Zehn Jahre „Wir schaffen das“: Warum der berühmteste Merkel-Satz schon immer Unsinn war

vor 8 Tagen

Blog Image
Bildquelle: NiUS

Zehn Jahre „Wir schaffen das“. Historische Karriere eines Drei-Worte-Satzes, der schon immer Unsinn war und nach mehr klingt, als er ist. Mit anderen Worten: Politisches Marketing vom Feinsten. Und in der Wirkung verheerend. Wir schaffen was? Warum der wohl berühmteste Satz von Kanzlerin a.D. Angela Merkel im wahrsten Sinne neben der Spur ist, ganz gleich, wie man zur Migrationspolitik steht.

Der Satz ist wohlfeil. Keine Führungskraft der Welt kann und würde eigene Entscheidungen mit (Selbst)Zweifeln am Gelingen verkaufen. Kein Trainer, kein CEO, niemand. „Wir schaffen das“ war in der berühmten Pressekonferenz nach wochenlangem Schweigen der Kanzlerin zu den Ereignissen des Migrations-Sommers 2015, die die deutsche Öffentlichkeit brutal aufwühlten, nicht mehr als Plakat-Slogan, den Politiker sagen, um über den Augenblick zu kommen. Was er bedeutet und was aus ihm folgt, wussten weder die Sprecherin noch die Zuhörer.

Der Satz ist ein Missverständnis. „Wir schaffen das“ insinuiert, dass es sich um einen konkreten Vorgang handelt, der zu bewältigen, abzuarbeiten, zu erledigen ist, und danach geht alles wieder seinen Gang. Migration, noch dazu, wenn sie in Massen, ungesteuert und dauerhaft geschieht, ist nie abgeschlossen, sondern verändert Gesellschaften dauerhaft. Die Vorstellung, eine konkrete Zahl von Zuwanderern käme nach Deutschland, wird in einer gemeinsamen Kraftanstrengung aufgenommen, betreut, versorgt, beschult, integriert, wächst organisch in die Gesellschaft ein und ist nach einiger Zeit allenfalls noch am Namen zu erkennen wie die de Maizières oder Schimanskis der alten Bundesrepublik, diese Vorstellung ist Unfug oder gar Irreführung. Was damals geschah, ist die dauerhafte Ansiedlung einer arabischen Community in Deutschland. Ob man es will oder nicht.

Eine Gruppe von Flüchtlingen steht an der Reling der Fregatte „Hessen” der deutschen Marine, als diese am 7. Juni 2015 im Hafen von Palermo auf Sizilien, Italien, einläuft.

Der Satz mit den drei Fragezeichen. „Wir schaffen das“ ist in jedem einzelnen Wort eine fast schon übergriffige Behauptung und Bevormundung der Gesellschaft. Wer ist „wir“? Wie soll dieses „schaffen“ aussehen? Und was ist mit „das“ eigentlich gemeint? Es ist eine fast schon lehrbuchreife Politikerfloskel, die markige Tatkraft verströmt, nach Anpacken klingt und doch hinreichend vage und diffus bleibt, um hinterher nicht dafür haftbar gemacht werden zu können. Ein Klassiker der politischen Kommunikation.

Der Satz ist irreführend. „Wir schaffen das“ mag protokollarisch von der Richtlinienkompetenz und den allgemeinen Handlungsspielräumen eines Bundeskanzlers gedeckt sein, die Einvernahme des ganzen Landes für eine kollektive Aufgabe ist zumindest in einer freien demokratischen Verfassungsordnung grenzwertig. Wer ist dieses „wir“? Welche Gruppe hat Merkel das Mandat dafür erteilt? Jemand, der freiheitliche Demokratie verinnerlicht hat, weiß, dass es in freien Ordnungen nichts gibt, das unwidersprochen bleibt, dass Hinterfragen und Nicht-mitmachen zum Vorzug und Wesenskern der Freiheit gehört. Man mag zu Merkels Gunsten einwenden, dass sie die Tragweite dieser Tage und ihrer damaligen Entscheidungen nicht absehen konnte. Ein Argument, das allerdings auch in die Gegenrichtung sticht: Gerade deshalb hätte Merkel um eine gemeinsame Kraftanstrengung allenfalls werben dürfen, um kritische Geister nicht im Kommandoton vor den Kopf zu stoßen.

Ein syrischer Flüchtlingen bedankt sich bei „Mutti“ Merkel.

Ein zerstörerischer Satz. „Wir schaffen das“ ist ein Satz, den Merkel nach langer Bedenkzeit aus polit-taktischen und technischen Erwägungen heraus ohne Rücksicht auf gesellschaftliche Folgeschäden sagte und zum langjährigen Motto ihrer Migrationspolitik machte. Bereits am Rande der Bayreuther Festspiele am 26. Juli 2015 nahm der damalige Bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) Merkel beiseite und schlug wegen der Migrantenströme Alarm. Merkel leugnete die Brisanz der Lage lange und kam im Laufe des Augusts zu dem Schluss, dass eine Schließung der Grenzen zu einem aus ihrer Sicht gefährlichen Domino-Effekt innerhalb der EU führen könne, und dass Europa nie wieder an Deutschland scheitern dürfe. Deshalb entschied sie am Ende für die offenen Grenzen. Die innere Verfasstheit von Nation und Gesellschaft, psychologische Abstoßungsreflexe und kulturelle Belastbarkeitsgrenzen waren keine Kategorien, in denen sie dachte und denkt. Inzwischen räumt Merkel zwar ein, für den Aufstieg der AfD mitverantwortlich zu sein, schob aber unlängst bei einem Auftritt bei der „Augsburger Allgemeinen“ sofort hinterher: „Hätte ich darauf etwa Rücksicht nehmen sollen?“ Dass dieser Aufstieg einer neuen Partei legitimer Ausdruck einer Stimmung im Lande sein könnte, dass Politik dem Volk, dem Mehrheitswillen dient und nicht andersherum, ist ihr bis heute offenbar fremd.

