
Über das Talent von Olaf Scholz (SPD) als schlechter Redner sind schon viele Texte veröffentlicht worden. Dabei ist das noch nicht einmal das allergrößte Problem des amtierenden Kanzlers. Er hat gute Redenschreiber, die ihm manchmal gute Sätze anbieten, die Scholz dann auch mit dem angemessenen Pathos vorträgt. Zum Beispiel: „Die Antwort kann doch nicht in den Technologien von gestern liegen.“ Klingt gut. Nach Realismus auf der einen und nach Perspektive auf der anderen Seite.
Schlimm wird es für Scholz, wenn man seine Rede mit seiner Tat vergleicht. Das wird verheerend. Wenn der Kanzler sagt, die Antwort könne nicht in den Technologien von gestern liegen, meint er grünen Wasserstoff als Technologie von gestern. Ja, ist ein Energieträger und keine Technologie. Aber darum geht es jetzt nicht. Sondern um Scholz‘ Energiepolitik:
Scholz verantwortet als Kanzler den Atomausstieg. Trotz „Zeitenwende“ hat er Robert Habecks (Grüne) Schwindel mitgetragen und die Abschaltung von sechs hoch modernen Atomkraftwerken durchgepeitscht. Jetzt will Scholz Atomstrom aus Frankreich kaufen, mit dem künstlich „grünen Wasserstoff“ herstellen lassen und den dann in Deutschland wieder zu „sauberem“ Strom zu machen. Klingt irre? Ist irre. Deswegen sagt Scholz auch lieber abstrakt: „Die Antwort kann doch nicht in den Technologien von gestern liegen.“
Im Bundestag lobt sich Scholz selbst. Das macht aus seiner Sicht Sinn. Denn niemand kann ihn so gut loben wie er sich selbst. Aus der Sicht von Olaf Scholz kann ohnehin niemand irgendetwas so gut wie er. Wäre der Kanzler ein Familienmitglied, wäre er der Onkel, der Stunden lang neben dem Schachbrett steht und den Spielern gute Tipps gibt – um dann im Aufbau den Läufer auf das Springer-Feld zu setzen, wenn er selbst mit Spielen dran ist.
25 Minuten lobt Scholz sich selbst. Er zeichnet ein Land, das zusammenhält. Dessen Wirtschaft trotz aller Probleme funktioniert. Die Probleme werden von anderen verursacht und von Scholz gelöst. Deutschland ist ein anerkannter Partner weltweit, der Trumps USA bremst, die internationalen Konflikte löst und dessen Regierung von allen bewundert wird. Im Innern ist Deutschland sicher, Gefahren auf Bahnhöfen oder Marktplätzen gibt es nicht. Scholz‘ Rede ist nicht das Problem. Heikel wird es für ihn erst, wenn sie mit seiner Tat verglichen wird.
Scholz‘ Zukunftsvision ist die „Modernisierung der Schuldenbremse“, was zugegebenermaßen besser klingt als: die massive Neuverschuldung Deutschlands. Dieses Mal soll das Geld eins zu eins in sinnvollen Projekten ankommen wie der Sanierung von Brücken. Gut. Deutschland nimmt so viele Steuern ein wie noch nie. Die Wirtschaft bricht unter dieser Last zusammen. Trotz der Rekordeinnahmen kommt die Politik mit dem Geld nicht aus. Weil sie es international verschwendet, um Klima-Ideologie bis in die peruanischen Anden zu tragen. Weil sie es national an NGOs verschwendet, um für SPD und Grünen Straßenprotest gegen deren Konkurrenten zu organisieren. Aber die massive Neuverschuldung soll in sinnvollen Projekten münden. Es ist einfach verkehrt, die Rede des Kanzlers mit der Realität abzugleichen. Aus Sicht von Scholz.
25 Minuten lobt Scholz sich selbst. 25 Minuten zeichnet der Kanzler das Bild eines Landes, in dem es ein Glück wäre zu leben, wenn es denn dieses Land so gäbe. 25 Minuten macht Scholz klar, dass die Welt eine bessere wäre, wenn es nur keine Opposition gäbe, die seine Genialität sich nicht voll entfalten lässt. 25 Minuten ist Scholz so von der realen Welt abgekehrt, dass der nüchterne Sauerländer Friedrich Merz seine eigene Rede mit den Worten anfängt: „Was war das denn?“ Der Kanzler habe den Plenarsaal des Deutschen Bundestags mit einem Bundeskongress der Jusos verwechselt, wo er sozialdemokratische Ideologie guten Herzens ausbreiten könnte.
