
Auf 1.100 Seiten wollte das Bundesamt für Verfassungsschutz der AfD eine „gesichert rechtsextremistische Bestrebung“ unterstellen. Wirklich einschlägige Beispiele hat die Behörde in dem eigentlich als Zitatesammlung zu verstehenden Gutachten kaum geliefert, schon gar nicht interne Quellen. Stattdessen wechseln sich halbgare Beiträge aus sozialen Medien mit skandalisierten Aussagen von Landes- und Bundespolitikern der AfD ab.
Unterteilt ist das jetzt vom Cicero veröffentlichte Gutachten in mehrere Kapitel, Kategorien und Unterpunkte. Von der Menschenwürde über das Demokratie- bis zum Rechtsstaatsprinzip. Besonders fragwürdig sind die Dokumentationen von angeblich verfassungswidrigen Äußerungen im Bereich der Islam- und Migrationskritik sowie der Meinungsfreiheit. So wird im Kapitel zum Demokratieprinzip der sächsische AfD-Vorsitzende Jörg Urban aufgeführt, der 2022 die Meldestruktur von vermeintlich kritischen Aussagen kritisierte.
Am 23. Juli 2022 schrieb Urban auf Facebook: „Das Ziel dieser neuen Sprachpolizei ist klar: Den Bürgern wird signalisiert, dass sie unter Beobachtung stehen, dass kritische politische Äußerungen erfasst und gesammelt werden. […] Die Regierung setzt also, auch wenn kein juristisches Vergehen vorliegt, auf Einschüchterung – auf totalitäre Methoden, wie wir sie z.B. aus der DDR kennen.“
Der Verfassungsschutz vermerkte unter dem Punkt „Gleichsetzungen mit kommunistischen Systemen“, Urban habe der Bundesregierung damit totalitäre Methoden vorgeworfen und einen Vergleich zur DDR gezogen. Mit der Aufnahme in das Gutachten bestätigte der Verfassungsschutz jedoch mehr oder weniger die Befürchtung des AfD-Politikers, kritische Aussagen könnten von Regierungsbehörden gesammelt werden, auch wenn diese nicht juristisch relevant sein dürften.
In einem anderen unter dem Punkt „Nutzung von Begriffen wie ‚Systempartei‘, ‚Kartellpartei‘, ‚Blockpartei‘“ festgehaltenen Vorgang kritisiert der Verfassungsschutz Alice Weidel für ihre Äußerungen in der „Schwachkopf“-Affäre. Weidel hatte in einem Video, das auf einer Wahlkampfveranstaltung im Februar gezeigt worden war, die Verwendung des Begriffs verteidigt (mehr dazu hier).
„Das gehört zur Meinungsfreiheit dazu. Und ich finde, man darf das nicht verbieten. Wenn jemand die Meinung hat, dass ein anderer keine Ahnung hat – wie ein Kinderbuchautor von Wirtschaft und Energie – dann darf er doch ‚Schwachkopf‘ sagen“, erklärte die AfD-Bundesvorsitzende. Außerdem kritisierte sie das Vorgehen der Behörden: „Das ist ein Element der Einschüchterung“, sagte Weidel und weiter: „Das kennt man aus der DDR, dann ist man da gleich nach Hohenschönhausen geschafft worden.“
Der Verfassungsschutz zitiert diese Ausführungen nicht nur, sondern wirft Weidel vor, Robert Habeck – der im Mittelpunkt der „Schwachkopf“-Affäre steht –„diffamiert“ und der Beleidigung des ehemaligen Wirtschaftsministers als „Schwachkopf“ zugestimmt zu haben. Außerdem würde sie Habeck unterstellen, „die Strafanzeige wegen Beleidigung als Einschüchterung analog zu den Methoden der damaligen DDR anzuwenden.“
Weidel, die in dem Gutachten oft Erwähnung findet, kommt auch an einer anderen Stelle unter dem Punkt „Muslim- und islamfeindliche Aussagen und Positionen“ vor: Weil sie im Oktober 2023 in einem Interview aus ihrer Kindheit erzählte und dahingehend negative Erfahrungen mit muslimischen Mitbürgern in ihrem ostwestfälischen Heimatdorf resümierte, vermerkt der Verfassungsschutz: „Es kann dahingestellt bleiben, inwieweit Weidel retrograd persönliche Erlebnisse aus der eigenen Jugendzeit gleichsam konstruiert, um sie in ein bis in die Gegenwart reichendes muslimfeindliches Gesamtnarrativ einzufügen.“
Die Behörde deutet also zunächst an, sie hält es für möglich, dass Weidel ihre Erfahrungen angepasst hat, um dadurch auf aktuelle Entwicklungen einzuwirken. „Es ist jedenfalls bemerkenswert“, meint der Verfassungsschutz, „wie sie Erinnerungen als Teenagerin aus den 1990er Jahren sowohl ideologisch als auch sprachlich in einen neurechten ethnopluralistischen Kontext integriert“. Es wirkt für den Inlandsgeheimdienst „so als ob sie bereits im jungen Alter die selbstverständliche Idee von einer vermeintlich unüberbrückbaren Kulturfremdheit gehabt und auch so benannt haben könnte“.
