentationsmuster und typisch linke blinde Flecken hielten. Stellenweise lasen sich die 183 Seiten durchaus anregend. Schon darin sahen wachsame Rezensenten ein Problem.

Der Soziologe Stephan Lessenich hob in der FAZ mahnend den Finger, um festzustellen, dass sich die Verfasser „gelegentlich selbst rechte Inhalte zu eigen machen“. Schon damals galt von FAZ-Lessenich bis zu ARD, ZDF und Spiegel, dass jeder, der nicht näher bezeichneten Rechten ohne Verdammungsabsicht gegenübertritt, sich erst einmal vor unbezweifelbaren Instanzen (Lessenich) dafür rechtfertigen muss. Heute steht das Land schon auf einer anderen Entwicklungsstufe. Die Demokratie neuen Typs, so erklären es die Instanzen wieder und wieder, zeichnet sich dadurch aus, dass sie sich auf das Spektrum von Linksaußen bis zur Mitte beschränkt, wobei die Mitte ungefähr bei Angela Merkel endet.

Auf eine gemeinsame Faktenbasis einigte sich noch nicht einmal eine halbwegs offene Gesellschaft, sobald es um politische Themen geht, da hier eben nicht Entitäten namens „die Wissenschaft“ oder „die Vernunft“, also politisch-mediale Sockenpuppen, die für alle befriedigenden Antworten liefern. Vorläufig akzeptierte Einigungen entstehen immer im und durch Streit. Der gesellschaftliche Boden zerbricht nicht an der unterschiedlichen Interpretation von Fakten, sondern dann, wenn eine Gruppe es ablehnt, einer anderen überhaupt ein Mitspracherecht in öffentlichen Fragen zuzugestehen.

Die logische Schlussfolgerung aus dieser Verweigerung lautet, ihnen auch das Lebensrecht abzusprechen, es also für legitim zu halten, bestimmte Menschen, die bestimmte Ansichten vortragen, mit Gewalt zum Schweigen zu bringen. Genau das geschah am 10. September, als der 22-jährige Tyler Robinson den Gründer von „Turning Point USA“ und Video-Publizisten Charlie Kirk auf dem Campus der Utah Valley University in Orem erschoss. Er fühlte sich dazu moralisch berechtigt, umfangreich ermuntert und nach der Tat von einem tausendstimmigen Chor gerechtfertigt. Es handelt sich dabei um einen ganz überwiegend linken Chor mit ein paar pseudobürgerlichen Einsprengseln.

Das heißt nicht, dass er auch alle Linken umfassen würde. Genau darum geht es in diesem Text: herauszufinden, mit wem aus diesem politischen Spektrum das Reden überhaupt lohnt. Und wer sich dort nur noch mit der Vorbereitung eines Bürgerkriegs beschäftigt. Sich bei letzteren nicht um eine Kommunikation zu bemühen, heißt nicht, sie zu ignorieren. Aber erstens führen diese Kräfte die Kommunikation, wenn man sie noch so nennen kann, nicht in einer Art und Weise, die auf irgendeine Form von Austausch gerichtet wäre. Sie wollen nichts wissen. Und über sie gibt es für Leute außerhalb ihres Kreises nichts Neues zu erfahren. Das, was sie mitteilen wollen, steht schon in hunderttausendfacher Wiederholung auf sämtlichen digitalen und analogen Umschlagplätzen für Manifeste.

Alles in allem handelte er damit nach einem sehr traditionellen westlichen Muster, das er für gefährdet, aber noch intakt hielt. Bis ihm der Schütze das Gegenteil bewies. Er tötete Kirk nicht nur, weil er das für deutlich leichter hielt, als ihm ein Argument entgegenzusetzen. Tyler Robinson wollte, indem er Kirk die Halswirbelsäule wegschoss, diese Art des zivilen Streits grundsätzlich beenden. Möglicherweise geht er als Sieger vom Feld, was diese Absicht betrifft.

Diesen Text würde es nicht geben, wenn sein Autor den Streit mit sämtlichen Linken für sinnlos hielte. Es gibt einige im linken und linksliberalen Spektrum, die sich für eine gewaltfreie Auseinandersetzung interessieren, Argumente vorbringen und Argumente anhören. Der Mord an Kirk bildet eine große Wasserscheide. Er trennt die einen von den anderen, die diese zivile Auseinandersetzung nicht wollen und sie sogar ausdrücklich verdammen. Die beiden Lager existieren in jedem westlichen Land.