Wobei Merz Scholz einen Vorwurf macht, der auch auf den Unions-Kandidaten selbst zutrifft: Scholz blicke nur zurück, sagt Merz. Das stimmt. Aber er selbst tut das eben auch. Die Zukunft taucht bei dem Christdemokraten bestenfalls in Schlagworten auf. Etwa „Künstliche Intelligenz“. Die solle es künftig auch in Deutschland geben. Fein. Aber Details wären hilfreich gewesen.
Wie Scholz auch, ist Merz in alten Parteistrategien verhaftet. Der Sozialdemokrat will alles mit mehr und mehr und noch mehr Steuergeld lösen. Der Christdemokrat aus den 80ern will es über Entlastung versuchen. Immerhin bliebe dabei den Bürgern mehr Geld im Geldbeutel. Aber an strukturelle Probleme geht Merz auch nicht wirklich ran. Klar fordert er den Bürokratie-Abbau – wer tut das dieser Tage nicht. Doch so wie Scholz weicht Merz unangenehmen Wahrheiten aus:
Bürokratie hat in Deutschland einen metaphorischen Namen: Brüssel: Dort sitzt mit der EU-Verwaltung ein Monster, das seinen Griff auf das Privatleben der Bürger in einem verstörenden Tempo ausweitet. Geführt wird dieses Monster von Ursula von der Leyen. Der Eiskönigin der bürokratischen Herrschaft. Eine Christdemokratin. Von der deutschen CDU zur Spitzenkandidatin der Europawahl gemacht. Wer wie Merz hinrotzt, Bürokratie abbauen zu wollen, der wäre ehrlicherweise halt eine Erklärung schuldig, wie er mit einer solchen Parteifreundin fortan umgehen will.
Nun ist Deutschland keine Präsidialdemokratie. Fünf Fraktionen sitzen im Bundestag, zwei Gruppen und eine Landesgruppe. Die dürfen in einer solchen Debatte auch reden. Robert Habeck (Grüne) holt nach, was das „Kanzlerduell“ im Staatsfernsehen versäumt hat: Er redet über den Klimaschutz. Dass er als „Wirtschaftsminister“ nicht substantiell über Wirtschaft reden will, ist nachvollziehbar.
Christian Lindner gelingt eine gute Pointe: Willy Brandt habe als Sozialdemokrat den ersten Nobelpreis geholt, Olaf Scholz werde den zweiten nach Hause tragen. Brand erhielt den für Frieden, Scholz bekomme den für Physik. „Weil er endgültig bewiesen hat, dass es Paralleluniversen gibt.“ Zack. Der hat gesessen. Lindner ist ein großartiger Redner.
Dumm halt für Lindner, dass er auch ein Politiker ist. Als solcher hat er drei Jahre lang rot-grüne Erfüllungspolitik betrieben. Er hat zugesehen, wie Marco Buschmann die Verlängerung der Corona-Maßnahmen mittrug. Wie Marco Buschmann das hoch gefährliche „Selbstbestimmungsgesetz“ geschrieben hat. Als die FDP mit alledem in der Ampel gescheitert war, machte Lindner diesen Marco Buschmann zum Generalsekretär. Als Zeichen, wie es künftig weitergeht mit der FDP. Um den Redner Christian Lindner ist es schade. Angesichts des Politikers Christian Lindner drängt sich die Frage auf: Warum ist der immer noch da?
Bliebe noch Alice Weidel. Sie zeichnet ein Land, wie es aussehen würde, wenn die AfD regiert. Doch sie kommt kaum dazu. Die Abgeordneten der „demokratischen Mitte“ brüllen sie nieder. Bärbel Bas könnte jetzt beweisen, dass sie die Größe für ihr Amt als Bundestagspräsidentin besitzt und das Rederecht der Opposition durchsetzen. Oder Bas könnte zeigen, dass sie nie mehr war als eine Parteisoldatin, die ein Leben im Schatten verbracht hat, für das sie als spätes Pfründe das Amt geschenkt bekam. Weidel bittet die Bundestagspräsidentin um Hilfe. Bas reagiert mit einer schnippigen, parteipolitischen Antwort. Die Sozialdemokratin hat sich entschieden, wem sie verpflichtet ist – die Würde des Amtes ist es offensichtlich nicht.
Der 20. Bundestag geht mit dieser Debatte zu Ende. Sie ist nochmal diese verlorenen drei Jahre in einer Nussschale: Ein Parlament, dessen Mehrheit nur das Ziel hat, die einzige echte Oppositionspartei unten zu halten. Das aber auch nicht weiß, was es darüber hinaustun soll. Die Zukunft kommt hier nur in Schlagworten vor wie „Bürokratie-Abbau“ oder „Künstliche Intelligenz“ vor. Dass irgendwas davon von diesen Abgeordneten gestaltet wird, lässt sich nur schwer vorstellen.