Ein widerlegter und falscher Satz. „Wir schaffen das“ stimmt aus der heutigen Rückschau schlichtweg nicht. Als der Spiegel Anfang August die Bilanz von zehn Jahren Migrationsjahr 2015 zog, kam unter der Überschrift „Ziemlich geschafft“ trotz größten Wohlwollens der Autoren ein bitteres Fazit zustande: Wohnen, Arbeit, Bildung, Sicherheit – auf keinem der vier intensiv beleuchteten Gebiete kann man vom Gelingen sprechen. Nein, wir haben es nicht geschafft und schaffen es auch trotz aller Versuche einer Migrationswende nicht.

Ein explosiver Satz. „Wir schaffen das“ ist der Kernsatz für den Kollaps der westlichen, vor allem der westeuropäischen Gesellschaften. Dabei ist weniger der zutiefst unrealistische politische Pflichtoptimismus das Problem, sondern die naive Grenzenlosigkeit, die dahinter verborgene Ideologie von Offenheit und Vielfalt, die in ihrer Sprengkraft für die jeweilige Gemeinschaft überhaupt nicht erkannt wird. Wenn der Satz und der Ansatz des „Schaffens“, des Gelingens von Migration überhaupt einen Sinn haben soll, dann braucht er zwingend Begrenzung. Begrenzte Zahlen von Migranten können integriert und zum Nutzen der Einwanderungsgesellschaft werden. Ein diffus end- und grenzenloser, nach vorn offener Prozess des andauernden Zustroms kann gerade nicht „schafft“ werden, sondern führt zur Auflösung von Gemeinschaft, zu Aggression und Gewalt. Es ist typisch für die politische Landschaft in Deutschland, dass diese Erkenntnis in der Union durchaus vorhanden ist, aber eben aus Karrierismus, Opportunismus und Selbstgenügsamkeit nicht politisch wirksam wird. „Vielfalt kann nur gelingen mit einem Mindestmaß an Gemeinsamkeit“, hat der frühere Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) kürzlich gesagt.

Weise, zutreffend, folgenlos.

Mehr NIUS: Muster-Migranten statt harter Fakten:
 So reden ARD und ZDF 10 Jahre „Wir schaffen das“ schön

Publisher Logo

Dieser Artikel ist von NiUS

Klicke den folgenden Button, um den Artikel auf der Website von NiUS zu lesen.

Weitere Artikel

Blog Image

vor etwa 6 Stunden

Die AfD geht nicht weg – weil die Gründe für ihren Aufstieg bleiben

Man hat den Eindruck, dass die üblichen Politiker jeden Abend mit dem Stoßgebet zu Bette gehen: „Herr, mach dass die AfD...

Publisher Icon
Tichys Einblick
Blog Image

vor etwa 7 Stunden

Pfarrer Meurer: „Ich habe AfD-Plakate aus demokratischen Gründen abgehängt“

„katholisch.de“ ist das offizielle Internetportal der katholischen Bischofskonferenz und damit das offizielle Sprachrohr...

Publisher Icon
Tichys Einblick
Blog Image

vor etwa 7 Stunden

Will er überhaupt Frieden? Selenskyj lehnt Einladung nach Moskau ab – „Putin kann nach Kiew kommen“

Man muss sich wirklich fragen, ob der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj überhaupt ernsthaft ein Interesse an Fri...

Publisher Icon
Deutschland Kurier
Blog Image

vor etwa 7 Stunden

Nach 10 Jahren Migrationskrise: Frauen sind Zielscheibe Nummer 1

Sexuelle Übergriffe, Sittenwächter, grauenvolle Frauenmorde – regelmäßig lesen wir über Gewalt von einzelnen Zuwandererg...

Publisher Icon
NiUS
Blog Image

vor etwa 7 Stunden

Neues von der Bundesnetzagentur, die Gas-Kathi und eine schwierige Zukunft

Der aktuelle Bericht der Bundesnetzagentur (BNA) zur „Versorgungssicherheit Strom“ vom 3. September dürfte in der Branch...

Publisher Icon
Tichys Einblick
Blog Image

vor etwa 9 Stunden

Nach Umfrage-Schock in Sachsen-Anhalt: CDU-Haseloff sucht Trost in queerem Geborgenheitstanz – doch die 12 Prozent Abstand zur AfD bleiben

Reiner Haseloff, Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, hat als Politiker schon fast alles erlebt: desaströse Wahlabende,...

Publisher Icon
NiUS