AfD-Gutachten des Verfassungsschutzes: Das mediale Vollversagen

vor etwa 7 Stunden

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Bildquelle: NiUS

Schon die Nachricht über die Hochstufung war in ihrer Genese bemerkenswert: Als das Bundesamt für Verfassungsschutz am 2. Mai um 10:00 Uhr mit der Pressemitteilung an die Öffentlichkeit ging, vergingen zwei Minuten, bis der Spiegel vermeldete: „Verfassungsschutz stuft gesamte AfD als gesichert rechtsextremistisch ein.“ Auf 16 Absätzen breiteten die Autoren Maik Baumgärtner, Ann-Katrin Müller und Wolf Wiedmann-Schmidt die Begründung des Verfassungsschutzes aus, zitierten aus dem Gutachten und gaben einordnenden Kontext. Elf Tage später, nachdem das 1108 Seiten lange Gutachten zur Einstufung der AfD als „gesichert rechtsextrem“ endlich publik gemacht wurde, lässt sich resümieren: Die Berichterstattung im Spiegel markierte den Beginn eines blamablen medialen Umgangs mit dem Verfassungsschutz-Gutachten und der AfD-Einstufung, der sich quer durch die hiesige Medienlandschaft zog.

Denn natürlich war der Spiegel vorab informiert – und die Nachricht verbreitete sich auf Grundlage seines Artikels wie ein Lauffeuer: Dass die in Umfragen zweitstärkste Partei, die ein Viertel aller Wählerstimmen und ein Dutzend Millionen Wähler auf sich vereint, nun gesichert extremistisch sein soll, war ein großes Ding. Die Zeit analysierte: „Status der AfD: gesichert rechtsextrem. Umgang damit: offen.“ Noch am selben Tag forderte die taz: „Drei Wörter: AfD, Verbot, jetzt.“ Ihren Höhepunkt erreichte die Berichterstattung am Abend, als die ARD pünktlich zur Prime-Time um 20:15 Uhr einen Brennpunkt sendete. „Die Behörde hat ein Gutachten mit mehr als 1.000 Seiten erstellt und die Einstufung mit ‚der die Menschenwürde missachtenden, extremistischen Prägung der Gesamtpartei‘ begründet“, hieß es bei der ARD. Das Problem: Zu dem Zeitpunkt wusste niemand, was die Verfassungsschützer für ihr Dossier zusammengetragen hatten.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln

Schon damals, am 2. Mai, hätte man deshalb als Publizist skeptisch werden sollen: Wenn die scheidende Innenministerin Nancy Faeser (SPD) auf den letzten Metern ihrer Amtszeit noch schnell ein solch brisantes Gutachten veröffentlicht – und kurz nach dessen Öffentlichwerden vor die Presse tritt –, sollte gerade der Zeitpunkt der Hochstufung hinterfragt werden. Wenn der Spiegel offenbar exklusiv die Information zugespielt bekommt und leakt, und die ARD diese in ihr Abendnachrichtenprogramm übernimmt, hätte man die politische Schlagseite der Berichterstattung infrage stellen müssen. Und wenn die deutsche Publizistik jene Hochstufung unisono dazu nutzt, ein Parteiverbot zu fordern, sollte man Skepsis walten lassen. „Ein AfD-Verbotsverfahren muss auf den Kabinettstisch“, postulierte etwa der Jusos-Vorsitzende Philipp Türmer unmittelbar nach der Berichterstattung. Die einstige CDU-Nachwuchshoffnung Tilman Kuban sprach sich sogar in einem Welt-Gastbeitrag für ein AfD-Verbot aus.

Die Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) trat kurz nach der Pressemitteilung des Verfassungsschutzes an die Öffentlichkeit.

Mit der medialen Berichterstattung zur Hochstufung der Rechtspartei ist es gewissermaßen wie mit allen großen Kollektiverzählungen, auf die sich sehr viele Menschen sehr schnell einigen können: Misstrauen ist geboten. Zumal der ganze Vorgang von Beginn an dubios war: Es soll ein Geheimdossier geben, das unter Verschluss gehalten wird, also nicht nur dem Beschuldigten, also der AfD, sondern auch der Öffentlichkeit vorenthalten wird. Auf Grundlage dieser nicht einsehbaren Einschätzung sollen nun weitreichende Folgen beschlossen werden: der Einsatz ausgeweiteter nachrichtendienstlicher Mittel, die Möglichkeit der Streichung der Parteienfinanzierung, eine fortgeführte Kultur des Ausschlusses (etwa in Ausschüssen) – und als Ultima Ratio der heilige Gral der Bundesrepublik im „Kampf gegen Rechts“: das Parteienverbot. Wer kann da schon skeptisch sein?

Wenn aber alle in den gleichen Chor einstimmen und maximale Konsequenzen für Deutschlands größte Oppositionspartei fordern, die in Ostdeutschland bereits Volkspartei ist, wären Zurückhaltung und ein kritischer Umgang die Gebote der Stunde. Ältere Gutachten, darunter das „Folgegutachten zu tatsächlichen Anhaltspunkten für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung in der Alternative für Deutschland (AfD)“ aus dem Februar 2021, ließen zudem vorab erahnen, wie der Inlandsgeheimdienst hier arbeitet – und was er zusammenträgt: einen bunten Strauß an Zitaten, Reden, Interviewantworten oder Online-Postings, oft einseitig intoniert und aus dem Kontext gerissen.

