
Fünf ranghohe Mitglieder der Berliner Linken sind wegen des Umgangs mit Antisemitismus aus der Partei ausgetreten. Das ehemalige Vorstandsmitglied Sebastian Schlüsselburg, der frühere Fraktionsvorsitzende Carsten Schatz, der ehemalige Kultursenator und langjährige Landesvorsitzende Klaus Lederer, die frühere Integrationssenatorin Elke Breitenbach und der ehemalige Senator für Stadtentwicklung Sebastian Scheel verließen die Linkspartei am 23. Oktober. Es sei ihnen immer weniger möglich, sich in ihrem Landesverband für ihre inhaltlichen Positionen und ihre strategischen Orientierungen einzusetzen, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung, die auf X veröffentlicht wurde. Weiter heißt es: „Dies erlebten wir nicht zum ersten Mal bei einer klaren Positionierung zum Antisemitismus, sondern zum Beispiel auch bei der Frage der Solidarität mit der Ukraine.“ Unterschiedliche Meinungen würden zu „Machtkämpfen“ führen.
Anlass für den Austritt war auch der Umgang auf dem Berliner Parteitag mit einem Antrag von Lederer zum Thema Antisemitismus. In dem Antrag sollte das Massaker der Hamas als „eliminatorischer Antisemitismus“ verurteilt werden. Auch linker Antisemitismus sollte verurteilt werden. Jedoch wurden diese entscheidenden Passagen des Antrags gestrichen und letztlich der Antrag nicht verabschiedet, woraufhin einige Linken-Politiker den Saal verließen, darunter diejenigen, die nun ausgetreten sind. Von Gegnern des Antrags hieß es, dass der Begriff „eliminatorischer Antisemitismus“ im Zusammenhang mit dem Hamas-Massaker eine Relativierung des Holocausts sei. Allerdings heißt es in Artikel 7 der Gründungscharta der Hamas, dass die Hamas das Ziel habe, alle Juden zu töten. Damit will sie einen Ausspruch des Propheten Mohamed umsetzen, auf den die Hamas sich explizit bezieht.
Der Austritt ist richtig. Dennoch stellt sich die Frage – warum erst jetzt? Denn Antisemitismus war schon immer Teil der Linkspartei. Man kann bis zur SED zurückgehen, deren Nachfolgepartei die Linke bekanntlich ist, deren Antisemitismus sich zum Beispiel darin zeigte, dass die DDR palästinensische Terroristen unterstützte oder den Staat Israel als „Hauptwerkzeug des Weltimperialismus gegen die arabischen Völker“ bezeichnete.
Aber auch nach der Wende wurde die Linke den Schatten des Antisemitismus nicht los: Schon 2014 war es im Rahmen der sogenannten „Toilettenaffäre“ zu Antisemitismusvorwürfen gegen drei Bundestagsabgeordnete der Linken gekommen. Inge Höger, Annette Groth und Heike Hänsel hatten zum 9. November 2014 zwei Journalisten eingeladen, die mit unzulässigen Vergleichen Israels zum nationalsozialistischen Deutschland und dem „Islamischen Staat“ aufgefallen waren. Einer der Eingeladenen bezeichnete 2013 Israelis als „Judaeo-Nazis“.
2010 kam es zu mehreren weiteren Vorfällen. So blieben am 27. Januar 2010 drei Linksabgeordnete, darunter Sahra Wagenknecht, nach der Rede des israelischen Präsidenten Shimon Peres anlässlich des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus sitzen. Sahra Wagenknecht sagte damals: „Zum Gedenken an die Opfer des Holocaust habe ich mich selbstverständlich von meinem Platz erhoben. Dass ich nach der Rede von Shimon Peres nicht an den stehenden Ovationen teilgenommen habe, liegt darin begründet, dass ich einem Staatsmann, der selbst für Krieg mitverantwortlich ist, einen solchen Respekt nicht zollen kann.“ Außerdem nahmen 2010 drei Bundestagsabgeordnete der Linken an der sogenannten Gaza-Flottille teil, auch Inge Höger. Ziel der Gaza-Flottille war es, die damalige Seeblockade Israels gegen die Hamas zu durchbrechen. Auf dem Flaggschiff waren laut der Süddeutschen Zeitung Rufe wie „Tod den Juden“ gefallen. Auf dem Flaggschiff war auch die türkische Organisation Insani Yardim Vakfi (IHH) vertreten, die laut Welt die Hamas finanziert. Wie die taz 2010 berichtete, hatte sich laut Angaben der IHH der damalige Chef der Organisation, Bülent Yildirim, mehrmals öffentlich mit Anführern der Hamas getroffen.
Ein Beispiel für die Konstanz des Antisemitismus in der Linkspartei sind zum Beispiel die Äußerungen von Christine Buchholz. 2006 sagte die Linken-Politikerin Christine Buchholz, dass sie im Libanonkrieg auf Seiten der Hisbollah stehe: „Auf der anderen Seite stehen in diesem Konflikt die Hisbollah, die Friedensbewegung in Israel und die internationale Antikriegsbewegung. Das ist die Seite, auf der auch ich stehe.“ Der getötete Hisbollah-Chef Nasrallah hatte öffentlich Israels Vernichtung gefordert: Er bezeichnete Israel als „Krebsgeschwür“, das ausgerottet werden müsse. Auch auf dem Parteitag 2023 sagte sie, dass wer Gaza bombardiere, Massaker in Kauf nehme. Es brauche „mehr Solidarität und weniger Staatsräson“, sagte sie laut FAZ. Ebenfalls trat der hessische Linken-Politiker Nick Papak Amoozegar beim Parteitag 2023 auf. Er sagte: „Denn der Angriff von Hamas und anderen Gruppen des palästinensischen Widerstands, wie brutal er auch gewesen ist, rechtfertigt keinen Völkermord.“
Die genannten Aussagen sind dabei keine Einzelfälle. Zahlen einer Umfrage des American Jewish Committee von 2022, die Statista vorliegen, zeigen, dass Mitglieder der Linkspartei anteilig oft am zweitmeisten antisemitischen Aussagen zustimmten. Am häufigsten stimmten Mitglieder der AfD den antisemitischen Klischees zu. So stimmen 37 Prozent der Linken folgender Aussage zu: „Juden nutzen ihren Status als Opfer des Völkermords im Zweiten Weltkrieg zu ihrem eigenen Vorteil aus.“ Folgender Aussage stimmten 27 Prozent der Linken zu, nur AfD-Mitglieder stimmten mit 39 Prozent öfter zu: „Juden haben zu viel Macht in der Wirtschaft und im Finanzwesen.“ Auch die Aussage „Juden haben zu viel Macht in der Politik“ wurde am zweithäufigsten von Mitgliedern der Linken befürwortet; 23 Prozent stimmten der Aussage zu.