
Sexy ist es nicht gerade, mit lexikalischem Wissen in einen Text einsteigen zu müssen. Doch in diesem Fall ist das entscheidend: Die Höhe des gesetzlichen Mindestlohns festzulegen, ist die Aufgabe einer Kommission, die aus Vertretern der Arbeitgeber und Arbeitnehmer besteht. Ende des Monats wird diese Kommission voraussichtlich verkünden, dass der Mindestlohn von 12,82 auf 15 Euro steigen wird. Warum das voraussehbar ist? Weil es die Vereinte Linke im Bundestag so will. Wobei SPD, Grüne und Linke es gerne einfach festlegen und sich dann damit brüsten wollen – CDU und CSU indes einen Eiertanz aufführen wollen, um zu vertuschen, dass es faktisch die Bundesregierung ist, die den Mindestlohn festlegt.
Sorry, aber das muss man wissen, um die Logik der Debatte zum Mindestlohn im Bundestag folgen zu wollen. Wobei hier nur deshalb “Logik” steht, weil es an einem besseren Wort dazu mangelt. Zumindest einem, das nicht dank des Paragraphen 188 als Majestätsbeleidigung strafrechtlich verfolgt wird. Der Anlass der Debatte sind zwei Anträge. Einer der Grünen. Demnach ist es zwar schon Aufgabe der Kommission, den Mindestlohn festzulegen. Aber der soll mindestens 60 Prozent des durchschnittlichen Lohns, des “Median-Lohns” betragen. Die Linken wollen auch das mit dem Median. Falls danach aber nicht das gewünschte Ergebnis rauskommt, sollen es trotzdem 15 Euro Mindestlohn sein. Per Gesetz.
Die mangelhafte Logik wurde an dieser Stelle bereits erwähnt. Sie ließe sich abtun unter: Linke tun, was Linke tun. Allerdings: Die Kommission soll bestimmen, wie hoch der Mindestlohn ist. Aber es sollen dabei 15 Euro rauskommen. Das ist nicht nur eine Maximalforderung der Linken – das ist ebenfalls der Kompromiss von CDU, CSU und SPD in ihrem gemeinsamen Koalitionsvertrag. Die logische Frage drängt sich in den Raum, wie denn bitte sehr eine Kommission frei entscheiden können soll, wenn die Bundesregierung das Ergebnis vorgibt? Doch für Logik ist kein Platz, wenn die Vereinte Linke im Bundestag den Mindestlohn debattiert.
Stichwort fehlende Logik. Auftritt von Bernd Rützel. Einem Sozialdemokraten des Jahres 2025. Er erinnert daran, dass die SPD 2014 der Union den Mindestlohn erfolgreich abgerungen hat. Damals habe es Horrorszenarien gegeben, wie sehr der Mindestlohn der Wirtschaft schaden werde. Das alles sei nicht eingetroffen. Sagt Rützel über den Mindestlohn: “Es war eine Erfolgsgeschichte.”
Kleiner Service-Einschub für Bernd Rützel: Die deutsche Wirtschaft schrumpft im dritten Jahr in Folge, was es in der Geschichte der Bundesrepublik noch nicht gegeben hat. Zwar sagt die Bundesregierung voraus, dass die Wirtschaft dieses Jahr nicht schrumpfe, sondern nur stagniere. Doch ihre Prognosen musste die Regierung in den letzten Jahren immer wieder nach unten korrigieren. In der gleichen Zeit stieg der Arbeitskräftemangel. Gleichzeitig ist – paradoxerweise – die Arbeitslosigkeit ebenfalls massiv gestiegen. Bernd Rützel nennt das “Erfolgsgeschichte”. Da möchte man nicht sehen, wenn Sozialdemokraten Niederlagen erleben. Außer vielleicht an Wahlabenden.