Dass solch ein Sammelsurium kaum eine gesichert rechtsextreme Weltanschauung begründet, sollte klar sein – und ebenso, dass der Spiegel und die durch ihn kolportierte Lesart des Geheimgutachtens nicht objektiv und neutral sein können.

Statt gesunden Misstrauens gegenüber der Schlagseite wurde der Medienbericht jedoch maximal instrumentalisiert und ausgeschlachtet. Eine totalitäre Forderung reihte sich an die nächste – und manch einer wunderte sich über die Begeisterung und das blinde Vertrauen zahlreicher linker Publizisten in den Inlandsgeheimdienst: eine Institution, der man eigentlich, so sollte man meinen, nach den Skandalen um das Gutachten zu Ex-Präsident Hans-Georg Maaßen, den NSU-Komplex, neu eingeführte Phänomenbereiche wie die Delegitimierung des Staates oder Sympathien für Antifa-Äußerungen kritisch gegenüberstehen sollte.

Spätestens als der Republikaner Tom Cotton forderte, die nachrichtendienstliche Zusammenarbeit mit Deutschland wegen der Kriminalisierung einer Oppositionspartei auszusetzen, hätte es dem letzten dämmern müssen, dass die Berichterstattung voreilige und hysterische Züge annimmt. Und in dieser Hinsicht auch dem Ausnahmezustand ähnelt, der in Deutschland herrschte, nachdem Correctiv die „Geheimplan“-Recherche veröffentlichte.

Der kritische Geist war jedoch nicht im Raum, als die Publizistik beschloss, „gegen Rechts“ zu kämpfen. Auch die Art, wie über das Gutachten berichtet wurde, machte fassungslos: Wenige Tage nach dem Spiegel lag das Dossier schließlich auch der Bild vor, die eine ganze Seite mitsamt einem „Worst Of“ abdruckte.

Die Doppelseite in der Bild

Beide Medienmarken entschieden sich gezielt dafür, das Gutachten nicht an die Öffentlichkeit zu geben, sodass sich jeder Journalist und Bürger eine eigene Meinung bilden könnte, obwohl das öffentliche Interesse überragend war.

Stattdessen wurde die Interpretation regelrecht ins Gegenteil verkehrt: In der Berichterstattung wurden angeblich problematische Passagen zitiert (die im Übrigen in vielerlei Hinsicht nachvollziehbar sind und an zahlreichen Stammtischen dieses Landes so fallen), um den Eindruck zu erwecken, die Rechtspartei sei extremistisch. Was hingegen gänzlich ausgeschwiegen und ausgelassen wurde: die Tatsache, dass etliche Äußerungen aus dem Gutachten nicht nur von der Meinungsfreiheit gedeckt, sondern völlig harmlos sind; oder dass die Verlautbarungen der Innenministerin, wonach das Dossier wegen vermeintlichen Quellenschutzes nicht veröffentlicht werden könne, schlicht gelogen waren.

Medien wurden also zum willfährigen Sprachrohr eines politisch motivierten Inlandsgeheimdienstes, der sich als Gesinnungspolizei geriert. Sowohl die Erwähnung von völlig zulässigen politischen Äußerungen als auch Zweifel an Nancy Faesers Äußerungen wären jedoch eigentlich die Pflicht kritischer Medien gewesen.

Elf Tage später haben NIUS und Cicero das geheime Gutachten veröffentlicht. In vielerlei Hinsicht liest es sich unfreiwillig komisch: Darin aufgelistet sind neben einigen geschmacklosen Aussagen allerlei Memes, berechtigte Forderungen, nachvollziehbare Zuspitzungen und Wahlkampfrhetorik. Doch davon werden Millionen Bürger nichts mehr erfahren. Sie wurden bereits zu Monatsbeginn, als nur Spiegel (und Bild) das 1108 Seiten lange Papier kannten, darüber informiert, wie das Verfassungsschutzgutachten zu interpretieren sei.

Auch ein erneuter Brennpunkt in der ARD blieb gestern aus. Bis heute haben Spiegel, Bild und der öffentlich-rechtliche Rundfunk das Gutachten nicht zur Verfügung gestellt, die Tagesschau verwies nur auf „Medien“, die das Gutachten veröffentlicht hätten. Nunja.

Wer so berichtet und framt, der ist dem deutschen Beamtentum näher, als ihm lieb sein sollte – und passt eigentlich ziemlich gut in die Medienlandschaft einer Bundesrepublik, in der der Wechsel von (angeblich) kritischen Journalisten aus Redaktionen zu Sprecherposten in Ministerien nicht für Stirnrunzeln sorgt, sondern für viele einen geraden Karriereweg darstellt.

Auch bei NIUS: Die absurdesten Beispiele aus dem AfD-Gutachten

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