Zinsschock am Anleihenmarkt – Droht eine neue Finanzkrise?

vor 27 Tagen

Blog Image
Bildquelle: Apollo News

Langfristige Anleihen höchster Bonität, etwa aus den USA, Deutschland oder Japan, bilden das Rückgrat der modernen Finanzarchitektur. Versicherungen, Banken und Pensionskassen nutzen diese Langläufer, um sichere Rendite einzufahren. Ihre Stabilität schützt große Kapitalsammelstellungen vor Volatilität und Schocks an den Finanzmärkten. In Deutschland machen sie etwa ein Drittel der Versicherungsbilanzen aus, in den USA sogar rund 60 Prozent. Anders gesagt: Die Basis unserer Versicherungsmodelle, Transaktionsmechanismen (Settlement) und Risikoprojektionen von Kapitalanlagen sind Staatsschulden. Die Stabilität staatlicher Schuldpapiere begründet das stille Vertrauen, auf dem unser Finanzsystem ruht. Niemand kalkuliert mit der plötzlichen Zahlungsunfähigkeit eines staatlichen Akteurs.

Drei historische Stränge weisen auf den Ursprung dieses Mechanismus hin: Da ist zum einen die globale Finanzarchitektur, wie sie nach der Konferenz von Bretton Woods im Jahre 1944 etabliert wurde. In ihrem Kern führte sie zur Verankerung des US-Dollars und amerikanischer Staatsanleihen als Nukleus weltweiter Finanzströme, Zahlungssysteme und Anlageformen. Dieser Mechanismus erfuhr eine Vertiefung durch die Etablierung des Petrodollars, der Einigung entscheidender Ölproduzenten wie Saudi-Arabien, Öl, Gas und andere Rohstoffe hauptsächlich in US-Dollar zu fakturieren und die im Verkauf erzielten Überschüsse in amerikanischen Staatsanleihen zu parken.

US-Dollar und US-Staatsanleihen setzten sich als Standard fest und dominieren noch immer über die verzweigten Kanäle des Rohstoffhandels und des Kreditmechanismus außerhalb der USA (Eurodollar) das Geschehen an den Märkten. Der abschließende Akt, der US-Staatsanleihen endgültig zum globalen Finanzfundament erhob, war das Aus des Goldstandards im Jahre 1971. Mit seiner Entscheidung, die Tauschpflicht von US-Dollar in Gold zu einem Fixpreis aufzuheben, entließ US-Präsident Richard Nixon den Kredit in die totale Abstraktion, ohne jede reale Deckung. Die ungedeckte Staatsanleihe (Fiat) wurde so zum Kreditvehikel, das der Politik einen geldpolitischen Hebel zur scheinbar grenzenlosen Expansion der Staatsschulden an die Hand gab.

Aus der Vergangenheit wissen wir, dass dieser Kreditmechanismus wesenhaft brüchig bleibt. Ob die Asienkrise des Jahres 1997 oder die Große Staatsschuldenkrise vor eineinhalb Jahrzehnten – stets kollabierten die Schuldenkonstrukte einzelner überschuldeter Staaten (Griechenland 2010) und lösten eine Vertrauenskrise aus, die andere Staaten wie Dominosteine stürzen ließ. Stehen wir in diesen Tagen erneut vor einer Schuldenkrise? Die Herabstufung der Vereinigten Staaten am Freitag durch Moody’s bestätigte, was die Anleihenmärkte seit Monaten antizipieren: Der Schuldenberg gerät außer Kontrolle, Investoren verlangen höhere Risikoprämien und verkaufen in erster Linie langlaufende Anleihen, vornehmlich aus den USA und Japan ab.

Das Beispiel der Vereinigten Staaten macht deutlich, dass eine kurzfristige Konsolidierung der Staatsausgaben dem Versuch gleicht, ein Flugzeug in der Luft zu reparieren. Vieles, vor allem die staatlichen Zahlungsverpflichtungen im Rahmen der Sozialprogramme oder des Militäretats, scheint nach wie vor sakrosankt. Haushaltspolitik im modernen Wohlfahrtsstaat funktioniert zu einem großen Teil im Modus des Autopiloten.