Ob Weidels Aussagen tatsächlich stimmen, tut der Verfassungsschutz dann als zweitrangig ab, weil sich durch die Schilderungen ein Gesamtbild zeigen würde,„das migrantische Jugendliche kollektiv zu nicht steuerbaren ‚Horden‘, zu inkompatiblen Kulturfremden und zu einer ständigen Bedrohung herabwürdigt“.
Aus der Darstellung von Weidel leitet die Behörde ab, sie halte muslimische Migranten für „nicht integrierbar“, weil diese „unveränderlich einen ständigen Gefährdungsfaktor für das deutsche Volk“ darstellen. Der Verfassungsschutz schlussfolgert: „Mit ihrer Agitation exkludiert die AfD-Co-Bundessprecherin in menschenwürdewidriger Weise eine gesamte Bevölkerungsgruppe.“
Auch die Gesamtpartei wird in dem Unterpunkt „Zusammenhang zwischen Herkunft und Gewaltneigung“ unter die Lupe genommen. In ihrem Grundsatzprogramm soll sie nahelegen, „die von Ausländern oder Geflüchteten ausgehende Kriminalität werde von anderen Parteien verschleiert“, meint der Verfassungsschutz. Der Abschnitt des Parteiprogramms „Einwandererkriminalität – nichts verschleiern, nichts verschweigen“ würde eine derartige Interpretation zulassen.
„Millionen Menschen aus anderen Kulturkreisen ohne die für eine Integration erforderlichen Qualifikationen werden mit falschen Versprechungen nach Deutschland gelockt. In ihrer Heimat haben sie alle Brücken abgebrochen. Enttäuschte Hoffnungen auf Wohlstand bergen die Gefahr, dass viele in die Kriminalität abgleiten“, zitiert der Verfassungsschutz aus dem Programm.
Hier würde die Partei insinuieren, „dass ‚viele‘ dieser ‚Millionen Menschen‘ kriminell würden, und zeichnet dadurch bereits ein Bedrohungsszenario, das geeignet ist, generelle Ablehnung gegenüber Migranten ‚anderer Kulturkreise‘ hervorzurufen“, schlussfolgert der Inlandsgeheimdienst ohne einen weiteren Beleg für diese Interpretation.
Ähnlich läuft es des Weiteren bei einer Aussage des nordrhein-westfälischen Landtagsabgeordneten Klaus Esser. „Deutsche werden Opfer derer, denen sie gutmütig helfen wollten! Eine Auswertung des BKA hat ergeben, dass legale und illegale Asylzuwanderer weit mehr Gewaltverbrechen an Deutschen begehen als andersherum“, schrieb Esser auf Telegram.
Und weiter: „Das Missverhältnis wird sowohl bei Tötungsdelikten als auch bei Sexualverbrechen und anderen Gewalttaten offenkundig. Würde zusätzlich noch differenziert, wie lange Täter mit deutschem Pass bereits die Staatsbürgerschaft besitzen, wäre das Bild wahrscheinlich noch eindringlicher.“
Obwohl die Zahlen des Bundeskriminalamtes (BKA) den faktisch überprüfbaren Teil dieser Aussagen unterstreichen, ist sich der Verfassungsschutz sicher: „Esser schreibt autochthonen Deutschen damit grundsätzlich die Opferrolle zu, während er Asylsuchenden wie auch Deutschen mit Migrationsgeschichte angesichts ihrer ethnischen Herkunft einen stärker ausgeprägten Hang zu Kriminalität unterstellt. Damit unterstellt er zugewanderten Personen kriminelle Eigenschaften allein auf Basis ihrer Herkunft und setzt sie auf diese Weise in ihrer Menschenwürde herab.“
Auch sogenannte Memes spielen in dem AfD-Gutachten eine Rolle. So führt der Verfassungsschutz auch einen Facebook-Beitrag der AfD Offenbach-Land vom 18. Oktober 2023 an. Hier wurde gefordert: „Die einzige Lösung, um konsequent gegen Antisemitismus und Gewalt auf den Straßen vorzugehen, ist Remigration“. Doch dabei blieb es laut dem Verfassungsschutz nicht.
