Björn Höcke, Antisemitismus und Muslimfeindlichkeit: Das steht alles im Verfassungsschutz-Gutachten zur AfD

vor 3 Tagen

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Bildquelle: Apollo News

Die Bild konnte den gesamten Bericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz, der die AfD als „gesichert rechtsextremistische Bewegung“ einstufte, einsehen. Die nun eingefrorene Neubewertung basiert auf einem über drei Jahre hinweg erarbeiteten Gutachten mit mehr als 1.100 Seiten. Offiziell ist das Dokument als „VS – Nur für den Dienstgebrauch“ eingestuft. Der Bericht gliedert sich in sieben Kapitel mit über 200 Unterkapiteln und enthält eine großzügige Sammlung an Zitaten, Äußerungen, medialen Veröffentlichungen sowie strukturellen Verbindungen von AfD-Mitgliedern und -Gliederungen.

Ab Seite 110 dokumentiert das Gutachten Äußerungen, Veröffentlichungen und Aktivitäten von Parteimitgliedern, die laut Verfassungsschutz als Grundlage für die Einstufung als extremistisch dienen sollen. Dieses Kapitel trägt den Titel „Belege für Bestrebungen gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung“. Vieles davon ist sehr dünn – und wirft ernsthafte Fragen ob der Arbeit des Verfassungsschutzes auf.

Laut Gutachten vertrete die AfD ein „völkisch-abstammungsmäßiges Gesellschafts- und Volksverständnis“. Dies bedeute, dass „Deutschen mit Migrationshintergrund die Anerkennung als gleichberechtigte bzw. gleichwertige Mitglieder der rechtlich verfassten Gemeinschaft versagt werden soll“. So trenne die Partei die Bevölkerung in „Deutsche“ und „Passdeutsche“.

Im Bericht erklärt der Verfassungsschutz weiter, dass die „Auswertung einer Vielzahl von Äußerungen von AfD-Funktionärinnen und Funktionären auf Bundes- und Landesebene“ belege, dass die Partei einen „ethnisch-abstammungsmäßigen Volksbegriff“ befürworte. Daraus folge die Vorstellung, dass Deutsche mit Migrationshintergrund „qua Geburt und ihrer Natur nach von der vollwertigen Zugehörigkeit zum deutschen Volk ausgeschlossen“ seien – und dies „dezidiert und bewusst“, argumentiert der Verfassungsschutz.

Im Bereich Kriminalitätsdebatten konstatiert der Verfassungsschutz, dass die Partei zwischen „Deutschen mit und ohne Migrationsgeschichte“ unterscheiden würde. So gebe es in der Partei den Grundkonsens, „dass Menschen mit einer nicht-deutschen Herkunft häufiger zur Begehung entsprechender Taten neigten, und zwar – und das ist die aus verfassungsschutzrechtlicher Sicht relevante Komponente – aufgrund ihrer Herkunft.“ Weiter würde die Partei eine „besondere Diskriminierung nicht-weißer Personen“ ausüben. Man wolle Deutschen mit Migrationshintergrund „die Zugehörigkeit zum deutschen Volk“ absprechen.

In dem Fazit resümiert das Bundesamt, dass das von der AfD „propagierte Volksverständnis“ in „Widerspruch zum Staatsvolksbegriff des Grundgesetzes“ stehe. Es impliziere „menschenwürdewidrige Überhöhung eines konstruierten ethnisch-kulturellen Kollektivs und die Exklusion von Menschen mit Migrationsgeschichte“. Dies verstoße „gegen das Prinzip der Menschenwürde“.

Die Behörde verweist darauf, dass AfD-Funktionäre „Personen mit Migrationsgeschichte mit dem in abfälliger Weise verwendeten Präfix ‚Messer‘ in Verbindung“ bringen würden. Die Schwelle zur „die Menschenwürde verletzenden Pauschalisierung“ sei überschritten, da „die Äußerungen das Ziel hätten, herabzusetzen und zu entwürdigen“.

Äußerungen zu männlichen Migranten würden häufig so formuliert, dass diese als „triebgesteuerte Subjekte stilisiert“ würden. Dies betreffe vor allem Männer aus arabischen und afrikanischen Herkunftsregionen.

Im Zusammenhang mit Sozialpolitik wird kritisiert, dass AfD-Vertreter Zugewanderten „aktive missbräuchliche Inanspruchnahme von Sozialleistungen“ unterstellen und von einer „Übernahme Deutschlands“ durch Migranten sprechen. Hier werde „die Grenze“ „überschritten“, wenn „die Vorwürfe in einer derart pauschalisierenden Weise vorgebracht werden, dass hierdurch Migrantinnen und Migranten in ihrer Gesamtheit verunglimpft und mithin erheblich abgewertet“ werden würden.