Bliebe die Geldpolitik. Sie hat uns überhaupt erst in diese fatale Lage gebracht, seit Notenbanken damit begonnen haben, Staatsschulden en masse auf die eigenen Bilanzen zu nehmen, um so Markt und Zinsniveau unter ihre Kontrolle zu bringen. Man sollte sich an dieser Stelle keiner Illusion hingeben: Frieren wir die Offenmarktaktivitäten der Notenbanken auch nur für 24 Stunden ein, kollabiert der globale Schuldenberg. Der Markt wirkt saturiert, überladen mit Kreditrisiken in einem ökonomisch zunehmend fragilen Umfeld.

Über die Hälfte der japanischen Staatsschulden ruht bereits in der Bilanz der Notenbank – der japanische Anleihenmarkt erfüllt damit längst nicht mehr die Kriterien eines normalen Marktgeschehens, an dem sich Käufer und Verkäufer auf einem volumentiefen Markt in engen Preismargen bewegen. Japans Ohnmacht angesichts des Abverkaufs seiner Staatsanleihen, die 40-Jährigen stiegen seit Jahresbeginn von 2,09 auf 3,45 Prozent, sendet ein fatales Signal, das nun mit Verzögerung den Markt erreicht: Es gibt einen sehr realen Sättigungsmoment, auch am tiefsten aller Märkte, am Markt für Staatsanleihen. Dies ist der Moment, in dem Anleihenemissionen ohne Käufer implodieren und die Notenbank als „Lender of Last Resort“, als letzter Kreditgeber, interveniert, um Schlimmeres zu verhindern.

Was wir seit Monaten durch den Preisanstieg bei Vermögenswerten ohne Drittparteienrisiko wie Gold oder Bitcoin beobachten, ist eine reflexive und sich verstärkende Kettenreaktion auf den Vertrauensverlust in die Kreditwürdigkeit der Staaten. Gerade der dramatisch schnelle Abverkauf langfristiger Staatsanleihen, wie der 40-jährigen japanischen Papiere, zeigt, dass es sich bei den Verkäufern um große Kapitalsammelstellen wie Versicherungen handeln muss. Die Fragilität des überschuldeten Schuldenbergs sickert zunächst langsam, dann immer schneller in das Bewusstsein der Marktteilnehmer.

Die Kapitalströme in Gold und Bitcoin sind weniger Ausdruck einer freiwilligen Adaption, sondern vielmehr eine erzwungene Flucht aus einem System, das zunehmend unter dem Druck von Inflation und Emittentenrisiken ächzt. Diese Bewegung steht erst am Anfang – und sie dürfte die globalen Kapitalmärkte in den kommenden Monaten und Jahren in Atem halten. Große Umbrüche an den Märkten vollziehen sich schleichend über viele Jahre – und dann mit einem Schlag. Oder wie Ernest Hemingway auf die Frage, wie man insolvent wird, antwortete: „Erst allmählich, dann plötzlich.“ Die entscheidende Frage lautet: Stehen wir vor einem solchen Augenblick, einem systemischen Kippunkt?

Um zu antizipieren, was uns bevorsteht, genügt ein Blick zurück: in die Mechanik der Staatsschuldenkrise vor anderthalb Jahrzehnten. Das Reaktionsmuster von Regierungen und Zentralbanken bleibt sich im Wesentlichen treu: Brüchen im Vertrauenskorsett der Gläubiger begegnet man mit Zinssenkungen, künstlich stimulierter Kreditnachfrage, großzügiger Liquiditätszufuhr sowie Stützungskäufen am Anleihenmarkt. Diese Maßnahmen sind kein Heilmittel, sondern Symptomverschleierung: Sie verzögern notwendige fiskalische Reparaturarbeiten und treiben die Inflation weiter an. Und sie verstärken das reflexive Element des Vertrauensverlustes in die Zahlungsfähigkeit staatlicher Akteure.

Publisher Logo

Dieser Artikel ist von Apollo News

Klicke den folgenden Button, um den Artikel auf der Website von Apollo News zu lesen.

Weitere Artikel