
Demokratie muss sich bewähren, wenn es ungemütlich wird. Wenn es für die Mächtigen etwas kostet. Wenn es nichts zu fordern gibt, sondern das oft beschworene „Recht des Stärkeren“ der vielgerühmten „Stärke des Rechts“ und der Fairness weichen muss.Die neue Regierung von Kanzler Friedrich Merz (CDU) befindet sich auf einer gefährlichen Rutschbahn. Das Gefeilsche mit der AfD um ihre Ausschussvorsitzenden und um den in der Tat unwürdig engen Sitzungssaal für die Fraktion (NIUS berichtete) mag aus der Perspektive routinierter Politikhaudegen von Union und SPD wie raffinierte Winkelzüge zum feixenden Kleinhalten der vermeintlichen Schmuddelkonkurrenz erscheinen.
Gerade im fairen Umgang mit demokratischer Konkurrenz würde sich eigentlich Größe zeigen, schreibt unser Autor.
In den Augen vieler Bürger ist es das Gegenteil von fair und demokratisch, sondern wird als fortgesetztes Foulspiel etablierter Machteliten gesehen, die sich unliebsame Mitbewerber vom Hals halten wollen. Die Rutschbahn führt abwärts aus den Höhen der Demokratie in die Tiefen des Parteienklüngels.
Nach außen setzt sich mit solchen Aktionen die Manipulation der Geschäftsordnung aus durchsichtigen Gründen fort: Es begann mit dem Modus für die Konstituierung des Parlaments durch den ältesten Abgeordneten, der zur AfD-Vermeidung durch den „dienstältesten“ ersetzt wurde. Es ging weiter mit der Nichtwahl eines AfD-Vizepräsidenten und reiht sich ein in die seltsame Umgehung von AfD-Mehrheiten in den Landtagen durch inhaltlich absurde Allparteienkoalitionen.Nun also, da sich die AfD bei der Bundestagswahl verdoppelt hat, soll sie einen Saal erhalten, der die Abgeordneten in drangvoller Enge zusammenpfercht. Den Vorsitz in den Ausschüssen will man der numerisch erfolgreichsten Parteineugründung der jüngeren deutschen Geschichte gar nicht erst zugestehen, ganz gleich, wie klug, seriös oder höflich ein AfD-Ausschusschef auch sein mag. Jene, die sich gern „die demokratischen Parteien“ nennen, verfahren nach dem alten Türstehermotto: „Du kommst hier nicht rein!“
In diesem Saal soll die mehr als 150 Personen große AfD-Fraktion Platz nehmen.
Wenn man den Wahlbürgern signalisieren möchte, dass ihre Stimme nicht zählt, dass eine etablierte Machtelite Zugriff und Posten unter sich aufteilt, dann muss man es genauso machen. Der frühere Staatsminister im Kanzleramt von Angela Merkel (CDU), Hendrik Hoppenstedt, hat völlig recht, wenn er gegenüber Bild sagt: Angesichts der anhaltenden Zustimmung der Wähler zur AfD „werden wir zukünftig nicht mehr daran vorbeikommen, anders mit der AfD umzugehen als bisher.“ Nur die tonangebenden Parteichefs von Union und SPD haben das noch nicht begriffen.Alice Weidel und Tino Chrupalla müssen gar keine Konzepte für Steuerreform oder Migrationspolitik vorlegen. Sie müssen sich keine Mühe mit Sozialreformen oder Friedensplänen für die Ukraine machen. Sie müssen einfach nur auf ihre Behandlung durch die anderen Parteien verweisen, um zu beweisen, dass sie wie keine andere politische Kraft den Widerstand gegen Klüngel und Beharrung verkörpern.Für Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) wäre es eine gute Gelegenheit, die Souveränität des Parlaments zu betonen und den Beweis anzutreten, dass Demokratie kein Abokonzert für die Stammgäste ist, sondern dass der Schutz der Rechte von Opposition und unbequemen Meinungen gerade die Stärke des Parlamentarismus ausmacht. Wenn die AfD sich dessen als unwürdig erweist, kann man sie später immer noch von Posten und Einfluss ausschließen.Wer auch nur den Anschein erweckt, Demokratie sei ein „Closed Shop“, beerdigt, was er zu schützen vorgibt.
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