
Der Parteitag der AfD in Riesa neigt sich dem Ende zu. Während am Samstag vor der Halle tausende Gegendemonstranten erfolglos versuchten, das Treffen zu verhindern, aber für erhebliche Verzögerungen sorgten, wurde in der Halle AfD-Chefin Alice Weidel endgültig zur Kanzlerkandidatin gekürt.
Anschließend begann die Partei, über die einzelnen Passagen ihres Wahlprogramms abzustimmen. Die wohl wichtigste Entscheidung am Sonntag: Mit deutlicher Mehrheit wurde die von einem möglichen Verbot durch das Innenministerium bedrohte „Junge Alternative“ aufgelöst und die Jugendorganisation in die Partei überführt. Welches Fazit kann man also von diesem Parteitag ziehen?
Alice Weidel wurde zur Kanzlerkandidatin gekürt.
Es ist weiterhin nicht normal, dass ein Parteitag einer demokratisch gewählten Partei mit 2000 Polizisten geschützt werden muss, Delegierte fünf Stunden zu spät eintreffen, nur weil Linksradikale Straßen blockieren, und selbst Journalisten massiv bedrängt werden. Die Antifa spielte mitunter Polizei und kontrollierte Ausweise von Anreisenden. Und selbst der Vorsitzende der Grünen Jugend beteiligte sich an den Blockaden der Aktivisten-Gruppierung „Widersetzen“. Wer diese auf AfD-Parteitag mittlerweile normale Prozedur für wünschenswert hält, braucht auch nicht mehr von „demokratischen Gepflogenheiten“ sprechen.
Der Kontrast vor und in der Halle macht es noch absurder: Draußen beobachtete man linke Aktivisten, die davon ausgehen, dass 1933 kurz vor der Tür stehe, und die jeden, der mit Aktentasche an ihnen vorbeilief, als „Faschoschwein“ beschimpften, drinnen hörte man einem in weiten Teilen bürokratisch-langweiligem Parteitag zu, von Menschen organisiert und durchgeführt, deren Meinung man nicht teilen muss, mit denen man aber normale Konversationen führen kann.
Die Professionalisierung der Partei ist seit 2023 spürbar. „Heiße Eisen“ werden frühzeitig abmoderiert, um keine mediale Angriffsfläche mehr zu bieten. Dazu werden Kompromisse meist intern vor den Abstimmungen ausgehandelt, und Konflikte nicht mehr in offener Feldschlacht im Saal ausgetragen. Frühere Parteitage der AfD endeten häufig im Chaos.
Seit der Auflösung des Flügels haben sich auch die Konfliktlinien in der Partei geändert. Die Streitigkeiten innerhalb der Partei werden nicht mehr von einem eher national-liberaleren Lager und einem Rechtsaußenblock geführt, sondern von unterschiedlichen Bündnissen und vor allem von den Interessen der einzelnen Landesverbände dominiert.
Für das Wahlprogramm entscheidend, waren vor allem die folgenden Punkte: Am Samstag strich die Partei die Forderung eines „Dexit“ aus ihrem Wahlprogramm, der in der Öffentlichkeit kaum zu verkaufen ist. Stattdessen soll die EU nun in einen „Bund europäischer Nationen“ reformiert werden. Auch eine mögliche Verschärfung beim Thema Abtreibungen verhinderte der Parteitag.
AfD-Chef Tino Chrupalla sprach das Grußwort.
Dazu wurde der umstrittene Begriff „Remigration“ mit in das Wahlprogramm aufgenommen. Zahlreiche Medien bewerteten dies als Beweis für einen Sieg der Radikalen in der Partei. Das Problem an dieser Argumentation: Der Antrag, den Begriff ins Wahlprogramm aufzunehmen, kam nicht ausschließlich vom rechten Parteirand, sondern wurde von einem breiten Netzwerk unterschiedlichster Strömungen getragen. Den Gedanken dahinter erklärt einer der Antragssteller gegenüber NIUS wie folgt: „‘Remigration‘ als Begriff ist in der Partei ohnehin omnipräsent. Da ist es besser, wenn wir den Begriff besetzen und konkretisieren, als wenn er weiterhin lose zirkuliert.“
Da auch die Union mittlerweile durch schärfere Töne in der Migrationspolitik auffällt, ist es kaum verwunderlich, wenn die AfD ihr jahrelanges Alleinstellungsmerkmal nicht gefährden will. Wenn Hunderttausende seit 2015 illegal ins Land gekommen sind, muss es auch möglich sein, zumindest einen großen Teil von Ihnen legal wieder außer Landes zu bringen.