„Der Beitrag wurde begleitet von einer Grafik mit mehreren Flugzeugen, die mit dem Wort ‚Remigration‘ beschriftet sind. Daneben ist das Abbild von ‚Pepe the frog‘ zu sehen, ein Meme, das von der US-amerikanischen Anti-Defamation League als Hasssymbol qualifiziert wird“, vermerkt die Behörde. Dabei ist „Pepe the frog“ ein gängiges Internetphänomen, das sich auch unabhängig von politischer Gesinnung in der Popkultur großer Beliebtheit erfreut.
In dem Gutachten finden sich weitere Bilder, die zwar nicht als Meme geteilt, jedoch vom Verfassungsschutz bewertet und offenbar auch falsch interpretiert wurden. Vom Bundesverband der AfD findet sich beispielsweise eine Szene aus im August 2024 geteilten YouTube-Videos, die in ihrer „Bildsprache geeignet sind, Angst und Ablehnung gegen nicht-weiße Menschen zu schüren“, hält der Verfassungsschutz fest.
„In einem Video, welches zwischen den Auftritten der einzelnen Redner auf der Veranstaltung abgespielt wurde, ist mutmaßlich eine Schülerin abgebildet, welche von in schwarzer Farbe dargestellten Personen im Hintergrund als beobachtet und bedroht dargestellt wird“, heißt es weiter. So könnte die Szene zwar ausgelegt werden – dass in Comics und Cartoons bedrohliche Personen unabhängig von ihrer Herkunft immer dunkel dargestellt werden, ignoriert die Behörde aber.
Ähnlich frei interpretierend geht der Verfassungsschutz im Falle einer Grafik des Berliner Abgeordneten Gunnar Linnemann vor. Dieser hatte am 28. Dezember 2022 auf Facebook die Migrationspolitik der Hauptstadt kritisiert: „Die linksgrünen Fanatiker im Berliner Senat haben offenbar jedes Augenmaß verloren. Mit ihren Aufnahmeexzessen zerstören sie jede Möglichkeit für ein friedliches Zusammenleben in unserer Stadt. Am Ende dieses Amoklaufs wird es nur Verlierer geben.“
Dazu veröffentlichte er die entsprechende Grafik mit der Überschrift: „SPD, Linke und Grüne fluten Berlin mit Flüchtlingen!“ Der Verfassungsschutz dokumentierte nicht nur den Beitrag an sich, sondern auch einen Interpretationsansatz: „Die in der Grafik bildlich dargestellte Welle ist von einem solch gigantischen Ausmaß, dass sie die vollständige Zerstörung der Stadt Berlin scheinbar in kürzester Zeit herbeiführen könnte. Dieses Bild zielt offensichtlich darauf ab, Migration als ultimative Bedrohung darzustellen und ist damit geeignet, Ängste und Ablehnung gegenüber Zugewanderten hervorzurufen.“
Weil der Brandenburger Landtagsabgeordnete Lars Jünich im Januar einen Beitrag teilte, in dem zwischen „Menschen mit Migrationshintergrund“ und „Biodeutschen“ unterschieden wurde, notiert der Verfassungsschutz in dem Unterpunkt „Grundsätzliche Unterscheidung zwischen Deutschen mit Migrationsgeschichte und autochthonen Deutschen“: Diese Gegenüberstellung sei „Ausdruck der biologistisch-rassistischen Grundannahme, dass die ethnische Abstammung eines Menschen unabhängig von der Staatsbürgerschaft die tatsächlich ausschlaggebende Komponente darstelle“.
Das Wort „Biodeutsche“ war schon im Originalbeitrag in Anführungszeichen geschrieben worden, denn es ist längst keine Erfindung der AfD. Verwendet wurde es bereits vor knapp 30 Jahren – auch von der taz. Auch die seit 2022 als Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung tätige Ferda Ataman nutzte das Wort in einem Interview mit der Zeitung im Jahr 2019.
Auch eine andere Begrifflichkeit stößt dem Inlandsgeheimdienst auf: An mehreren Stellen wird der Satz „Alice für Deutschland“ aufgeführt, der nach der Verurteilung von Björn Höcke wegen der Verwendung des Satzes „Alles für Deutschland“ (Apollo News berichtete) Beliebtheit bei AfD-Politikern erlangt hatte. Er bezieht sich auf Weidel und deren Bestreben als Kanzlerkandidatin für die AfD.
