Mehr zahlen und weniger erhalten: Bund und Länder wollen Pflege reformieren

vor etwa 4 Stunden

Blog Image
Bildquelle: Tichys Einblick

Die deftigsten Abfuhren für die Bundespolitik kommen in den letzten Jahren nicht von der Opposition. Definitiv nicht vom Staatsfernsehen, und selbst als freies Medium fällt es einem schwer, den jeweiligen Regierungen so derart den Kopf zu waschen, wie es der Bundesrechnungshof mitunter vermag. Die staatlichen Prüfer haben schon über Robert Habecks (Grüne) Wirtschaftspolitik gerufen, dass der Kaiser nackt sei, als ARD-Hauptstadtbüroleiterinnen noch von seinem Samt geschwärmt haben.

Jetzt hat sich der Bundesrechnungshof die Pflegeversicherung vorgenommen. Bisher in der Verantwortung als Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), über den die Prüfer auch schon in anderem Zusammenhang den Stab gebrochen haben. Neuerdings zuständig ist Nina Warken (CDU), die bisher dadurch aufgefallen ist, dass sie an heißen Tagen Bratwürste verbieten will und Unterlagen zum Staatsgeheimnis erklärt und schwärzt, die ihren Parteifreund Jens Spahn der Lüge überführen.

Ein Defizit von 12,3 Milliarden Euro erwirtschaftet die Pflegeversicherung bis 2029, dem Ende der Wahlperiode, falls die Regierung nicht eingreift. Schon nächstes Jahr ist demnach mit einer Lücke von 3,5 Milliarden Euro zu rechnen. Die Summen gehen aus einem Papier hervor, das der Rechnungshof für den Fachausschuss im Bundestag erstellt hat und über das zuerst die Bild am Sonntag berichtet hat. Gezieltes Timing. Denn an diesem Montag trifft sich zum ersten Mal eine “Bund-Länder-Arbeitsgruppe”, die bis zum Jahresende eine Pflegereform erarbeiten soll.

Das ist alles reichlich kompliziert – und dann doch wieder nicht. Über 5 Milliarden Euro haben Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihr Gesundheitsminister Spahn der Pflegekasse entnommen, um Kosten ihrer Pandemiepolitik zu finanzieren. Dieses Geld könnte die Bundesregierung, die gerade 850 Milliarden Euro neue Staatsschulden aufgenommen hat, also erst einmal zurückzahlen. Dann wäre fast die Hälfte des Defizits bis zum Ende der Wahlperiode schon finanziert. Obendrein zahlt der Bund zu wenig für die Empfänger von Bürgergeld in die Pflegeversicherung ein.

Doch die Bundesregierung will ihre Rechnungen ausdrücklich nicht bezahlen. Finanzminister Lars Klingbeil (SPD) hat in Rücksprache mit Warken einen Entwurf für den Haushalt vorgelegt, der als einzige Hilfe für die Pflegeversicherung einen Kredit vorsieht: 2 Milliarden Euro in diesem und im nächsten Jahr – zusammen. Das hilft vielleicht in den beiden Jahren weiter, eine Erhöhung der Beiträge zu vermeiden. Doch ab 2027 wächst dann die Finanznot der Pflegekasse um eben diese zwei Milliarden Euro.

Eine Reform der Pflegekasse ist halt vor allem dann kompliziert, wenn man als Regierung nicht mal das Geld geben will, das man selbst der Kasse schuldet. Und obendrein auch die Probleme nicht benennen will, die man in den Konstellationen Union-SPD und SPD-Grüne-FDP in den letzten zehn Jahren selbst verursacht hat. Regierungen können zwar denen den Krieg erklären, die unangenehme Wahrheiten zur Einwanderung aussprechen. Sie können diesen Krieg sogar gewinnen, wenn sie Demokratie und Rechtsstaat durch “unsere Demokratie” und “unseren Rechtsstaat” ersetzen. Aber sie kämpfen dann halt auch gegen die unangenehmen Wahrheiten – und die gewinnen am Ende immer. Wie jetzt in der Pflegeversicherung.

Selbst der Rechnungshof spricht diese unangenehmen Wahrheiten nicht offen aus. Im Bericht heißt es, dass die Zahl der Pflegebedürftigen “unerwartet stark” gestiegen sei. 5,6 Millionen Bedürftige waren es Ende des letzten Jahres. “Unerwartet stark”. Seit zehn Jahren gilt es wahlweise als Fake News oder Hass und Hetze, auszusprechen, dass Sozialversicherungen es auf Dauer nicht aushalten, wenn Menschen aus ihnen Geld erhalten, die selbst keines eingezahlt haben. Wer lange genug für ARD oder ZDF gearbeitet hat, mag auch argumentieren können, warum es verwerflich sei, diesen Punkt auszusprechen – nur es stimmt halt auch.