Allerdings zeigen sich gerade im Vergleich zwischen der Öffentlichkeit in den USA und Deutschland beachtliche Unterschiede. In dem Land, das sehr viele Kommentatoren hierzulande als hoffnungslos in rechts und links gespalten und kurz vor dem Bürgerkrieg beschreiben, fanden sich in den vergangenen Tagen bemerkenswert viele Stimmen auch auf der Linken, die den Mord an Charlie Kirk verurteilten, ohne die Verurteilung gleich wieder durch nachgeschobene Verdammungen und Verleumdungen des Opfers wegzuwischen. Selbst ausgewiesen linke Medien trennten sich dort von Mitarbeitern, die diese rhetorischen Pirouetten drehten.

In Deutschland zeigt sich ein völlig anderes Bild. Die noch nicht einmal klammheimliche Freude über den Mord, die Rechtfertigung von Gewalt gegen einen bis zum Exzess dämonisierten Gegner übertrifft in ihrem Fanatismus noch den innersten linksautoritären Kern in Amerika. Sie reicht vor allem bis hinein in Parteien, in selbstgelabelte Qualitätsmedien und in das Staatsfernsehen. Vor allem die aus zwangsweise eingetriebenen Geldern finanzierten Sender verteidigen verbissen den Standpunkt, dass die Verbreitung nachweislicher Lügen und unbelegten Unterstellungen zu ihrer redaktionellen Freiheit gehört.

Sie setzten zusammen mit Spiegel und Zeit den Ton. In Phase zwei folgte ein regelrechter Lügentsunami, um die Frage wegzuwaschen, welche Begriffe und Parolen eigentlich zu dem Attentat führten. Zu dieser zweiten Welle gehörte der bei Markus Lanz zugeschaltete vorgebliche US-Experte des ZDF Elmar Theveßen, um zu referieren, welche Ansichten Kirk angeblich vertrat. Theveßen antwortete, Kirk „hat sehr, sehr scharf rechte Überzeugungen. Ich will mal ein paar Beispiele nennen. Er hat gesagt beispielsweise, dass Homosexuelle gesteinigt werden müssten.“ […] „Er hat gesagt, dass Schwarze die Positionen der Weißen wegnehmen wegen dieser Politik der Demokraten der vergangenen Jahre. Er hat gesagt, wenn man in einem Flugzeug sitzt mit einem schwarzen Piloten, muss man Angst haben.“ Nachfrage von Lanz: „Habe ich das richtig verstanden, Homosexuelle sollten gesteinigt werden?“

Theveßen: „Ja, er bezieht sich dabei natürlich auf die Bibel, also dass er sagt: Da ist das Christentum wortwörtlich zu nehmen. Er hat das nicht auf die moderne Zeit angewendet, das ist tatsächlich, ähm, weitgehend natürlich. Und man kann sagen, das sind rassistische Äußerungen, das sind minderheitenfeindliche Äußerungen, das ist auch so, eindeutig, er gehört zu den Rechtsradikalen in den USA.“

An dem, was der ZDF-Mann behauptet, stimmt nicht ein Wort. Um es etwas deutlicher auszudrücken: Er lügt. Bei allem, was er von sich gab, stützte er sich auf Videoschnipsel, die im Netz kursierten, an denen aber zu dem Zeitpunkt der Sendung zumindest auf X längst Community Notes hingen, die erklärten und belegten, wie hier professionelle Desinformatoren Aussagen Kirks entstellend zurechtschnitten und verdrehten.

