
Erst bekam der FDP das Regieren nicht, und nun strauchelt sie in der Opposition.
Als der Bundeskanzler seinem Finanzminister Christian Lindner das Vertrauen entzog und damit aus der Ampel ein rot-grünes Minderheitsbündnis wurde, waren die Liberalen noch hoffnungsvoll. Sie wollten als jene Kraft erscheinen, die für ihre Grundsätze steht – und lieber nicht regiert, als sich von Olaf Scholz auf finanzpolitische Abenteuer verpflichten zu lassen.
Mittlerweile stellt die Sache sich anders dar. Die FDP rangiert in Umfragen unverändert unterhalb der Fünf-Prozent-Hürde. Sie muss damit rechnen, bei den Neuwahlen im kommenden Februar aus dem Bundestag zu fliegen. Der Wähler hat Lindners tatsächliche oder vermeintliche Standhaftigkeit nicht goutiert. Und die „D-Day-Affäre“ ist noch gar nicht eingepreist. Die FDP taumelt ihrem selbstverschuldeten Untergang entgegen.
Noch vor wenigen Tagen schworen alle Liberalen, die befragt wurden, Stein und Bein, es gäbe kein Ausstiegsszenario aus der Ampel mit dem Codenamen „D-Day“. Generalsekretär Bijan Djir-Sarai nannte solche Berichte eine Unterstellung und eine Frechheit. Nun wurde der Druck so groß, dass die FDP öffentlich machte, was es angeblich nie gab. Jeder kann nachlesen, mit welchen Gedanken sich Teile der FDP in diesem Herbst trugen.
Der bisherige FDP Generalsekretär Bijan Djir-Sarai verkündet mit einem kurzen Statement seinen Rücktritt.
Unter der Überschrift „D-Day Ablaufszenarien und Maßnahmen“ ist von vier Phasen die Rede, versinnbildlicht durch eine Pyramide mit den Inschriften: „Impuls – Narrativ qualitativ setzen – Narrativ quantitativ verbreiten – Beginn der offenen Feldschlacht“. Die FDP behauptet: „Dieses technische Papier ist kein Gegenstand der politischen Beratung von gewählten Mandatsträgern und Regierungsmitgliedern gewesen, sondern eine rein interne Vorbereitung für das Szenario eines Ausscheidens der FDP aus der Ampel-Koalition.“ Der Generalsekretär habe nicht davon gewusst, Autor sei der Bundesgeschäftsführer.
Die „D-Day Ablaufpyramide“ aus einem internen FDP-Strategiepapier.
Nun gibt es genau zwei Möglichkeiten: Entweder hat Bijan Djir-Sarai gelogen – oder es geschehen hinter dem Rücken des Generalsekretärs grundstürzende Dinge. Beides spricht gegen Lindners wichtigsten Kampagnenmacher. Weder einen Abgrund an Unprofessionalität noch eine dreiste öffentliche Lüge kann sich eine Partei wie die FDP leisten; zumal die Liberalen im Gegensatz zur SPD oder den Grünen eine fast geschlossene Medienfront gegen sich haben.
Was etwa bei den Herren Habeck und Lauterbach zum lässlichen Vergehen erklärt wird, ist bei der FDP eine Todsünde – zumindest dann, wenn man dem vereinigten Chor in den öffentlich-rechtlichen und anderen linken Medien Glauben schenkt. Der Rücktritt Djir-Sarais, eines klassischen, aufrechten Liberalen, war ebenso unumgänglich wie bitter. Der bisherige Generalsekretär beharrt in seinem kurzen Statement, er habe „unwissentlich falsch über ein internes Dokument informiert“. Der linke Flügel um Konstantin Kuhle und Johannes Vogel wird sich nun im Auftrieb fühlen.
Die FDP hat mehrere Fehler begangen: Der größte Fehler war es, zu lange in der Ampel zu verharren. Sie hat linke Weltanschauungsprojekte mitgetragen, ohne mit der Wimper zu zucken. Das Selbstbestimmungsgesetz etwa erfreut nur eine winzige Lobby, befremdet aber die Mehrheit und schadet den Frauen.
Christian Lindner, FDP Vorsitzender, in seinem Büro in der Parteizentrale.
Die Cannabis-Legalisierung wird vor allem von Drogenhändlern beklatscht, und unter der Flagge von „Demokratie leben“, „Entwicklungszusammenarbeit“ und „feministischer Außenpolitik“ bewirtschaften Grüne ihre Lieblingsphantasien. Dass der ehemalige Justizminister Marco Buschmann im Bundestag über „sozialschädliches Verhalten“ dozierte, war auch keine liberale Sternstunde.
Der bisherige Justizminister Marco Buschmann im Bundestag.
Die Regierungszeit hat aus einer Partei mit liberalem Programm eine Ansammlung elastischer Opportunisten gemacht. Natürlich stimmt es, dass ohne die FDP manche Narretei sich rascher breitgemacht hätte. Könnten SPD und Grüne, wie sie wollten, wäre der Sozialstaat noch fetter, wäre die Schuldenbremse bereits umgangen und wäre das linkspopulistische Demokratiefördergesetz ebenso Realität wie die monströs bürokratische Kindergrundsicherung.
Das aber reicht nicht. Die FDP hat sich aufgerieben in der Koalition – und sie hat sich zerreiben lassen. Christian Lindner und sein bisheriger Generalsekretär hielten das liberale Fähnlein rhetorisch hoch, nur um es dann am Kabinettstisch einzurollen. Gerade angesichts der ungebremst etatistischen Tendenzen bei der SPD, die einen Neidwahlkampf zu führen bereit ist, und der autoritären Versuchung bei den Grünen braucht es eine liberale, eine marktwirtschaftliche, eine rechtsstaatliche Stimme dringender denn je. Die FDP ist es nicht.
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