Des Weiteren stelle die AfD „explizit Musliminnen und Muslime wegen ihrer Religionszugehörigkeit bewusst ausgrenzend als kriminell und unerwünschte, nicht integrierbare Menschen zweiter Klasse“ dar. Dies sei eine „konkrete Form der Fremdenfeindlichkeit“. Die Äußerungen enthielten „tatsachenwidrige pauschale Verunglimpfungen“, die geeignet seien, „den Boden für unfriedliche Verhaltensweisen“ zu bereiten.

Der Verfassungsschutz unterscheidet zwischen legitimer Islamkritik und verfassungsrechtlich relevanter Fremdenfeindlichkeit: „Die Grenze wird aber dann überschritten, wenn die Religion und ihre Gläubigen im Sinne eines pauschalen Feindbilds diffamiert werden.“ Die Behörde sieht dies erfüllt, da AfD-Vertreter „bewusst Ausgrenzung“ betrieben, Muslimen eine „grundsätzliche Unerwünschtheit“ unterstellten, sie als „gewalttätig und gefährlich“ beschrieben und „von einer angeblichen Verdrängung der europäischen Bevölkerung durch den Islam“ sprächen.

Die AfD nutze Formulierungen, „die auf eine pauschale Abwertung und Kriminalisierung der gesamten muslimischen Glaubensgemeinschaft ausgerichtet sind und damit die Menschenwürde von Musliminnen und Muslimen verletzen“.

Auch antisemitische Narrative würden nach Einschätzung des BfV verwendet – meist „durch Andeutungen, Codes und Chiffren ausgedrückt“. Beispielsweise werde auf „Juden als Strippenzieher des Weltgeschehens“ verwiesen. Der Name George Soros oder Begriffe wie „Globalisten“ gelten in diesem Zusammenhang als Signalbegriffe, behauptet die Behörde. Zugleich hält der Verfassungsschutz fest, dass nicht „unverstellt zum Hass gegen Jüdinnen und Juden“ aufgerufen werde.

In Bezug auf das Demokratieprinzip heißt es, die AfD betreibe eine „Agitation“ gegen zentrale Grundwerte. Parlamentarismus werde „verächtlich“ gemacht, und die Partei wolle das Vertrauen in staatliche Institutionen gezielt schwächen.

Die AfD erkläre, dass die Nachkriegsentwicklung „nicht frei und demokratisch“ erfolgt sei, sondern spreche von einer „systematischen Umerziehung“. Dieses Argument bediene ein „rechtsextremistisches Motiv“, demzufolge dem deutschen Volk nach 1945 „ein Schuldkomplex eingeimpft worden“ sei.

Auch Aussagen, wonach die Bundesrepublik kein souveräner Staat sei, würden das Vertrauen in die staatliche Ordnung infrage stellen. Die Partei unterstelle zudem, dass es „keine Pressefreiheit“ gebe. Vielmehr würden die Medien „durch die Regierung bzw. durch außenstehende Mächte gesteuert“ werden.

Mit der Verwendung von Begriffen wie „Systemparteien“ oder „Kartellparteien“ werde „das gesellschaftliche und politische System der Bundesrepublik Deutschland mit dem der DDR gleichgesetzt und so als undemokratischer Unrechtsstaat dargestellt“. Zudem beobachtet der Bericht, dass die AfD die heutige Bundesrepublik „immer wieder mit dem Dritten Reich, Hitler und dem Nationalsozialismus“ vergleiche – eine Darstellung, die laut Verfassungsschutz „die Gräueltaten des NS-Regimes“ verharmlose.

„Durch die Darstellung der Bundesrepublik als totalitäres System, so auch durch Vergleiche mit der DDR oder dem NS-Regime sowie die Entlehnung einschlägiger Begrifflichkeiten, wird diese massiv verunglimpft.“ Dies seien keine „Entgleisungen einzelner Mitglieder“, sondern „finde sich auf allen Parteiebenen wider“. „In der Gesamtschau besteht daher aufgrund der Quantität der Belege und der Fortführung der Narrative weiterhin ein starker Verdacht im Hinblick auf eine demokratiefeindliche Grundhaltung der AfD.“

Zur „Jungen Alternative“ schreibt der Verfassungsschutz: „Über die Jahre ist es vielen JA-Mitgliedern gelungen, sich erfolgreich um Mandate zu bewerben oder aber in der AfD selbst in einflussreiche Parteiämter gewählt zu werden.“ Trotz formeller Trennung heißt es: „Zusammenfassend bleibt somit festzuhalten, dass trotz vollzogener Trennung der AfD von der JA (…) keine grundsätzliche Entfremdung zwischen Partei und Mitgliedern der Jugendorganisation zu erkennen ist.“ Viele ehemalige Mitglieder würden „erwiesen rechtsextremistischen Positionen weiterhin auch in der Gesamtpartei AfD vertreten und verbreiten“.

Abschließend widmet sich das Gutachten der „Bewertung der Stellung von Björn Höcke innerhalb der Gesamtpartei“. Die Behörde hält fest: „In der Gesamtschau ist Höcke demnach auch bundesweit nach wie vor als hochrelevanter und wirkmächtiger Akteur der Partei anzusehen.“ Seine Äußerungen seien der Gesamtpartei zuzurechnen, da diese ihnen nicht entgegentrete. Dass Weidel Höcke für ein Ministeramt fähig hält, wird der Partei abschließend auch noch zur Last gelegt.