Im ersten Fall debattierte Kirk mit einer YouTuberin namens Ms. Rachel, die meinte, den bekennenden Christen mit dem Hinweis zu erwischen, er müsste die Feierlichkeiten zum Pride Month beziehungsweise die ganze LGBTQ-Gemeinschaft gutheißen, denn schließlich heiße es in der Bibel: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“ Darauf antwortete Kirk: „Übrigens, Ms. Rachel, Sie mögen Ihre Version der Bibel aufschlagen. In einem weniger zitierten Teil der gleichen Schrift heißt es, in Leviticus 18: ‚Wer mit einem anderen Mann liegt, soll zu Tode gesteinigt werden‘. Ich sag’s ja nur“ („by the way, Ms. Rachel, you might want to crack open that Bible of yours, in a lesser referenced part of the same part of scripture is in Leviticus 18, is that ’Thou shall lay with another man shall be stoned to death.‘ Just saying.“)
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In dem Rededuell ging es an dieser Stelle also gar nicht um Homosexuelle und Homosexualität – sondern um Methodenkritik, die Kirk zutreffend an der Argumentation seiner Kontrahentin übte: Wenn sie sich in einem politischen Streit zustimmend auf die Bibel beruft, dann müsste sie schon deren gesamten Text als Autorität ansehen und nicht nur das, was ihr ins Konzept passt.

Kirks Subtext lautete: Die Bibel eignet sich nicht als Steinbruch für Debatten des Jahres 2024. Er sagt also gerade nicht, die Bibel sei wörtlich zu nehmen, sondern das glatte Gegenteil. Diesen Hintergrund kannten diejenigen natürlich, die diese Stelle sinnentstellend aus dem gesamten Video schnippelten, um sie in dieser Form in Umlauf zu bringen. Denn mutwillig kann nur derjenige etwas vom Kontext trennen, der ihn kennt. Über den tatsächlichen Verlauf des Gesprächs musste auch Theveßen Bescheid wissen, jedenfalls unter der Voraussetzung, dass er die elementare journalistische Arbeit beherrscht, eine Quelle zu überprüfen, statt einfach nachzuplappern, was er irgendwo im World Wide Web aufschnappt. Wie Kirk über Homosexualität dachte, lässt sich an diesem Video studieren:

Hier faltet er einen Schwulenhasser nach allen Regeln seiner rhetorischen Kunst zusammen, der meinte, Homosexuelle gehörten nicht in die konservative Bewegung. Er erklärt ihm, wenn er Schwule ihrer Rechte berauben wolle und sich dafür auf die Bibel berufe (denn das tat sein Kontrahent), dann strebe er eine Theokratie an, und deshalb sei er kein Konservativer. Anders als von dutzenden Theveßens, Hayalis und namenlosen deutschen Abtippern verbreitet, stritt sich Kirk nämlich nicht nur mit Linken, sondern auch mit wirklich extrem Rechten.

Wie steht es um die zweite Anschuldigung Theveßens, Kirk habe behauptet, man müsste sich vor schwarzen Piloten fürchten? Keinen Deut anders. Der „Turning Point“-Gründer befasste sich in seiner Sendung mit den Programmen der Diversity-Equity-Inclusion (DEI), mit denen eine ganze Reihe von Unternehmen feste Quoten für Hautfarbe und Geschlecht von Mitarbeitern zum Ziel erklärten. Eine Fluggesellschaft wollte beispielsweise erreichen, dass bei ihr bis zu einem bestimmten Zeitpunkt 40 Prozent Schwarze beziehungsweise Frauen arbeiteten. Kirk wies darauf hin, dass eine Fluggesellschaft entweder dieses Ziel verwirklichen oder in seiner Einstellungspolitik konsequent Bestenauslese betreiben kann – aber eben unmöglich beides gleichzeitig.

„Wenn du also einen schwarzen Piloten siehst, grübelst du nach: Ist diese Person dort, weil sie es verdient hat oder weil sie dort hingesetzt wurde?“, so Kirk: „Das ist es, was DEI tut: Es zwingt dich zu Fragen, die du sonst nicht hättest.“

„Elmar Theveßen hat beispielhaft Bezug auf Äußerungen von Charlie Kirk genommen. So hat Charlie Kirk im Juni 2024 in einer Antwort auf eine Anfrage zum Bibelzitat aus dem Buch Levitikus (Kapitel 19) im Alten Testament ‚Du sollst Deinen Nächsten lieben wie dich selbst‘ gesagt, dass im vorhergehenden Kapitel Levitikus 18 stehe: ‚Du sollst nicht bei einem anderen Mann schlafen; es ist ein Gräuel und wird mit Steinigung bestraft.‘ Kirk hat hinzugefügt: ‚Sie zitieren Levitikus 19: ‚Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.‘ Aber das Kapitel davor bekräftigt Gottes vollkommenes Gesetz, wenn es um sexuelle Angelegenheiten geht.‘ Dieser Zusammenhang hätte deutlicher gemacht werden müssen. Elmar Theveßen bedauert, an der Stelle nicht ausführlicher gewesen zu sein. Elmar Theveßen hat in der ‚Markus Lanz‘-Sendung weitere Beispiele genannt, die sich auf Zitate von Charlie Kirk beziehen.“