Eingeordnet wird der Satz unter der Kategorie „Nationalsozialistisch geprägter Sprachgebrauch“, weil er von „Alles für Deutschland“ abgeleitet worden sei. Der Originalspruch wurde unter anderem von der Sturmabteilung der NSDAP verwendet und deshalb vom Landgericht Halle als verfassungsfeindliche Parole nach Paragraf 86a des Strafgesetzbuches, das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen, eingestuft.
Der Verfassungsschutz bemängelt jetzt, die AfD setze sich „also weiterhin nicht kritisch mit der SA-Losung ‚Alles für Deutschland‘ auseinander. In offensichtlich provozierender Absicht wurde vielmehr die phonetisch nahezu gleichlautende Formel ‚Alice für Deutschland‘ auf Wahlkampfveranstaltungen und auch auf dem jüngsten Bundesparteitag vom Bundesvorstand selbst umso häufiger verwendet und skandiert“.
Während im Kapitel zu antisemitischen Aussagen oftmals Vergleiche der Judenverfolgung mit der Einschränkung ungeimpfter Personen in der Corona-Pandemie kritisiert werden, gibt es im Kapitel zum Demokratieprinzip ähnliche Auflistungen. Wenngleich AfD-Politiker in ihren Aussagen teilweise vor einem Abdriften in totalitäre Verhältnisse warnen, wird ihnen hier vorgeworfen, verfassungswidrig zu handeln.
So hielt etwa der damalige Vorsitzende der Jungen Alternative und jetzige Bundestagsabgeordnete, Hannes Gnauck, im Januar 2022 auf einer Demonstration fest: „Und wir sagen ,Nein‘ zur Aushöhlung unserer Demokratie und dem Abdriften dieser Regierung in ein totalitäres Regime. Und gleichzeitig, liebe Freunde, sind wir heute hier, um ‚Ja‘ zu sagen. Wir sagen ,Ja‘ zur Volksherrschaft, zu wahrer Demokratie.“
Für den Verfassungsschutz stellt das offenbar eine nicht vertretbare Äußerung dar. In der Einleitung zu dem Unterpunkt „Maßnahmen zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie“ – in dem auch die Aussage von Gnauck landete – erklärt die Behörde: „Die AfD knüpfte bei der Beschreibung des deutschen Staates als Diktatur oder Regime an das behördliche Agieren während der COVID-19-Pandemie an und versuchte, ihre – das politische Handeln delegitimierenden – Narrative insbesondere durch eine verzerrte Darstellung der COVID-19-Schutzmaßnahmen zu untermauern.“
Schwierig wird es im Unterpunkt „Antisemitische Aussagen und Positionen“ – wenngleich auch hier handfeste Belege oftmals fehlen, was der Verfassungsschutz so auch einsieht. Dennoch schreibt die Behörde: „Im Wesentlichen äußerten sich antisemitische Haltungen oder Positionen in der AfD – gleichsam mittelbar – über die Verwendung antisemitisch konnotierter Chiffren. Besonders kommt dies in der Bezugnahme auf jüdische oder von den Äußernden jüdisch gelesene Personen wie George Soros oder Bill Gates oder etwa in der Erzählung von einem angeblichen ‚Great Reset‘ oder ‚(globalistischen) Finanzeliten‘ zum Ausdruck.“
Gates ist nicht jüdisch – das weiß auch der Verfassungsschutz. An anderer Stelle erklärt er: „Obwohl Bill Gates selbst kein Jude ist, wird ihm im Kontext antisemitischer Verschwörungstheorien aufgrund seines scheinbar übermächtigen Einflusses ein ‚Jüdischsein‘ unterstellt.“ Das entnimmt der Inlandsgeheimdienst dem eigenen „Lagebild Antisemitismus 2022/23“.
Neben den interpretierten Bildbeiträgen gibt es auch weitere Bewertungen von schriftlichen Äußerungen. So hat der Inlandsgeheimdienst beispielsweise einen Facebook-Beitrag des Bundesverbandes der AfD vom 12. August 2024 unter dem Punkt „Vertreten eines ethnisch-abstammungsmäßigen Volksbegriffs“ gesammelt, der „angesichts eines Anstiegs der Messergewalt“ verfasst worden sein soll.
„Die Mehrheit der von der Bundespolizei erfassten Messer-Tatverdächtigen (51,6 %) sind Ausländer. Die Zahl der tatverdächtigen deutschen Staatsbürger mit ‚Migrationshintergrund‘ wird dabei noch nicht einmal erfasst“, hieß es in dem Beitrag. Der Verfassungsschutz wirft dem Bundesverband deshalb vor, „eine Unterscheidung in ethnisch Deutsche und solche mit Migrationsgeschichte“ vorzunehmen und zum Ausdruck zu bringen, „dass er die Ethnie als relevantes Kriterium bei der Bewertung der Straftaten erachtet“.