Aus dem, was Bild aus dem Gutachten veröffentlicht hat, ernsthaft eine klare Verfassungsfeindlichkeit abzuleiten, dürfte schwierig werden – trotz mancher Aussagen, die vielleicht rechtsradikal oder geschmacklos sind. An vielen Stellen erscheint die Argumentation des Verfassungsschutzes geradezu lächerlich absurd.

Ein fremdenfeindliches, völkisches Volksverständnis will der Verfassungsschutz unter anderem mit der folgenden Aussage des ehemaligen AfD-Abgeordneten Seitz belegen: „Als Mitglied des Deutschen Bundestages bin ich der Vertreter des ganzen Volkes. Gemeint ist damit des ganzen Deutschen Volkes. Also alle, die schon länger hier leben. Integrierte Migranten, also keine Özils, die sich weiter als Türken sehen – gehören selbstverständlich auch dazu. Reine Passdeutsche formal auch – leider.“ Dabei drückt Seitz mit dem Satz eben genau kein exklusiv ethnisches Volksverständnis aus.

Absurd ist auch der Vorwurf, innerhalb der AfD fänden sich häufig Äußerungen, die bei männlichen Migranten eine Neigung zu Sexualdelikten nahelegen. Das überhaupt zum Vorwurf zu machen ist angesichts der Kriminalitätsstatistiken, die regelmäßig eine deutliche Überrepräsentation bestimmter Migrantengruppen bei ebenjenen Straftaten bestätigen.

Auch eine entsprechende Aussage Alice Weidels hat der Verfassungsschutz als Beleg für vermeintliche Verfassungsfeindlichkeit identifiziert. Weidel sprach über Ausländer und Kriminalität und erklärte, Migration und Einbürgerung würden sich „auch auf die polizeiliche Kriminalstatistik“ auswirken. „Denn sind diese Leute einmal eingebürgert, dann tauchen sie als ausländische Staatsbürger gar nicht mehr auf. Obwohl genau diese Leute aus dem afghanischen, irakischen, syrischen Kontext eine hohe Kriminalitätsbelastung aufweisen. Ein Vielfaches von einem deutschen Staatsbürger im Übrigen. Dadurch wird auch die Kriminalstatistik verfälscht.“

Der thüringer AfD-Politiker Stephan Brandner schrieb auf X: „Gewaltexplosion durch Nordafrikaner?Da helfen Grenzkontrollen!“ Auch das für den Verfassungsschutz ein Beleg für Verfassungsfeindlichkeit – obwohl ein ehrlicher Mensch an dieser Aussage sachlich nichts zu beanstanden wüsste.

Ebenso wird eine Aussage des AfD-Bundestagsabgeordneten „In den Jahren der politisch gewollten steigenden Zuwanderung aus kulturfremden Ländern nach Mitteleuropa steigen die Kriminalitätsraten in erschreckender Weise. Messermorde, Gruppenvergewaltigungen, Rohheitsdelikte sind ungebremst aufdem Vormarsch.“ Eine in der Sache korrekte, gar relativ sachliche Zustandsbeschreibung – für den Verfassungsschutz absurderweise unzulässig und Grund für die Einstufung als „gesichert rechtsextremistisch“.

AfD-Abgeordnete Mariana Harder-Kühnel formulierte: „Wir brauchen endlich eine Abschiebeoffensive. Deutschland darf nicht länger Hort psychisch auffälliger ,Einzeltäter‘ sein, die offensichtlich tickende Zeitbomben sind. sondern muss die Sicherheit der Bürger in den Vordergrund rücken. Das sind wir vor allem den vielen Opfern der Migrationspolitik seit 2015 schuldig.“ Auch diese harmlose Aussage: Für den Verfassungsschutz Beleg für Verfassungsfeindlichkeit.

Und auch polemische, zugespitzte Aussagen werden unbotmäßig problematisiert. „Die Sozialkassen finanzieren die Migranten – und locken deshalb umso mehr an. Die Deutschen werden im eigenen Land ausgeplündert, um die Einwanderung zu bezahlen, die ihnen Wohlstand und Heimat nimmt“, schimpfte etwa der besonders rechte AfDler Maximilian Krah. Zugespitzt, ja – aber im Rahmen der Meinungsfreiheit unstrittigerweise zulässig.

Liest man die Auszüge, die Bild veröffentlicht hat, bekommt man einen klaren Eindruck: Fast wirkt es so, als hätte der Verfassungsschutz nicht auf Basis von Zitaten eine Einschätzung getroffen, sondern mit zusammengesuchten Zitaten teils verzweifelt versucht, eine vorher feststehende Einschätzung zu belegen. Die veröffentlichten Zitate stärken die Position des Verfassungsschutzes in ihrer Gesamtheit nicht, sondern werfen nur noch mehr Fragen zu dem Treiben der Behörde auf.

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