(Tatsächlich: ein weiteres Falsches – TE) „Aber dann auch klargemacht: ‚Er hat sich immer dem Streit und der Debatte gestellt. Mir ist aus dem Kopf nicht bekannt, dass er zu Gewalt aufgerufen hätte‘.“

Ganz nebenbei: An dieser Stelle schlägt ganz offenkundig das Halbunterbewusstsein des ZDF-Experten zu. Was wäre die Ansicht, Schwule müssten gesteinigt werden – hätte Kirk sie so geäußert – denn anderes als ein Gewaltaufruf? Zumindest ein Teil von Theveßen wusste also recht gut, dass er gerade verleumderischen Unfug abgesondert hatte.

Der ZDF-Mann bedauert also nur, nicht „ausführlicher“ geredet zu haben, was auch bedeutet: Er nimmt seine Desinformation noch nicht einmal zurück. Die Frage von TE, warum sich der US-Experte für seine Falschbehauptungen bisher nicht entschuldigte, und welche Konsequenzen sein Arbeitgeber aus diesem Verhalten ziehe, ließ das ZDF unbeantwortet. Genauso wie die Bitte, freundlicherweise für jede Pauschalbehauptung Dunja Hayalis im heute journal vom 10. September über Kirks „oftmals abscheuliche, rassistische, sexistische und menschenfeindliche Aussagen“ wenigstens jeweils eine Belegstelle zu übersenden. Schon an diesen wenigen Beispielen zeigt sich der Unterschied zwischen einem Teil der amerikanischen und dem größten Teil der deutschen Linken: Der US-Schriftsteller Stephen King verbreitete auf X ebenfalls die falsche Behauptung, Kirk hätte das Steinigen von Homosexuellen befürwortet – und entschuldigte sich, nachdem er den Zusammenhang kannte, öffentlich dafür.

Der wirklich sehr weit links stehende Sender MSNBC feuerte seinen Moderator Matthew Dowd, der noch am Tag des Attentats meinte, Kirk müsste sich seine Ermordung selbst zuschreiben und entschuldigte sich öffentlich. Die ebenfalls bekanntermaßen trumpkritische Washington Post trennte sich von der Kolumnistin Karen Attiah, nachdem sie – nicht in der Zeitung, sondern in einem privaten Post – suggerierte, Kirk hätte zu Gewalt aufgerufen, und ihm auf der Plattform Bluesky ein anderes nach Schema F verfälschtes Zitat unterschob: „Schwarze Frauen haben nicht die Verarbeitungsleistung des Gehirns, um ernst genommen zu werden. Sie müssen den Posten einer weißen Person stehlen.“

In Wirklichkeit äußerte sich Kirk aber nicht allgemein über „schwarze Frauen“, sondern konkret über vier Personen: die Richterin am Obersten Gerichtshof Ketanji Brown Jackson; Michelle Obama; die linke Fernsehkommentatorin Joy Reid und die Kongressabgeordnete Sheila Jackson Lee – allesamt schwarze Frauen, die betonen, dass sie von der „affirmative action“ profitierten. Der Kommentar des Podcasters gehört in die Abteilung Polemik, Polemik wiederum war und ist immer ein Würzelement der öffentlichen Auseinandersetzung, auf die das Ziel der Attacke auch entsprechend antworten kann. Aber es ging, siehe oben, eben nicht um schwarze Frauen allgemein, er äußerte sich nicht rassistisch. Bei den von Attiah kolportieren Sätzen handelte es sich nicht um das, was Kirk tatsächlich sagte, sondern abermals um eine bewusste Entstellung.

Diese Fähigkeit zur wenigstens punktuellen Selbstkorrektur bezeichnete der Zeit-Redakteur Mark Schieritz, Autor des Buchs „Zu dumm für die Demokratie?“, das zielsicher im Bürger die wirkliche Gefahr erkennt, als „Gleichschaltung“. Er benutzt also im vollen Bewusstsein einen Begriff aus dem Nationalsozialismus, wenn sich in den USA ein Blatt von einer Kollegin trennt, die ein politisches Attentat legitimiert.

