Alles nur „rechte Fake News“? Das sagt Brosius-Gersdorf wirklich zur Abtreibung

vor 3 Tagen

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Bildquelle: Apollo News

„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Auf diesen ersten Absatz des ersten Artikels des Grundgesetzes lässt sich die in diesen Tagen entbrannte Debatte um die Person Frauke Brosius-Gersdorf herunterbrechen.

Denn auch wenn Politiker der SPD, Grünen und Linken sowie einige Medienvertreter nun konstatieren, Brosius-Gersdorf sei Opfer einer rechten Schmutzkampagne geworden, die ihre Positionen zur Abtreibung falsch oder verkürzt wiedergegeben habe, ist eines unbestritten: Frauke Brosius-Gersdorf hat in ihren Rechtsgutachten zur Frage nach einer Legalisierung der Abtreibung eine zentrale Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1993 angegriffen. Und zwar jene, dass die mit dem Grundgesetz geschützte Menschenwürde darin eindeutig „schon dem ungeborenen menschlichen Leben“ zugesprochen wurde. Brosius-Gersdorf ist dieser Meinung nicht – und wird genau dafür kritisiert.

Frauke Brosius-Gersdorf hat sich natürlich nicht dafür ausgesprochen, Abtreibungen bis zur Geburt zu legalisieren. Das Gutachten der von der Regierung eingesetzten Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung, an dem Frauke Brosius-Gersdorf beteiligt war, sieht eine Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs lediglich für die ersten Wochen nach der sogenannten Nidation, also der Einnistung der befruchteten Eizelle in die Gebärmutterschleimhaut, vor. In dem Gutachten wird daran festgehalten, eine Abtreibung nach der 21. Schwangerschaftswoche, also ab dem Zeitpunkt, zu dem der Fötus grundsätzlich schon in der Lage ist, unabhängig von der Mutter zu überleben, weiterhin als rechtswidrig zu bewerten.

Das war aber auch nie der Punkt. Sondern die Äußerungen der Juristin zur grundsätzlichen Betrachtung der Menschenwürde eines Embryos, die sich unter anderem in einem Protokoll einer Sitzung des Rechtsausschusses im Bundestag im Februar 2025 zur damals im Raum stehenden Gesetzesänderung zur Legalisierung der Schwangerschaft in den ersten Monaten nach der Empfängnis nachlesen lassen.

Dort erklärte Brosius-Gersdorf unter anderem: „Meines Erachtens gibt es gute Gründe dafür, dass die Menschenwürdegarantie erst ab Geburt gilt.“ Doch selbst wenn man anderer Meinung sei, argumentiert sie, werde die Menschenwürde des Embryos durch einen Schwangerschaftsabbruch „nicht verletzt“. Ihre Erklärung: „Der Embryo wird dadurch regelmäßig nicht zum Objekt staatlichen Handelns herabgewürdigt, was der Maßstab ist.“

Unter anderem in einer Festschrift, die Brosius-Gersdorf 2024 zu Ehren ihres Doktorvaters Horst Dreier verfasst hatte, argumentiert sie in einem Text mit dem Titel „Menschenwürdegarantie und Lebensrecht für das Ungeborene – Reformbedarf beim Schwangerschaftsabbruch“ ähnlich. Dort prägt sie nicht nur diesen medial bereits vor der geplanten Richterwahl beachteten Satz: „Die Annahme, dass die Menschenwürde überall gelte, wo menschliches Leben existiert, ist ein biologistisch-naturalistischer Fehlschluss. Menschenwürde- und Lebensschutz sind rechtlich entkoppelt.“

Sondern auch den folgenden: „Die Tötung eines Menschen ohne herabwürdigende Begleitumstände, die ihm seine Subjektqualität absprechen, verletzt Art. 1 I GG [„Menschenwürde“-Artikel im Grundgesetz, Anm. d. Red.] nicht.“ Weiter heißt es: „Ein Schwangerschaftsabbruch dürfte die Menschenwürde des Embryos/Fetus schon deshalb nicht verletzen, weil er nicht vom Staat, sondern von der Frau ausgeht.“ Und: „In jedem Fall dürfte eine Objektivierung nur in Betracht kommen, wenn die Subjektqualität des Einzelnen infrage gestellt wird, etwa durch Kategorisierungen als »lebenswert« oder »lebensunwert«.“ Dies sei beim Schwangerschaftsabbruch nicht der Fall, argumentiert Brosius-Gersdorf.

