Die SPD erklärt ihr eigenes Experiment für gescheitert

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Bildquelle: Tichys Einblick

Die jüngere Geschichte der SPD ist in etwa so verdreht wie die Storyline von „Gute Zeiten, Schlechte Zeiten“: Saskia Esken hat die Partei 2019 gewählt, um Olaf Scholz als Vorsitzenden zu verhindern – um dann Olaf Scholz 2021 zum Bundeskanzler zu machen. Nun muss Esken als Parteivorsitzende zurücktreten, weil sie das schlechte Ergebnis der jüngsten Wahl verantworten muss, und Lars Klingbeil wird als Konsequenz aus dem gleichen Ergebnis zum Vizekanzler und Finanzminister erklärt. Sinn lässt sich daraus kaum schließen – nur Popcorn genießen. Abends auf der Couch zwischen Heute Journal und Tagesschau.

Mit Eskens (63) Rückzug wird die Stelle der Co-Vorsitzenden frei. Aller Voraussicht nach übernimmt die im Juni Bärbel Bas (57). Bis vor kurzem Vizepräsidentin des Bundestags und seit Dienstag Arbeitsministerin. Als Generalsekretär unterstützt sie dann Tim Klüssendorf (33). Damit ändert die SPD tatsächlich etwas Bemerkenswertes. Bisher pflegte die Partei eine Verliererkultur: Frank-Walter Steinmeier, Hubertus Heil, Heiko Maas oder Nancy Faeser hatten gemein, dass sie schwere Wahlniederlagen zu verantworten hatten, aber danach im Amt bleiben konnten. Oder sogar befördert wurden – bis hinein ins höchste Staatsamt.

Klüssendorf und Bas sind – anders als Klingbeil – Wahlgewinner. Der 33 Jahre alte künftige Generalsekretär hat schon zweimal seinen Wahlkreis in Lübeck gewonnen. Beim letzten Mal mit hartem Gegenwind aus Berlin. Bas hat ihren Wahlkreis in Duisburg bereits fünf Mal gewonnen. Zwar ist die Stadt, in der die Ruhr in den Rhein mündet, traditionell eine SPD-Hochburg. Doch leidet sie massiv unter dem Strukturwandel. In anderen Städten ist das die Voraussetzung dafür, dass SPD-Hochburgen an die AfD fallen. Duisburg hält Bas auf Bundesebene.

Die Personalie Bas bedeutet einen weiteren Bruch in der bisherigen SPD-Personalpolitik. Die Partei wird immer stärker von der akademischen Linken geprägt. Von Polit-Nachwuchs, der schon früh darauf gepolt ist, Politprofi zu werden. Der folglich keine Welt kennt, die außerhalb des Erfahrungsraums Kreißsaal, Hörsaal, Plenarsaal liegt. Bas hat als Tochter eines Busfahrers ihren Berufsweg als Bürogehilfin gestartet und sich über Nachbildung als Sachbearbeiterin und Personalchefin einer Krankenkasse hochgearbeitet. Sie kennt also auch das Leben außerhalb der Berliner Blase.

Wer jetzt denkt, in der SPD gebe es künftig nur noch langweilige Gute Zeiten, der sei aber getröstet: In Tim Klüssendorf zieht die Partei den nächsten Nachwuchspolitiker groß, der in Kreißsaal, Hörsaal, Plenarsaal zuhause ist. Nach dem Studium der Betriebs- und Volkswirtschaftslehre arbeitete er für den Lübecker Bürgermeister Jan Lindenau. Mit 30 wurde er dann zum Bundestagsabgeordneten.

Wenn die SPD im Juni erwartungsgemäß Bas und Klingbeil zu ihren Vorsitzenden wählt, ordnet sie damit offiziell ein Experiment als gescheitert ein. 2019 hatte die Partei die Basis darüber abstimmen lassen, wer den Vorsitz haben soll. Die Vorgabe bestand lediglich darin, dass es ein Pärchen mit mindestens einer Frau sein müsse. Scholz zögerte mit seiner Bewerbung. Er gab sie erst ab, als mit Ralf Stegner oder Karl Lauterbach nur randständiges Personal kandidierte. Der spätere Gesundheitsminister war zwar schon vor der Pandemie der Gesundheitsexperte der Partei. Doch wegen seines speziellen Sozialverhaltens hielt die ihn über zwei Jahrzehnte an der Außenlinie.