Wie steht es nun um andere Aufzeichungen, die angeblich beweisen, dass Kirk eigentlich nicht zu den lebensberechtigten Gesellschaftsmitgliedern gehörte? In einem verbreiteten Videoschnipsel ruft er einer asiatischen Frau angeblich die rassistische Beschimpfung chink zu. In Wirklichkeit ruft er dort den Namen des Radiomoderators und jungtürkischen Aktivisten Cenk Uygur. Im ersten Moment und mit dem richtigen Schnitt – aber nur dann – lassen sich einige Internetnutzer davon überzeugen, er hätte etwas völlig anderes gesagt.

Dass er tatsächlich die Abtreibungen in den USA und anderswo „schlimmer als den Holocaust“ nannte, trifft zu. Dieser historisch mindestens schiefe Vergleich speiste sich zum einen aus seiner religiösen Überzeugung, er entstand aber auch in einem Land, in dem nicht nur er mit den Fakten zum Nationalsozialismus und zu Shoa ziemlich locker und ahistorisch umgeht. Der Historiker Timothy Snyder, der als Autor von „Bloodlands“ besser Bescheid wissen sollte, stellte beispielsweise die von Trump während der Black-Lives-Matter-Demonstrationen eingesetzte Nationalgarde auf eine Ebene mit den Einsatzgruppen der SS.

Ein amerikanischer Stichwortgeber, den das heute journal als Experten anhörte, versicherte den Zuschauern, in den USA laufe heute exakt das Gleiche ab wie in Deutschland 1933. Es finden sich tausende „Trump ist Faschist“-Aussagen in amerikanischen Archiven. Interessant ist, dass sich weder amerikanische noch deutsche Medien daran stören, solange diese Begriffslaxheit ihrer eigenen Agenda dient. Und natürlich führt es nicht zum ideologischen Bann, wenn die Linkspartei-Vorsitzende Ines Schwerdtner einen Schal um den Hals trägt, der eine Karte des Nahen Ostens ohne Israel und nur mit arabischen Ortsnamen zeigt. Damit relativiert sie nicht die Vergangenheit, sondern fordert die Auslöschung des jüdischen Staates hier und jetzt. Natürlich kündigen deshalb weder Grüne noch SPD ihre Koalitionen mit der umetikettierten SED.

Auch an der Debattenaufzeichnung, in der Kirk die Aussage eines Diskutanten zurückwies, Frauen trügen die Hauptschuld an Ehescheidungen, versuchten sich die Schnippel- und Framingkünstler gar nicht erst. Denn der angebliche Sexist Kirk erinnert hier die Männer an ihre Verantwortung für den Erhalt einer Partnerschaft.

In den USA gibt es vermutlich ein größeres Publikum, das die authentischen Videos kennt oder spätestens jetzt die Aufnahmen in ihrem Kontext zur Kenntnis nimmt. Nicht so in Deutschland. Bis jetzt weigert sich Elmar Theveßen, sich für seine offenkundigen Lügen zu entschuldigen; Dunja Hayali erklärt sich mit einem pathetischen Rückzug von den sozialen Medien zum wahren Opfer der letzten Tage. Mit ihrer Haltung stehen sie nicht allein.

Im ARD-Sender MDR dozierte der gescheiterte Spiegel-Chefredakteur Klaus Brinkbäumer, Ex-MDR-Programmdirektor und mittlerweile „Experte für Außen- und Weltpolitik“ des Senders mit affektiertem Singsang, Kirk sei gestorben, ähm, ermordet worden, „trotzdem ist die Wirklichkeit, dass er gegen Ausländer agitiert hat, gegen die Fremden“.

Auf die Bitte von TE, die Behauptung wenigstes mit einem Kirk-Zitat zu untermauern, antwortet die Anstalt: „Die Einschätzung unseres Experten basiert auf umfassenden Analysen, deren Grundlage sich in vielfältigen Publikationen und Recherchen nachvollziehen lässt und in ihrer Gesamtheit zu betrachten ist.“ Welche Publikationen und Recherchen, so findet man in Leipzig, das braucht die Öffentlichkeit nicht zu erfahren. Um es einmal einzuordnen: Brinkbäumer verfügt nicht über den Hauch eines Belegs für seinen postumen Schlammwurf, und er weiß das auch. Er möchte selbstredend nicht einräumen, dass seine Recherche darin besteht, sich durch die vielfältigen Publikationen bei X und Bluesky zu klicken.

