
Eine linke Kommunalpolitikerin im belgischen Migrantenviertel Molenbeek hat Kritiker des Kopftuchs in öffentlichen Ämtern attackiert und ihnen jetzt geraten: „Ziehen Sie doch anderswohin, verschwinden Sie“ – es gäbe schließlich viele andere Stadtviertel.
In Belgien hat eine Äußerung der sozialdemokratischen Gemeinderätin Saliha Raiss (Vooruit) aus der Brüsseler Gemeinde Molenbeek für heftige Reaktionen gesorgt. Während einer Befragung im Rahmen einer Gemeinderatssitzung wandte sich Raiss, die als Kind von Einwanderern in Molenbeek aufgewachsen ist und selbst einen Hijab trägt, gegen Forderungen nach einem Verbot religiöser Symbole im öffentlichen Dienst.
Wörtlich sagte sie: „Wenn wir so viel stören, wenn man uns nicht mehr sehen will, möchte ich sagen: Die Region umfasst 19 Gemeinden; wenn es in Molenbeek anscheinend so unerträglich ist, ziehen Sie doch anderswohin, verschwinden Sie.“
Click here to display content from Twitter. Erfahre mehr in der Datenschutzerklärung von X.
Inhalt von X immer anzeigen
Die Aussage richtet sich gegen Bürger, die das Neutralitätsgebot des Staates mit einem Verbot religiöser Symbole – insbesondere des islamischen Kopftuchs – durchsetzen wollen. Kritiker werten Raiss’ Worte als Affront und als Infragestellung der staatlichen Neutralität. Georges-Louis Bouchez, Vorsitzender der frankophonen liberalen Partei Mouvement Réformateur (MR), reagierte umgehend. Auf X schrieb er von einer „Negierung der Neutralität des Staates“. „Denjenigen, die das Modell des Zusammenlebens in unserem Land durchsetzen wollen, wird gesagt, sie sollen gehen, wenn sie nicht zufrieden sind.“
Ihrer provokanten Äußerung war zuvor eine hitzige Debatte zwischen Raiss und MR-Vertretern während der Gemeinderatssitzung vorausgegangen. Raiss machte dabei öffentlich auf Kommentare aufmerksam, die sie unter Beiträgen auf der Facebook-Seite der MR Molenbeek entdeckt hatte. Dort fanden sich aus ihrer Sicht „rassistische Kommentare“, die sie als „bedauerlich und abstoßend“ bezeichnete. Diese hätten sich direkt gegen Frauen gerichtet, die ein Kopftuch tragen – auch gegen sie selbst.
„Das ist Rassismus, den Sie in Ihren sozialen Medien und auf Ihren Plattformen dulden und verharmlosen“, warf sie den Verantwortlichen der MR vor. Sie betonte, Ratsmitglieder, die solche Kommentare ignorierten, machten sich „mitschuldig“ und seien „Komplizen“. Auch in einer schriftlichen Stellungnahme erklärte sie, dass die Partei mit ihrer Ignoranz gegenüber solchen Kommentaren unter ihren Postings Rassismus „bagatellisiere und unterstütze“.
MR-Vertreter wiesen diesen Vorwurf zurück. Didier Millis, Gemeinderat der Liberalen, erklärte, die fraglichen Kommentare hätten „nicht gemacht werden sollten“ und seien inzwischen gelöscht worden. Angesichts der großen Zahl an Beiträgen könnten einzelne Nachrichten übersehen werden. Für ihn sei klar: „Wenn es etwas gibt, das ich nicht ertragen kann, dann ist es Rassismus.“ Zugleich kritisierte er die Reaktion von Raiss. Ihre Empfehlung, Kritiker sollten Molenbeek verlassen, bezeichnete er als „unverständlich“. „Ich höre mir selbst sagen, ich müsse als Belgier meine Gemeinde verlassen, weil jemand meine Ansichten nicht teilt?“, empörte sich Millis. Ein Stadtrat müsse die gesamte Gemeinde repräsentieren, betonte er, und fügte hinzu: „Molenbeek gehört ausnahmslos allen seinen Einwohnern“.
Molenbeek gilt als einer der am stärksten von Zuwanderung geprägten Stadtteile Brüssels. Mehr als die Hälfte der knapp 100.000 Einwohner hat einen Migrationshintergrund, viele stammen aus Marokko oder anderen Ländern Nordafrikas. Der Bezirk ist wiederholt in den Schlagzeilen, weil islamistische Terroristen aus Molenbeek stammten oder dort Rückzugsräume fanden. Gleichzeitig leben dort zahlreiche Familien der Arbeiterschicht, die in engem sozialen Gefüge und oftmals mit starkem Bezug zum Islam ihren Alltag gestalten.
Saliha Raiss ist Mitglied der sozialdemokratischen Partei Vooruit. Bis September 2023 war Raiss für die Fraktion one.brussels-Vooruit im Brüsseler Parlament tätig. Seit 2018 ist sie Gemeinderätin in Molenbeek. Zuvor war sie Stabschefin des Vizepräsidenten des Brüsseler Parlaments, Fouad Ahidar, und Mitglied des Kabinetts von Johan Vande Lanotte.
Die Debatte über religiöse Symbole im öffentlichen Dienst schwelt in Belgien seit Jahren. Während liberale und konservative Kräfte auf einem strikten Neutralitätsgebot bestehen, fordern linke Parteien wie Vooruit mehr Offenheit gegenüber religiösen, insbesondere muslimischen, Ausdrucksformen. Die jüngste Aussage von Raiss dürfte die Auseinandersetzung weiter anheizen.