
Als Volker Wissing noch freidemokratischer Bundesverkehrsminister war, setzte er sich vehement gegen den Plan der EU-Kommission ein, ab 2035 die Zulassung von Autos mit Verbrennungsmotor zu verbieten. Er hatte Erfolg. Es blieb ein kleines Schlupfloch für Fahrzeuge, die ausschließlich Sprit tanken, der bei der Verbrennung kein zusätzliches Kohlenstoffdioxid (CO2) emittiert. Diese Treibstoffe, so tröstete sich die Kommission wohl, würden so knapp und teuer, dass es doch auf reine Elektroautos hinauslaufen würde. Denn im Fokus standen vor allem synthetische Treibstoffe, die aus grünem Strom, Wasser und CO2 hergestellt werden. Und die sind tatsächlich teuer.
Doch es gibt ja noch Alkohol, Ethanol. Brasilien macht es vor. Dort sind fast alle Autos mit Motoren ausgestattet, die Benzin, Ethanol und beliebige Mixturen aus diesen beiden Spritsorten vertragen. Alkohol ist dort billig. Er wird allerdings aus Zuckerrohr hergestellt, einem Nahrungsmittel, was angesichts der oft schwierigen Ernährungslage in großen Teilen der Welt auf massive Kritik stößt. Zudem benötigen Zuckerrohrplantagen viel Platz, der nicht zuletzt zu Lasten der Regenwälder geschaffen wird.
Zellulose-Ethanol könnte der Ausweg sein, also Alkohol, der aus zellulosehaltigen Abfällen aus der Forstwirtschaft, der Nahrungsmittelindustrie und der Landwirtschaft hergestellt wird, beispielsweise aus Stroh, Sägespänen und den Schalen von Nüssen und Früchten. Mário Murakami, Leiter der Forschungsgruppe Biokatalyse und synthetische Biologie am brasilianischen Zentrum für Energie- und Materialforschung (CNPEM) in Campinas, sagt, dass jährlich weltweit „hunderte Millionen Tonnen“ dieses Rohstoffs für die Umwandlung in Ethanol zur Verfügung stehen.
Damit könnten Flugzeuge, Autos, Schiffe und Bahnen versorgt werden, sodass zumindest ein beträchtlicher Teil der Verkehrsmittel ohne Elektroantrieb, Batterien und Brennstoffzellen auskäme, ohne die Umwelt zu belasten. Das könnte die Anforderungen an grünen Strom reduzieren, von dem sich kaum so viel produzieren lässt, dass sich alle Elektrifizierungswünsche erfüllen lassen.
Doch für Zellulose-Ethanol gilt das Gleiche wie für synthetische Treibstoffe: zu teuer. Eine Raffinerie in Italien, die diesen Sprit kommerziell im großen Stil herstellte, musste bereits 2017 aufgeben. Einige andere Unternehmen lassen sich davon nicht abschrecken. So baut die Schweizer Ineos in Florida eine Ethanolanlage, die die Schalen von Zitrusfrüchten verwertet.
Das Problem bei dieser Art der Ethanol-Herstellung ist der sogenannte Aufschluss der Zellulose. Dieses Biopolymer besteht zwar aus den Zuckerarten Glucose, Arabinose und Xylose, doch Hefen, die diese durch Vergären in Ethanol umwandeln könnten, kommen einfach nicht heran. „Die Widerstandsfähigkeit der kristallinen Struktur von Zellulose beruht auf einer Reihe von Schlössern, die klassische Enzyme nicht öffnen können“, so Murakami. Mit seinem Team hat er jetzt die Schlüssel gefunden: ein Enzym, dem er den sperrigen Namen CelOCE (cellulose oxidative cleaving enzyme, etwa Enzym, das die Spaltung von Zellulose durch Oxidation erreicht) gab. „CelOCE öffnet diese Schlösser und ermöglicht so anderen Enzymen die Umwandlung in Ethanbol.“
Das neu entdeckte Enzym erkennt das Ende der Zellulosefasern, klammert sich daran fest und spaltet sie oxidativ. Dadurch wird die Stabilität der kristallinen Struktur aufgebrochen, sodass Hefen den Rest der Arbeit erledigen, die Zuckermoleküle also in Alkohol umwandeln können. Die klassische Hefe, die auch bei der Bier- und Weinherstellung eingesetzt wird, funktioniert allerdings nur bei Glukose und Saccharose, dem Haushaltszucker. Ursprünglich konnte sie auch Arabinose und Xylose umwandeln. Doch im Laufe von hunderttausenden von Jahren haben sie diese Fähigkeit verlernt. Mit gentechnischen Methoden verändert sind sie heute wieder in der Lage, auch diese Zuckerarten zu verwerten. Die Forscher in Brasilien haben bereits eine Pilotanlage gebaut, sodass einer Umsetzung in industriellem Maßstab nichts mehr im Wege steht.
Wolfgang Kempkens studierte an der Technischen Hochschule Aachen Elektrotechnik. Nach Stationen bei der „Aachener Volkszeitung“ und der „Wirtschaftswoche“ arbeitet er heute als freier Journalist. Seine Schwerpunkte sind Energie und Umwelt.