Im WDR rückt Kommentator Florian Schroeder den Mord an Kirk in die Nähe von Stauffenbergs Attentat auf Hitler, und hält außerdem noch eine in diesem Umfeld zumindest originelle Begründung für die Verdammungswürdigkeit des Amerikaners bereit. Er habe mit anderen diskutiert, lässt Schroeder imaginäre Konservative in seinem Kommentar sagen, „dann kann das ja gar kein Rechtsextremer gewesen sein“. Um ihnen zu antworten: „Doch, deshalb isser’s.“ Diese Trope findet sich nicht nur bei ihm: Gerade deshalb, weil sich Kirk anderen Meinungen stellte und damit vor allem ein jüngeres Publikum ansprach, sei er so kreuzgefährlich gewesen. Man muss die hechelnde, erregte Stimme Schroeders hören, wenigstens für einen kurzen Moment. Anderenfalls macht man sich kein vollständiges Bild von ihm und anderen öffentlichen Figuren seines Schlages.

In der progressiven Berufspolitik wollen die üblichen Zuwortmelder nicht gegenüber diesen Medien zurückfallen. Der Leipziger Grünen-Politiker Jürgen Kasek wünscht den Kirk-Anhängern nur ein klein bisschen verklausuliert den Tod: „Follow your leader.“ In einer Videoansprache auf X verfügt Katrin Göring-Eckardt: „Was nicht geht, ist, dass die von ihnen (Hayali, Theveßen) vorgenommene Einordnung (von Charlie Kirk) grundsätzlich in Frage gestellt wird.“ Bei der Einrichtung der ersten Meldestelle für Einordnungsinfragesteller kann es sich nur noch um eine Sache von Tagen handeln.

Es bahnen sich schon die ersten Wechselwirkungen zwischen Medien und Politik an. Die ZDF-Nachrichtenverleserin Marietta Slomka denkt selbstverständlich keinen noch so kleinen Moment über öffentlich-rechtliche Selbstkritik nach, sondern erklärt nach der Kritik an Figuren wie Theveßen und Hayali, die sich in Deutschland hauptsächlich in sozialen Medien niederschlägt, eben diese Wortmeldungen zur, ja was wohl, „orchestrierten Kampagne“, weshalb der Staat ihrer Ansicht nach die „digitalen Kloaken“ schleunigst ausräumen sollte: „Die EU wirft eine Chimäre von Rechtsstaatlichkeit an die Wand, traut sich aber an die Paralleluniversen der Tech-Welt nicht ran. Das wird sich bitter rächen.“ Ihre Zensurforderung wirkt auch deshalb einigermaßen komisch, weil Koryphäen wie Theveßen und Brinkbäumer das, was sie in die zwangsbezahlten Kanäle pumpen, ja vorher mehr oder weniger behände aus den äußersten linken digitalen Kloaken-Ecken fischen.

Auch in den Vereinigten Staaten würden nicht wenige Linke, wenn sie frei nach ihren Vorstellungen handeln könnten, Erschießungskommandos einrichten und Gulags für ihre Gegner eröffnen. Auch dort filmen sich reihenweise Figuren, die sich über Kirks Ermordung amüsieren und öffentlich nach Bürgerkrieg rufen, entweder in der Annahme, ihn zu gewinnen, oder wenigstens aus dem Glauben heraus, es würde vielleicht viele andere erwischen, aber nicht sie selbst. Zum ganzen Bild gehört aber auch, dass der sehr weit links stehende Senator Bernie Sanders den Mord an Kirk aufrichtig verurteilte und betrauerte.

Am 25. September sollte das nächste Streitgespräch zwischen den beiden stattfinden. In diesem Umfeld finden sich natürlich viele Nichtlinke, die Kirk öffentlich beispielsweise gegen den haltlosen Rassismus-Vorwurf verteidigen, und – nein, nicht in einer Talkshow, es handelt sich hier um AI – die die Frage nach der Atmosphäre stellen, in der ein 22-Jähriger zum Gewehr greift und glaubt, einen politischen Gegner vor den Augen seiner Frau und seiner Kinder erschießen zu müssen.