Interessant sind auch die Quellen, die Brosius-Gersdorf für ihre Deutung des Schwangerschaftsabbruchs als eine die Menschenwürde des Embryos nicht verletzende Tötung anführt.  Dabei handelt es sich um einen Grundgesetzkommentar ihres Doktorvaters Horst Dreier, der übrigens – das ist in diesem Zusammenhang nicht unerheblich – 2008 selbst von der SPD als Kandidat für den Posten des Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgerichts gehandelt, jedoch letztendlich von der Union aufgrund seiner rechtswissenschaftlichen Äußerungen zur Menschenwürde abgelehnt wurde. Diese von der Union als nicht tragfähig bewerteten Äußerungen entstammten eben jenem Grundgesetzkommentar, auf den sich Brosius-Gersdorf in ihrer Festschrift bezieht – und für den sie im Übrigen inzwischen die Herausgeberschaft übernommen hat.

Die Nominierung scheiterte jedoch nicht an den Betrachtungen bezüglich der Menschenwürde des Embryos, sondern vielmehr an einer von ihm durchexerzierten rechtlichen Dilemma-Situation, in der sich der Staat bei einer Entführung zwischen der Menschenwürde eines Entführungsopfers und der des Entführers entscheiden müsse, wenn er zur Freipressung des Entführten dem Entführer Folter androht.

In diesem Grundgesetzkommentar lassen sich jedenfalls zum Schwangerschaftsabbruch folgende Ausführungen finden: „Der Schwangerschaftsabbruch verletzt nicht die Würde des Embryos/Fötus, sondern betrifft allenfalls sein Recht auf Leben. […] Doch auch wenn man Embryonen und Föten als Würdeträger begreift, wird ihre Würde durch den Abbruch der Schwangerschaft nicht verletzt.“

Das sei unter anderem der Fall, weil das ungeborene Leben durch den Abbruch „nicht instrumentalisiert“ werde, in dem Sinne, dass Frauen Schwangerschaften nicht „als Mittel zum Zweck eines entspannten kinderlosen Daseins“ abbrechen würden. Sondern sich vielmehr aus verschiedenen Gründen nicht in der Lage sehen, das Kind zu versorgen.

Eine Interpretation, die in dieser Absolutheit höchst fraglich ist. Allein die britische Sängerin Lily Allen bekannte sich kürzlich in einem BBC-Podcast dazu, einige Abtreibungen gehabt zu haben, an deren genaue Zahl sie sich nicht mehr erinnern könne. Das gab sie mitnichten bedrückt zu, sondern sang es in der Melodie von Frank Sinatras „My Way“. Natürlich ein Extrembeispiel, das aber aufzeigt, wie niedrig in manchen Frauenszenen inzwischen die Hürde einer Abtreibung gesehen wird.

An anderer Stelle heißt es in dem Grundgesetzkommentar: „Schon der Wortlaut des Art. 1 I GG schützt die Würde »des Menschen«, nicht aber »des menschlichen Lebens« und verweist damit zumindest auf ein abgrenzbares Individuum.“ Damit wird infrage gestellt, ob sich der erste Artikel des Grundgesetzes tatsächlich schon auf ungeborenes Leben bezieht.

Außerdem wird angeführt: „Erst mit der Geburt wird der Mensch zu einem Individuum, das seiner Umwelt eigenständig gegenübertritt. Aus gutem Grund daher beginnt die allgemeine Rechtsfähigkeit erst mit der Geburt (§ 1 BGB).“ Womöglich sind dies eine Auswahl der „guten Gründe“, die auch Brosius-Gersdorf dafür sieht, die Menschenwürdegarantie erst als ab der Geburt geltend zu bewerten.

Zusammengenommen zeichnen die Zitate von Brosius-Gersdorf und ihren Vordenkern das Bild einer juristischen Debatte, die nicht weniger will, als die bewährte Interpretation des ersten Artikels des Grundgesetzes in Frage zu stellen. In ihrem am Dienstag veröffentlichten Statement schrieb Brosius-Gersdorf unmissverständlich: „Die Lösung kann verfassungsrechtlich nur sein, dass entweder die Menschenwürde doch abwägungsfähig ist oder für das ungeborene Leben nicht gilt.“

Es wirkt in diesem Zusammenhang zudem erschreckend lapidar, zu argumentieren, eine Würdeverletzung finde bei der Abtreibung nicht statt, weil nicht der Staat, sondern die Mutter der handelnde Akteur ist. Immerhin ließen sich daraus (zumindest für den Laien) beispielsweise auch Fragen ableiten, wie: Ist eine Todesstrafe, die von einer NGO entschieden und durchgeführt wird, auch keine Verletzung der Menschenwürde, weil auch hier der Staat nicht agiert?