Ein halbes Jahr kreisen die Experten von Bund und Ländern fortan um die Frage, wie sie die Pflegekasse finanziell besser aufstellen wollen, wenn sie nicht einmal bereit sind, ihre Schulden gegenüber der Pflegekasse zu begleichen. Das ist alles kompliziert. Aber auch wieder nicht. Es läuft auf eine einfache Gleichung raus: Wenn Menschen aus einem System Geld nehmen, in das sie nicht eingezahlt haben, dann muss es auch welche geben, die einbezahlen, aber nichts zurückerhalten. Einfacher ausgedrückt: Der Arbeitskreis sucht jetzt ein halbes Jahr nach der Mischung aus mehr zahlen und weniger erhalten, die in Deutschland die Beschäftigten, die das alles mit ihrer Arbeit erwirtschaften, noch hinzunehmen bereit sind.

Warken schlägt “private Vorsorgeanreize” vor. Also mehr Geld bezahlen. Freiwillige Vorsorge klingt ja viel besser als neue Pflichtbeiträge. Die kommen aber wohl, wenn nicht genügend Menschen freiwillig mehr bezahlen. Auch für die Abteilung weniger Leistungen gibt es Ideen: Aus der privaten Krankenversicherung kommt der Vorschlag den Pflegegrad eins abzuschaffen. Der Arbeitgeberverband BDA will “Karenzzeiten” einführen.

Das ist ganz im Sinn des Arbeitskreises. “Karenzzeit”. Das klingt so viel eleganter, so viel besser, als zu sagen: “Wer 50 Jahre hart gearbeitet und gelöhnt hat, soll erstmal ein Jahr ohne das Geld auskommen, das ihm zusteht. Wenn er meint, beides überleben zu müssen, kann man immer noch gucken, wie man ihn abspeist. Stattdessen Karenzzeiten. Wie elegant. Und es meint eigentlich das Gleiche. Die inhaltlichen Ergebnisse des Arbeitskreises mögen vielleicht enttäuschend ausfallen, aber in Sachen Euphemismen strebt die deutsche Sprache schon jetzt ganz neuen Höhepunkten entgegen.

Eine erste Sprachregelung hat Warken schon mal. Sie schicke nun die “Pflegeversicherung in die Kur”. Hammergag. Pflege… Kur… Verstanden? Eine Kur ist ja auch sowas wie Pflege. Hammergag. “Denkverbote” gäbe es keine, versichert Warken. Gut zu wissen, dass ihr das niemand verboten hat.

Publisher Logo

Dieser Artikel ist von Tichys Einblick

Klicke den folgenden Button, um den Artikel auf der Website von Tichys Einblick zu lesen.

Weitere Artikel

Blog Image

vor 20 Minuten

AfD-Fraktion verklagt Bundestag: Streit um Fraktionssitzungssaal geht vor das Bundesverfassungsgericht

Jetzt muss Karlsruhe entscheiden: Der von der SPD vom Zaun gebrochene Streit um die Verteilung der Fraktionssitzungssäle...

Publisher Icon
Deutschland Kurier
Blog Image

vor etwa 1 Stunde

Einbürgerung auf Knopfdruck: In Berlin gibt’s den deutschen Pass auch ohne Sprachtest und persönliche Überprüfung

Wenig funktioniert in Berlin so, wie es sollte. Eingebürgert wird in Deutschlands dysfunktionaler Hauptstadt inzwischen ...

Publisher Icon
Deutschland Kurier
Blog Image

vor etwa 1 Stunde

Innenministerium bestätigt hohe Zahl nichtdeutscher Tatverdächtiger: Syrer und Afghanen an der Spitze

Wie sich die Zeiten wandeln. Noch vor ein paar Monaten hieß es, man könne von all diesen Dingen gar nichts wissen. Denn ...

Publisher Icon
Tichys Einblick
Blog Image

vor etwa 1 Stunde

Eskalation im Saal-Streit: AfD zieht vor Verfassungsgericht – Ulrich Vosgerau zu allen Hintergründen

Der Verfassungsrechtler Ulrich Vosgerau berichtete auf der heutigen Pressekonferenz der AfD-Bundestagsfraktion über den ...

Publisher Icon
Deutschland Kurier
Blog Image

vor etwa 1 Stunde

Kernkraft funktioniert auch bei Hitze

Wie schon während Hitzeperioden in den vergangenen Jahren gibt es auch dieses Jahr viele Medienberichte darüber, dass Ke...

Publisher Icon
Apollo News
Blog Image

vor etwa 2 Stunden

Straßenkriminalität: Algerische Teenager 56-mal häufiger tatverdächtig als Deutsche

Afghanische, irakische und syrische Staatsangehörige werden laut Bundesregierung am häufigsten als Tatverdächtige bei St...

Publisher Icon
Apollo News