
Der Internationale Karlspreis zu Aachen ist – wie viele klangvolle Preise – ein treffliches In-sich-Geschäft. Je namhafter die Preisträger, desto bedeutsamer der Preis. Für die jeweilige Jury verringert dieses Geschäftsmodell zudem den Aufwand der Preisfindung: Man hört ein paar Tage die Abendnachrichten, und wer darin prominent vorkommt, ist ein potenzieller Anwärter. Motto: Je Großkopf desto schmückt. Und einen ganz praktischen Vorteil hat diese Methode auch noch: Man kann nichts falschmachen, muss das Vorleben von Personen des öffentlichen Lebens nicht erst mühselig auf Jugendsünden oder weltanschauliche Fehltritte durchleuchten. Ein gediegener Selbstläufer für Kuratorium, die Stadt und den Preisträger.
Es ist seit langem üblich, dass die etablierte Politik sich gegenseitig, anlass- und vor allem leistungslos Preise verleiht. Wer öffentliche Ämter ab einer gewissen Postenhöhe bekleidet ist nach einer gewissen Zeit turnusmäßig dran, wenn er sich nicht komplett danebenbenimmt. Bundesverdienstkreuze an Abgeordnete, Minister, Kanzler und höchste Landesorden gibt es gewissermaßen als glanzvolle Dreingabe zum Job dazu. Während die Ehrungen des „kleinen Mannes“ Schülerpreise, Auszeichnungen fürs Ehrenamt, Jugend forscht oder ein aufopferndes Leben als Hebamme an besondere Verdienste geknüpft sind, bekommen Staatsgäste gern mal einen Orden vom Bundespräsidenten und heute nun auch die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen (CDU) den Karlspreis der Stadt Aachen.
Ursula von der Leyen (links), Präsidentin der Europäischen Kommission, und Sibylle Keupen, Oberbürgermeisterin von Aachen, auf dem Weg zur Verleihung des Internationalen Karlspreises
Bei Ursula von der Leyen ist die Ehrung besonders interessant, weil sie gleich mehrfach als Notnagel und ohne Wählervotum in das Amt gekommen ist, für dessen Inhaberschaft sie jetzt ausgezeichnet wird. Die erste Amtszeit erhielt sie, weil der eigentliche und immerhin gewählte EVP-Chef Manfred Weber (CSU) von Frankreichs Präsident Macron nicht gewollt war. Bei der zweiten Amtszeit war es noch absurder: Von der Leyen bekam Verlängerung, damit der Posten nicht an die Grünen fiel und am Ende gar Anton Hofreiter von der Ampel für Brüssel nominiert würde. Nur deshalb machte die konservative Parteienfamilie der Europäischen Volkspartei (EVP) von der Leyen zur Spitzenkandidatin unter der Bedingung, dass sie vieles von dem, was sie in der ersten Amtszeit angerichtet hatte (Verbrenner-Verbot, Green Deal, Lieferkettengesetz, ausufernde Bürokratie) wieder zurücknehmen sollte. Ein Top-Job zur Grünen-Vermeidung und als Belobigung die Fehlentscheidungen im Amt.
Egal. Über solche kleinlichen Schmutzeleien im politischen Tagesgeschäft sieht in der ersten Liga der europäischen Preise gern mal hinweg. Der Jury geht es um höhere Werte: „Für ihre Verdienste um die Einheit der Mitgliedstaaten, die Eindämmung der Pandemie, die Geschlossenheit des Verteidigungswillens gegen Russland und die Impulse zum Green Deal einerseits sowie zur Ermutigung gegenüber den anstehenden Aufgaben.“
Wenn es eines Beweises bedurft hätte, dass sich hier eine geschlossene Gesellschaft gegenseitig auf die Schulter klopft und Preise verleiht, dann mit dieser Begründung. Für die „Einheit Europas“ gerade mit Blick auf Osteuropa hat von der Leyen nun wirklich nichts getan. Sie hat die Konfrontation mit Ungarn unnötig vertieft, und ist auch nicht ganz unschuldig daran, dass die Europa-Skepsis in vielen osteuropäischen Ländern – von der Slowakei bis Rumänien – deutlich gewachsen ist. Wer den Kontinent zusammenführen will und gleichzeitig regelmäßig die Wähler beschimpft, die Brüssel längst nicht mehr verstehen, der hat genau den Job verfehlt, den von der Leyen macht und für den sie heute prämiert wird.
Applaus für die Preisträgerin – auch von Bundeskanzler Friedrich Merz.
Der „Green Deal“ war ein Zeitgeist-Projekt, dass jetzt von allen Seiten mühselig wieder zurückgedreht werden muss, weil Bürokratie, zusammenbrechende Energienetzte und Weltrettungsphantasien die Konkurrenzfähigkeit der europäischen Wirtschaft schwächen. Die Außengrenzen sind noch immer nicht geschützt, und dass die EU-Länder unter dem Eindruck von Trumps Zöllen und Russlands Aggression näher zusammenrücken, ist nun wahrlich nicht das Verdienst der Kommissionspräsidentin.
Und was die Eindämmung der Pandemie betrifft, mag sie bei der schnellen Impfstoff-Beschaffung „Verdienste“ haben, die zu würdigen man allerdings so lange verschieben sollte, bis sie ihre Handy-Nachrichten mit den großen Pharma-Firmen wiedergefunden und den ganzen Prozess transparent gemacht hat.
Es ist ja wahr: Das Arbeitspensum ist in Brüssel, wie in jeder nationalen Regierung auch, enorm, und die Gestaltungsspielräume an der Spitze der Kommission sind begrenzt. Von der Leyen kann Dinge und Themen auf die Tagesordnung setzen, weglassen oder verschleppen. Eine allein regierende Königin von Europa ist sie nicht. Wer es ganz nüchtern, pragmatisch sehen will, der kann ihr zugutehalten, dass sie es meisterlich versteht, zwischen den Machtverhältnissen im EU-Rat, der Europäischen Parlament und den großen Nationen zu jonglieren und sich damit nicht nur im Sattel ihrer geliebten Dressurpferde in Hannover, sondern auch jenem der Brüsseler Macht zu halten.
Einen Preis hat sie dafür nicht verdient.
In einer Zeit, in der in vielen EU-Ländern aus verschiedensten Gründen Bewegungen aufwachsen, die genau diesen EU-Macht-Klüngel in Frage stellen, den von der Leyen verkörpert, braucht es keine trotzige Honorierung im erlauchten Kreis, sondern ein Zeichen des Zugehens auf die Europäer. Europa und sein Geist wachsen – wenn überhaupt – von unten. Nicht durch Europa-Lobbys und Politiker, die sich gegenseitig hohle Preise verleihen. Ganz gleich, ob in Aachen, Berlin oder sonstwo.