Auch in anderen Bereichen agiert die Partei mittlerweile cleverer. In Riesa löste die AfD ihre Jugendorganisation auf und will sie nun in die Partei überführen. Über den zukünftigen Namen soll ein Bundeskongress entscheiden. Alle Parteimitglieder bis zum Alter von 36 sollen damit automatisch Mitglied der Partei werden, was bislang nicht der Fall war. Damit würde man sich von der Jungen Alternative trennen, die bislang als unabhängige Jugendorganisation agierte. Antragssteller waren neun Landesverbände und alle Bundesvorsitzenden der Jungen Alternative der letzten zehn Jahre.
Ist seit Oktober 2022 Bundesvorsitzender der Jungen Alternative: Hannes Gnauck.
Es brauche Sicherheit, dass alle Personen, die sich in der Jugendorganisation bewegen, kein Schindluder betreiben, erklärte Bundesvorstandsmitglied Dennis Hohloch bei der Vorstellung des Antrags. Die Jugendorganisation in die Partei müsse der Schiedsgerichtsbarkeit unterstellt werden. Der Grund für den Schritt ist klar: Immer wieder fielen einzelne JA-Mitglieder durch radikale Aussagen auf, die für die Gesamtpartei negative Konsequenzen hatten. Die Angst in der AfD vor einem Verbot der Jungen Alternative ist zudem groß. Auch bei einem möglichen Parteiverbotsverfahren will man dem Bundesverfassungsgericht keine Argumente liefern. Der Verfassungsschutz führt die Junge Alternative als „gesichert rechtsextrem“, der Großteil der Mitglieder sind bislang keine Parteimitglieder, was den Zugriff für die Parteispitze erschwerte. Die Antragssteller brauchten eine Zwei-Drittel-Mehrheit für den Beschluss, tatsächlich stimmten fast drei Viertel der Delegierten für den Antrag.
Alice Weidel ist das unumstrittene Aushängeschild der Partei. In der Öffentlichkeit wird die Partei mit ihrer Person verbunden. Auf lange Sicht dürfte auch die Debatte über eine Einzelspitze kaum verhindert werden können. Ihre Rede am Samstag löste bei den Anwesenden laute Jubelrufe aus, vor allem durch ihren Satz: „Wenn es dann Remigration heißen soll, dann heißt es eben Remigration.“ Gleichzeitig bietet Weidel jedoch auch immer wieder Angriffsfläche, etwa wenn sie davon spricht, alle Windkraftanlagen in Deutschland abbauen zu wollen. Will sie das wirklich, oder handelt es sich nur um eine reißerische Phrase für den Parteitag? Im Interview mit NIUS konnte sie darauf keine wirklich klare Ja- oder Nein-Antwort geben.
NIUS sprach im exklusiven Interview mit Alice Weidel:
In vielen Medien wird häufig das Bild eines omnipräsenten Björn Höcke gezeichnet. Doch die Wahrheit ist: Er ist auch nur einer von 16 Landesvorsitzenden. Außerhalb seines Thüringer Landesverbandes hat er keinen größeren Einfluss mehr auf die Bundespartei. Wichtige Entscheidungen initiieren längst andere, das wurde auch auf dem Parteitag in Riesa deutlich. So wurde beispielsweise auch der von Höcke unterstützte Vorschlag auf Nicht-Befassung mit dem Antrag zur Neugliederung der Parteijugend abgelehnt. Er selbst trat dabei nicht einmal ans Saal-Mikrofon. Die Auflösung des Flügels hat dafür gesorgt, dass sich viele zentrale Personen, auch in den ostdeutschen Landesverbänden, anderen Netzwerken zugewandt haben.
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