Dass der Verfassungsschutz gezielt nach einer für die AfD negativ auszulegenden Interpretation von öffentlichen Aussagen und Beiträgen gesucht hat, zeigt sich auch im Unterpunkt „Ethnisch-abstammungsmäßige Aussagen und Positionen“, wo ein Facebook-Beitrag vom 9. Februar 2023 dokumentiert wird. Hier legte die Bundestagsfraktion der AfD dar, wie sie sich ein neues Staatsbürgerschaftsrecht vorstelle: „Staatsbürgerschaft braucht Identifikation, Deutschland braucht Deutsche!“
Dann präsentierte die AfD-Fraktion ihre Vorstellung: „Wir fordern eine Rückkehr zum vor dem Jahr 1991 geltenden Rechtszustand. Einbürgerungen müssen im Grundsatz wieder als rechtlich gebundene Ermessensentscheidung im Einzelfall erfolgen. Dabei müsse die Ermessensausübung der einbürgernden Behörde davon geleitet sein, nur solche Einbürgerungen vorzunehmen, durch die das Gemeinwesen durch Hinzufügung eines loyalen Neubürgers im politischen Sinne gestärkt wird“, schrieb die Partei.
Weiter hieß es, „die Gesetzgebung zur Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts seit 1990 hat ein erhebliches Maß zumindest potenzieller Loyalitätskonflikte in die Bundesrepublik Deutschland als politisches Gemeinwesen hereingetragen und deren inneren Zusammenhalt im Ganzen geschwächt“. Der Verfassungsschutz lässt das zunächst so gelten – präsentiert jedoch zwei Interpretationsansätze, um die Aussagen so doch noch zu verurteilen.
Einerseits könnte diese Aussage so „verstanden werden, dass sie darauf abzielt, nur solche Personen einzubürgern, die ‚loyale Neubürger im politischen Sinne‘ sind“. Andererseits wäre eine solche Äußerung verfassungsfeindlich, wenn „sie die Botschaft enthielte, die Vergabe der deutschen Staatsbürgerschaft, die nicht nur in ganz eng definierten Einzelfällen erfolgt, sei an sich zersetzend“.
Für den Verfassungsschutz ist klar: „So kann die Aussage auch verstanden werden, insbesondere im Zusammenhang mit einem Beitrag des Bundesverbands der AfD, den dieser am 3. Oktober 2023 auf Facebook veröffentlichte.“ Statt also einen angeblich verfassungswidrigen Inhalt auf den Beitrag an sich zurückzuführen, zieht der Verfassungsschutz als Hilfestellung einen komplett anderen Beitrag heran.
Dort wurde zum Tag der Deutschen Einheit die „postnationalen, identitätslosen Zerfallsgesellschaften des Westens“ von der AfD kritisiert, schreibt der Verfassungsschutz. „Hier kommt dann doch die Botschaft zum Ausdruck, autochthone Deutsche könnten sich per se immer miteinander identifizieren oder ‚politisch loyal‘ sein und Deutsche mit Migrationsgeschichte könnten dies eben nur in Ausnahmefällen“, meint der Inlandsgeheimdienst.
Das Bundesamt behauptet dann sogar, diese Interpretation sei auch auf den oben beschriebenen Beitrag anwendbar. „Diese Abwertung bringt das Verständnis von Deutschen ‚erster und zweiter Klasse‘ zum Ausdruck“, heißt es abschließend. Ein ähnliches Vorgehen offenbart der Verfassungsschutz auch an zahlreichen anderen Stellen: erst merkt er selbst eine Relativierung durch den betroffenen AfD-Politiker an, um dann eine andere Interpretationsmöglichkeit herbeizuziehen.
Diese Liste umfasst nur einige wenige Beispiele. Tatsächlich wirken zahllose der auf 1.117 Dokumentseiten aufgeführten Vorwürfe konstruiert, oft auch halbherzig. Mit der Veröffentlichung dieses Gutachtens dürfte daher deutlich werden: Die Hochstufung der AfD war voreilig. So hat nicht nur der Bundesverfassungsschutz das Vertrauen in sein Handeln beschädigt, sondern künftige Diskussionen über die anzuwendende Härte bei der Überprüfung von Parteien provoziert. Wenn dieses Gutachten der Maßstab für eine Einstufung als extremistische Bestrebung ist, dann müsste man letztlich auch Union, SPD, Linke und Grüne ins Visier nehmen.