Nun muss man Frau Brosius-Gersdorf zugestehen, dass es als Juristin ihre Aufgabe ist, auch emotional behaftete Rechtsfragen analytisch anhand der bestehenden Rechtsauffassungen zu bewerten. Auch ist es nachvollziehbar, dass unter der Prämisse, dass auch ein Embryo bereits unantastbare, also vollumfängliche Menschenwürde besitzt, es rechtlich eine echte Herausforderung ist, bei der Bewertung eines Schwangerschaftsabbruchs auch die Grundrechte der Mutter angemessen zu würdigen.

Die Grundrechte des Ungeborenen müssen so gegen die Grundrechte der Mutter abgewogen werden – eine schwierige Angelegenheit, erst recht, wenn man sie nicht, wie von der Kommission für Reproduktionsmedizin empfohlen, in verschiedenen Abschnitten der Schwangerschaft separat, sondern (wie bisher vom Bundesverfassungsgericht praktiziert) als grundsätzlich über den gesamten Schwangerschaftszeitraum gleichermaßen gegeben betrachtet. Bisher hat das Bundesverfassungsgericht aus diesem Dilemma unter anderem die Beratungspflicht sowie das Festhalten am Verbot der Abtreibung bei gleichzeitiger Straffreiheit bis zur zwölften Schwangerschaftswoche und bei medizinischer Indikation auch darüber hinaus abgeleitet.

Dessen ungeachtet bleibt die Befürchtung bestehen, dass eine Verfassungsrichterin, die „gute Gründe“ dafür sieht, „die Menschenwürdegarantie“ als erst ab der Geburt geltend anzusehen, in Zukunft womöglich Argumente finden würde, den rechtlichen Rahmen, in dem die Abtreibung rechtlich straffrei gehalten oder sogar legalisiert wird, immer größer zu fassen. Wenn die Menschenwürde des ungeborenen Lebens verhandelbar ist, lässt sich mit Worten und Artikeln vieles begründen.

In gewisser Hinsicht hat die Kommission für Reproduktionsmedizin, zu der Brosius-Gersdorf gehörte, auch schon einen ersten Schritt in diese weitere Auflockerung der Gesetzgebung vorgenommen. Ihre Empfehlung sah nämlich zwar ein Festhalten am Verbot der Abtreibung ab der 22. Schwangerschaftswoche vor, stellt es für den Zeitraum davor dem Gesetzgeber jedoch frei zu definieren, wie weit der Zeitraum, in dem ein Schwangerschaftsabbruch legal ist, zu fassen ist. Das bedeutet: Ginge es nach den Empfehlungen der Kommission, wäre auch eine Legalisierung der Abtreibung bis Ende der 21. Schwangerschaftswoche zulässig. Ein Zeitpunkt, zu dem ein Embryo bereits die Größe einer Banane hat.

Hinzu kommt, dass Brosius-Gersdorf im bereits zitierten Protokoll ebenfalls betont, dass der Gesetzgeber auch dafür Sorge tragen müsse, seine Gesetze im Sinne der „Völkerrechtsfreundlichkeit“ mit internationaler Rechtsprechung in Einklang zu bringen. Brosius-Gersdorf appelliert, dass der deutsche Gesetzgeber beachten müsse, dass sich unter anderem die WHO für ein menschenrechtliches Gebot einer vollständigen Entkriminalisierung der Abtreibung ausgesprochen habe.

Tatsächlich wird in der „Abortion care guideline“ der Weltgesundheitsorganisation aus dem Jahr 2022 die „vollständige Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs“ (im Original: „full decriminalization of abortion“) empfohlen. Auch bei anderen UN-Organisationen wie dem UN-Menschenrechtsrat lassen sich ähnliche Formulierungen finden. Was soll man daraus schließen? Verhandeln wir jetzt nicht nur über die Menschenwürde, sondern auch über den Wert des Grundgesetzes? Offenbar ja – in den Händen der Union liegt nun, ob Brosius-Gersdorf die Verhandlungen zwischen internationalem und deutschem Recht mitführen wird.

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