Zwischen Berichterstattung und Ethik: „September 5“ zeigt das Münchner Olympia-Attentat durch die Augen der Medien

vor 4 Monaten

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Bildquelle: NiUS

Das Filmplakat zu „September 5 – The day terror went live“

Die Olympischen Spiele in München 1972 sollten eigentlich ein Zeichen für ein neues, demokratisches Deutschland setzen. Modern, selbstständig und sicher für alle Besucher und Athleten. Als am frühen Morgen des 5. September acht palästinensische Terroristen in das Olympische Dorf einbrachen, zwei Mitglieder des israelischen Teams töteten und neun weitere als Geiseln nahmen, zerplatzte diese schöne bundesdeutsche PR-Luftblase und ebnete den Weg für das erste große Beispiel des Terrorismus auf neutralem Boden.

Regisseur Tim Fehlbaum hat diesen geschichtsträchtigen Tag nun in seinem Film „September 5“ festgehalten, benutzt aber eine ungewöhnliche, wenn auch brillante Erzählstruktur. Statt die Situation aller Beteiligten zu beleuchten, wie beispielsweise in Uli Edels „Der Baader Meinhof Komplex“ (was jedes finanzierbare Budget gesprengt hätte), zeigt er uns die Ereignisse aus dem Blickwinkel der Sportredaktion des US-Senders ABC, der vor Ort ist, um die olympischen Wettkämpfe erstmals über Satelliten in die amerikanischen Wohnzimmer zu übertragen.

Diese Filmszene zeigt die ABC Journalisten in ihrem Lagezentrum.

Nur wenige hundert Meter vom Tatort entfernt, hören sie die ersten Schüsse, versuchen Fakten zu recherchieren und legen großen Erfindungsreichtum an den Tag, um zu berichten, was ist. Somit steht „September 5“ eher in der Tradition von Oscarpreisträgern wie „All the President's Men“ oder „Spotlight“, als in der von Spielbergs „Munich“, der die israelische Vergeltung für diesen terroristischen Anschlag aufarbeitet.

Dies bedeutet natürlich auch, dass große Teile des Films in einem temporären Fernsehstudio spielen, was durchaus klaustrophobisch rüberkommen kann. Aber die Augen des Zuschauers richten sich nicht auf den mit Technik vollgestopften, fensterlosen Raum, sondern – wie die der Journalisten – auf ihr Fenster zur Außenwelt. Auf die Monitore, das Bild ihrer außerhalb aufgestellten Fernsehkameras und die 16 mm Aufnahmen, die sie trickreich aus dem olympischen Dorf schmuggeln.

Journalisten vor einer Wand aus Monitoren.

Ihre Aufgabe – übermüdet, wie sie sein mögen – ist herauszufinden, was passiert ist und dabei zu sein, wenn etwas Neues passiert. Auch ethische Fragen werden beleuchtet: Was macht man, wenn eine der Geiseln vor ihren Kameras erschossen wird? Strahlt man es sofort aus und geht das Risiko ein, dass die Eltern der Geisel dies live sehen, bevor sie irgendjemand benachrichtigt hat? Können die Terroristen die Berichterstattung eigentlich auch sehen? Kleiner Spoiler Alert: die Antwort ist ja. Und wie verhält man sich gegenüber der Nachrichtenredaktion, die sich die Story gern unter den Nagel reißen möchte, wenn auch aus mehreren Tausend Kilometern Entfernung und nicht aus nächster Nähe?

„September 5“ ist fast komplett englischsprachig besetzt, mit Ausnahme von Leonie Benesch, mit amerikanischen oder britischen Charakterdarstellern der ersten Garde (Peter Sarsgaard, Ben Chaplin, John Magaro) und mit einer Perfektion inszeniert, die man sonst nur aus Hollywood kennt.

Regisseur Tim Fehlbaum (43) bei der diesjährigen Verleihung der Golden Globe Filmpreise in Los Angeles.

Und deshalb verwundert es, dass es sich hier um einen deutschen Film handelt. Von der Constantin Film produziert (Paramount war auch dabei, aber nicht federführend), von dem Schweizer Tim Fehlbaum inszeniert und zu allem Überfluss auch noch von jeder relevanten Filmförderung dieses Landes bezuschusst. Gerade letzteres ist oft ein Rezept für ein sicheres, wenn auch langweiliges Desaster. Hier aber ist das Endprodukt spannend, relevant und tickt mit der Präzision eines Uhrwerks aus dem Heimatland des Regisseurs.

Interessanterweise war der Film schon in der Postproduktion, als sich der palästinensische Terrorangriff am 7. Oktober 2023 ereignete, sodass er mehr die Geschichte abbildet, als die aktuellen Kontroversen – ein reiner Zufall, der Fehlbaum so einige Kopfschmerzen erspart haben dürfte.

Aber auch ohne diesen Zusammenhang, ist die Relevanz eines palästinischen Terrorangriffes innerhalb eines westlichen Landes weiterhin nicht zu verneinen. Genauso, wie die im Film aufgeworfene Frage, warum der Zaun, über den die Terroristen kletterten, nicht bewacht wurde. Und es kein bewaffnetes Wachpersonal auf dem Gelände gab.

Die Antwort ist so einfach, wie erschreckend: Die Bundesregierung 1972 wollte keine uniformierten und bewaffneten Sicherheitskräfte an einem Zaun sehen – „schreckliche Bilder“ zu vermeiden war wichtiger als die Sicherheit der Athleten.

Abgesehen vom aktuellen politischen Kontext ist „September 5“ vor allem eines: ein hoch spannender Thriller, originell erzählt, perfekt inszeniert und großartig gespielt. Sicherlich einer der besten Filme des letzten Jahres bzw. aufgrund des deutschen Starttermins am 9. Januar 2025 ein erstes großes Highlight des neuen.

Wer mit Politik nichts am Hut hat, wird genauso auf seine Kosten kommen, wie Politik-Junkies, die ihn nach Relevanz und Subtext durchforsten. Große Gewinner sind aber ausgerechnet diejenigen, die vergessen haben, wie das Geiseldrama damals ausging. Aber auch wenn man es weiß, fiebert man mit und ist versucht, sich aus Anspannung die Fingernägel abzukauen.

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