Nun ließe sich der logische Einspruch einlegen, dass zwischen dem Niedergang der Wirtschaft und der Einführung des Mindestlohns fast ein Jahrzehnt lag. Also könne beides nicht miteinander zusammenhängen. Und in diesem Text soll Platz für Logik sein. Also: In den ersten sieben Jahren hat die Politik nicht in den Mindestlohn eingegriffen. So hatten es CDU, CSU und SPD 2014 bei der Einführung auch versprochen. Doch 2021 machte die SPD mit einer Zwangserhöhung Wahlkampf und vollstreckte diese nach dem Wahlsieg auch. Der Mindestlohn ging nun zuerst auf 12, dann auf die heutigen 12,82 Euro rauf. Drei Jahre später ist die Wirtschaft drei Jahre in Folge geschrumpft, der Arbeitskräftemangel gestiegen – Hand in Hand mit der Arbeitslosigkeit. “Es war unser Job einzugreifen”, sagt Bernd Rützel dazu. Die gleiche Regierung, die drei Jahre lang mit ihren Prognosen zum Wachstum falsch lag, meint, die Instanz sein zu müssen, die den Mindestlohn festlegt. Das ist der Geist von Bernd Rützel.
Stichwort der Geist von Bernd Rützel. Als er das Rednerpult verlässt, gibt er den Unternehmern noch einen mit. Der Mindestlohn von 15 Euro müsse kommen. Und die Unternehmer dürften nicht klagen. Denn wer das nicht bezahlen können, “der hat ein falsches Geschäftsmodell”. Tja. Der Kioskbesitzer, der 80 Stunden die Woche arbeitet und nicht krank werden darf, weil er eine Aushilfe nicht bezahlen kann. Die Werkstatt, die zwar nicht alle Aufträge erfüllen, aber wegen der Lohnkosten auch nicht expandieren kann. Oder der Restaurantbesitzer, der den Service aus Kostengründen aufgeben muss. Ihnen ruft der Top-Ökonom Bernd Rützel zu: Sie haben einfach das falsche Geschäftsmodell. Er kennt das richtige: Sich über die Landesliste in den Bundestag wählen lassen, dort über 11.000 Euro Monatslohn einstreichen, ebenso wie 5000 Euro monatliche, steuerfreie “Unkostenpauschale”, Fahrdienst, vorzeitige Vollversorgung in der Pension… Wer das alles nur finanzieren muss, aber nicht einstreichen kann, hat halt das falsche Geschäftsmodell. Seit Marie Antoinette hat es keine derart offen zur Schau getragene Arroganz mehr gegeben denen gegenüber, die einen bezahlen.
Wie geht es nun weiter mit dem Mindestlohn? Die Anträge von Linke und Grünen wandern in die Ausschüsse des Bundestags. Unter “verschärftem Dank” von Bernd Rützel. Eine Rolle wird das alles aber vermutlich kaum spielen, da in wenigen Wochen die eigentlich zuständige Kommission entscheidet. Für 15 Euro. Wie es die Bundesregierung vorgibt. Oder, die Mitglieder wagen sich, dagegen zu halten. Aber was würde dann passieren?
Einen Vorgeschmack darauf gibt Hülya Düber im Bundestag: “Die Politik darf sich nicht in die Lohnfindung einmischen”, sagt die CSU-Frau in Erinnerung an die einstigen Werte der Partei. Aber eine starke Kommission müsse eine Anpassung “auch selbst schaffen”. Das klingt nach einer Versicherung wie: Wir respektieren euren Willen, solange der identisch ist mit unserem. Die Union hat 2014 den Mindestlohn eingeführt, um eine Koalition mit der SPD führen zu können. Damals hat sie noch Schutzdämme eingezogen, von denen einige schon eingerissen sind. Ob die restlichen noch halten, hängt von der Prinzipientreue der CDU unter Friedrich Merz ab – die deutsche Wirtschaft kann sich also schon einmal auf einen Mindestlohn von 15 Euro einrichten. Vielleicht werden es auch nur 14,98 Euro, um ein paar Gesichter zu wahren.
Peter Bohnhof (AfD) wirft der Vereinten Linken vor, sich zu “allmächtigen Lohnpolizisten” machen zu wollen. Hans-Jürgen Goßner (AfD) unterstellt ihnen, die Unternehmer wie Feinde zu behandeln. Klingt ein wenig hart. Ist aber nach dem Vortrag von Bernd Rützel eine Schlussfolgerung, die erfrischend logisch wirkt.