Die Basis entschied sich dann für die wenig bekannten – und wenig charismatischen – Saskia Esken und Norbert-Walter Borjans (72). Nicht, obwohl sie bisher in der Bundespolitik wenig Erfahrung hatten – sondern, weil. Die Mitglieder wollten keine Apparatschiks wie Scholz, Lauterbach und schon gar nicht Stegner. Sie wollten Vertreter der Basis. Dafür stand das Duo Esken und Walter-Borjans. Als die Partei 2021 dann überraschend das Kanzleramt gewann, verzichtete Esken auf einen Ministerposten und blieb Vorsitzende. Walter-Borjans zog sich zugunsten Klingbeils (47), bis dahin Generalsekretär, komplett zurück.

Die Ideen der Basisbefragung von 2019 hat die SPD aufgegeben: Über das Personal entscheiden längst wieder die Mächtigen in Hinterzimmern. Ihre Vorschläge lassen sie sich dann von Parteitagen abnicken, die wiederum von Berufspolitikern und deren „wissenschaftlichen Mitarbeitern“ dominiert werden. Zudem sitzt mit Bas und Klingbeil nicht mehr die Basis im Vorstand – sondern die Arbeitsministerin, der Finanzminister und Vizekanzler. Mehr Regierungsvertreter geht in der SPD nicht.

Auch inhaltlich brechen in der SPD keine Gute Zeiten aus. Nicht mal das Schweige-Abkommen hält die Partei ein, das Klingbeil laut Bild mit Kanzler Friedrich Merz (CDU) vereinbart hat. Ausgerechnet Bas prescht mit Vorschlägen vor, die nicht im Koalitionsvertrag stehen – den die Partner erst vor einer Woche unterzeichnet haben: Sie will, dass Selbstständige und Beamte künftig in die Rentenversicherung einbezahlen müssen. Falls sich die zuständige Kommission nicht auf einen Mindestlohn von 15 Euro einigen sollte, will Bas diesen per politischer Order durchsetzen. Beidem hat die Union in den Verhandlungen heftig widersprochen. Auf eine maximale Wochenarbeitszeit haben sich CDU, CSU und SPD zwar geeinigt und das am Montag vergangener Woche auch verkündet. Doch Bas stellt nun am Wochenende der selben Woche alles wieder in Frage. Die designierte SPD-Vorsitzende setzt damit die Kakophonie fort, die in der Ampel für so viele Misstöne gesorgt hat. Schlechte Zeiten. Sehr schlechte Zeiten.

Bas hat zwar die Berufswelt kennengelernt. Aber in einer Krankenkasse. Einem Umfeld, das sich in seiner eigenen Organisation immer noch am Beamtentum orientiert. Hier offenbart sich ein Kernproblem, das sich schon unter Bas’ Vorgänger als Arbeitsminister Hubertus Heil gezeigt hat: Das Arbeitsbild der SPD ist in den 70er Jahren eingefroren. Die Sozialdemokraten gehen von großen Unternehmen aus, mit strikten Regeln, etwa zur Arbeitszeit. Im SPD-Weltbild stempelt der Arbeitnehmer um 9 Uhr ein und um 17 Uhr aus.

Doch die Welt der Wirtschaft hat sich verändert. Der globalisierte, digitalisierte Markt benötigt schnelle Reaktionen. Das bedeutet kurzfristige Arbeitsbereitschaft, zwischenzeitliche Belastungsphasen und kleine, flexible Organisations-Einheiten. Hubertus Heil wollte diese Welt in seinen Entwurf für ein Arbeitszeitgesetz pressen. Bas will dieser Welt die Rentenpflicht überstülpen. In 23 der letzten 27 Jahren hat in Deutschland die SPD regiert.

In dieser Zeit hat die deutsche Politik sich samt ihrer Verwaltung zwar immer wieder über die Wirtschaftswelt hinweggesetzt. Doch die antwortet damit, dass sie als einzige Volkswirtschaft der Industrienationen im dritten Jahr in Folge schrumpft. Für ein paar Folgen kann sich eine Serie zwar über jede Logik hinwegsetzen, aber irgendwann laufen ihr die Zuschauer fort.

Diese Regel gilt aber nicht nur für Soaps wie Gute Zeiten, Schlechte Zeiten. Auch die SPD ist ihnen unterworfen. Egal, wie heftig sie sich dagegen wehrt. Bas hat zwar gezeigt, dass sie im zweitobersten Staatsamt der Bundestagspräsidentin eine parteipolitische Kämpferin sein kann, die mit Unfairness bei Ordnungsrufen die AfD bekämpfen kann. Nur geholfen hat das halt nichts. Die AfD hat die 20-Prozent-Decke durchbrochen. Nach oben. Der SPD ist das erstmals nach unten passiert. Machtpolitisch hat das Duo Bas-Klingbeil künftig zwar alles in der Hand und kann bequem regieren – doch inhaltlich verspricht das für das Land eher Schlechte Zeiten. Und für die SPD das Versprechen, dass der Fall auf 16,4 Prozent noch nicht das Ende bedeuten muss.

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