Natürlich bleibt es nicht ohne Folgen, wenn Stichwortgeber mit und ohne akademische Titel Trump als Faschist betiteln, der die USA zu einer Diktatur umbaut. Angesichts dieses Dauersounds wirkt es fast überraschend, dass es nicht schon mehr politische Morde gab. In Deutschland fand sich nur die CDU-Politikerin Caroline Bosbach bereit, postum positiv über Kirk zu schreiben, löschte ihren Eintrag aber sofort wieder, als sich die Grünen und ihre Begleitjournalisten räusperten. Diesen weichen westdeutschen Schrumpfbürgerlichen, die beim ersten Windhauch am Boden liegen, steht hierzulande ein sehr festgefügter Marschblock gegenüber, von taz bis FAZ, vom Staatsfernsehen zu Parteien, die sich zur demokratischen Mitte zählen. In diesem Block herrscht offenbar die feste Entschlossenheit, die Erzählung von dem Rechtsextremen beziehungsweise Faschisten Charlie Kirk in den Rang einer unbezweifelbaren Glaubenswahrheit zu erheben, ähnlich wie die Hetzjagden von Chemnitz und die Geschichte von den Türken, die Deutschland nach dem Krieg wieder aufbauten. Prominente Linke wie Sanders und Piker, die nicht in den Verleumdungschor gegen Kirk einstimmen (und sogar mit ihm redeten), finden sich in der Bundesrepublik so gut wie gar nicht.

Man sieht ein Milieu, dessen Vertreter lange glaubten, nicht argumentieren zu müssen. Jetzt stellt sich heraus: Sie können es auch gar nicht. Teils aus mangelnder Übung, was zwangsläufig die intellektuellen Fähigkeiten ruiniert, teils aus Desinteresse an Argumenten überhaupt. Dazu kommt eine Generation von Bots auf zwei Beinen, hauptsächlich beschäftigt bei den Öffentlich-Rechtlichen, aber auch anderen Medien, die nie gelernt haben, was „Argument“, „Debatte“ und „Falsifikation“ eigentlich bedeuten. Vermutlich halten sie diese Begriffe für rechte Codes – wie alles, was nicht aus ihrer höchsteignen Sphäre zwischen Postcolonial-Seminar und Klosettwandspruch stammt.

Ein öffentlich-rechtlicher Staatsvertragsbruchfunk, der selbst nachweisbare Lügen für gerechtfertigt hält, wenn sie der Sache dienen, der einen Theveßen verteidigt, aber beim NDR mit Julia Ruhs den einzigen nichtlinken Kopf einer politischen Sendung wegmobbt, erweist sich nun endgültig selbst dem Langmütigsten als unreformierbar.

Die Überweisung ganz einzustellen, sie zu kürzen, verspätet oder eine falsche Summe an die Gebührenzentrale zu zahlen – alles ist nicht nur erlaubt, sondern geradezu Bürgerpflicht. Der Stern büßte seit 1998 insgesamt 75 Prozent seiner Auflage ein, der Rest schmilzt von Quartal zu Quartal in soliden Raten. Bei anderen, die ihr Geld ernsthaft zwangsweise eintreiben wollen, muss man nachhelfen.

Mit den Linken und Vertretern einer linksgeneigten Liberalität, auf die das alles nicht zutrifft, sollte man als Reaktionär, als Konservativer, als Libertärer, als Mischung aus allem unbedingt reden. Erstens, um die eigenen Argumente zu schärfen. Zweitens, um unterschiedliche Sichtweisen öffentlich zum Ausdruck zu bringen. Und drittens, um der Gefahr zu entgehen, den gleichen Weg zu gehen wie die dummen linken Orthodoxen. Wer nicht regelmäßig ficht, verlernt nicht nur das Fechten. Er vernachlässigt vorher schon das Wetzen seiner Klinge. Wer nicht auf antagonistische Gedanken reagiert, verlernt das Denken.

Kein Land bräuchte so dringend einen neuen Charlie Kirk wie Deutschland. Am besten gleich zwei oder drei davon. Just in case. Vorsichtshalber. Als Reserve.

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