Zerfall eines Riesen

vor 11 Monaten

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Über Deutschlands zweitgrößten Automobilzulieferer ZF Friedrichshafen prasseln derzeit fast täglich Hiobsbotschaften ein. Wie die Geschäftsführung am Dienstag die Abteilungsleiter unterrichtet hat, sollen am Standort in Saarbrücken 4.400 bis 4.500 Arbeitsplätze abgebaut werden. Die Gewerkschaft IG Metall befürchtet sogar, dass die Zahl der Mitarbeiter von derzeit 9.000 bis 9.500 bis 2028 auf unter 3.000 fallen könnte. Doch immerhin sei man in Saarbrücken in der Lage, sowohl Teile für Verbrenner als auch für Elektroautos herstellen zu können, weshalb das Werk verhältnismäßig gut dastehe.

Andere Standorte werde es noch heftiger treffen. Gesamtbetriebsratschef Achim Dietrich spricht gegenüber dem Handelsblatt davon, dass es eine Liste von Standorten gebe, die man im Eilverfahren schließen wolle. Von den 24 Standorten in Deutschland sei mehr als ein Drittel akut von der Schließung bedroht. Entwarnung könne er für keinen Arbeitnehmer geben. Im Sommer gab das Unternehmen bekannt, 14.000 Arbeitsplätze abbauen zu wollen. Dem Betriebsrat zufolge sei das jedoch erst der Anfang eines beispiellosen Kahlschlags, der ZF bevorstehe.

Das Unternehmen ist nicht börsengelistet. Seine Bedeutung für den Standort Deutschland wird deswegen regelmäßig unterschätzt. Mit einem Umsatz von über 46 Milliarden Euro ist das Unternehmen aber größer als etwa der Automobilhersteller Porsche. Auch zu den Exportüberschüssen, die Deutschland jahrelang verzeichnen konnte, hat ZF ganz wesentlich beigetragen. Nach Zahlen von 2020 liegt die Wertschöpfung von ZF bei über vier Milliarden Euro. Das macht ZF zum 21. produktivsten Unternehmen Deutschlands.

Doch mit den rosigen Zeiten ist es für den Konzern längst vorbei. Eine Sprecherin des Unternehmens sprach gegenüber der Saarbrücker Zeitung von einem „dramatischen Auftragseinbruch“. Die Umstellung der deutschen Automobilwirtschaft auf Elektrowagen stellt ZF vor eine de facto nicht zu bewältigende Aufgabe. Die von ZF hergestellten Getriebe und entsprechenden Komponenten werden in Elektromotoren nicht mehr gebraucht. Um den Konzern einigermaßen fit für die „grüne Transformation“ zu machen, wären massive Investitionen nötig.

Dazu dürfte ZF aber kaum in der Lage sein. Durch mehrere Übernahmen hat sich das Unternehmen massiv verschuldet. 2015 kaufte man für 12,4 Milliarden Euro den amerikanischen Konkurrenten TRW auf. Nach der TRW-Übernahme setzte ZF seinen Expansionskurs fort. Ein Übernahmeversuch des Bremsenherstellers Haldex scheiterte an einem höheren Gebot der Konkurrenz. Anschließend richtete sich das Interesse auf Wabco, ein US-Unternehmen, das sich auf elektronische Bremssysteme spezialisiert hatte. 2020 gelang schließlich die Übernahme für rund sechs Milliarden Euro.

Die Gesamtverschuldung des Unternehmens hat sich in diesem Zeitraum jedoch drastisch erhöht. ZF muss nun Kredite in Höhe von rund 10,5 Milliarden Euro tilgen. Dabei ist die angespannte finanzielle Lage bei ZF nicht ausschließlich auf die Übernahmen zurückzuführen. 2018 belief sich die Schuldensumme des Unternehmens noch auf lediglich vier Milliarden Euro. Durch die Abkehr der EZB von ihrer Nullzinspolitik haben sich die laufenden Kosten erhöht. Fast eine halbe Milliarde muss man derzeit allein für die Zahlung der Zinsen aufbringen.

In die Transformation der Automobilindustrie geht der Konzern also ohne jegliche Rücklagen. Auch die Umsatzprognosen musste das Unternehmen nun kassieren. Statt mit einem Umsatz von 42,5 bis 43,5 Milliarden Euro, rechnet man nur noch mit Nettoerlösen in Höhe von 40 bis 42 Milliarden Euro. Erst kürzlich gab man sogar noch eine Gewinnwarnung heraus. Demnach sei der bereinigte freie Cashflow deutlich eingebrochen. Statt bisher 800 Millionen Euro soll der Überschuss aus dem operativen Geschäft sich auf nur noch 100 Millionen Euro belaufen.

Die hohe Verschuldung des Unternehmens könnte ZF endgültig in die roten Zahlen abrutschen lassen. Anfang Oktober – wenige Tage nach der Gewinnwarnung – gab die Rating-Agentur Moody’s bekannt, dass man die Ratingnote von ZF überdenken wolle. Als wahrscheinlich gilt die Herunterstufung der Bonität. Innerhalb der kommenden 90 Tage will die Ratingagentur präsentieren. ZF dürften dann noch höhere Zinskosten drohen, die auch nicht durch die von der EZB wieder gesenkten Leitzinsen kompensiert werden könnten.

Die derzeitigen Aussichten für den Konzern sind dramatisch. Werden etwa in Saarbrücken die Befürchtungen des Betriebsrats wahr und der Abbau von über 6.000 Arbeitsplätzen findet statt, würden in der Landeshauptstadt auf einen Schlag fünf Prozent der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze wegfallen. Für den Hauptstandort Friedrichshafen ist die Krise noch wesentlich dramatischer. ZF ist ein Stiftungsunternehmen und zu 94 Prozent in der Hand der Zeppelin-Stiftung. Das Vermögen der Zeppelin-Stiftung wiederum gilt als städtisches Sondervermögen.

Friedrichshafen ist massiv abhängig von den regelmäßigen Zahlungseingängen durch die Zeppelin-Stiftung. Sie fördert in der Gemeinde am Bodensee Kindergärten, Musikschulen oder Altenheime. Auch abseits dessen fördert sie zahlreiche gemeinnützige Projekte in Friedrichshafen. Hinzu kommt, dass ZF der mit Abstand größte Arbeitgeber in Friedrichshafen ist und wesentlich zum Wohlstand der Stadt beiträgt. In der 60.000-Einwohner-Stadt arbeiten mehr als 10.000 Arbeitnehmer bei ZF. Der Konzern hat sich bisher nicht dazu geäußert, wie viele Arbeitsplätze am Hauptstandort abgebaut werden sollen.

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