Bundestag im ideologischen Winterschlaf: Man rettet die Demokratie nicht, indem man sie aussetzt

vor 6 Monaten

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Der Terminkalender des Bundestags ist derzeit eine luftige Angelegenheit. Er lässt den Abgeordneten viel Zeit für den Wahlkampf.

Der Grund freilich führt in Grenzbereiche der Demokratie: Die Minderheitsregierung von Kanzler Scholz und die Unionsfraktion haben sich auf eine Art parlamentarischen Notbetrieb geeinigt. Der Rest der Opposition muss schweigen und kann keine Anträge einbringen, weil das rot-grüne Kabinett und CDU und CSU es so wollen. Diese Absprache widerspricht dem Geist und dem Sinn der Demokratie.

Als die Abgeordneten am Mittwoch erstmals nach dem Kollaps der Ampel zusammentraten, gab die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD eine Probe in kontrafaktischer Redeweise. Katja Mast behauptete: „Die Debatten gehören hierher, ins Zentrum der parlamentarischen Demokratie.“ Der Bundestag aber will mit den Stimmen seiner Mehrheit bis in den nächsten Frühling hinein kein solches Zentrum der parlamentarischen Demokratie sein – und er fürchtet die Debatte.

Unions-Chef Friedrich Merz will keine zufällig herbeigeführten Mehrheiten „mit denen da von der AfD“.

Solange keine neue Regierung im Amt ist, wird der Bundestag schockgefrostet. Er soll nur dann aus seinem mehrheitlich gewünschten Winterschlaf erwachen, wenn die Bedingung des Oppositionsführers Friedrich Merz erfüllt ist: „Wir sollten mit Ihnen, den Sozialdemokraten, und Ihnen, den Grünen, vereinbaren, dass wir nur die Entscheidungen auf die Tagesordnung des Plenums setzen, über die wir uns zuvor mit Ihnen von der SPD und den Grünen in der Sache geeinigt haben, sodass weder bei der Bestimmung der Tagesordnung noch bei den Abstimmungen in der Sache hier im Haus auch nur ein einziges Mal eine zufällige oder tatsächlich herbeigeführte Mehrheit mit denen da von der AfD zustande kommt.“

Die Folgen dieser Verabredung von Regierung und stärkster Oppositionskraft wurden bereits sichtbar: In der letzten Novemberwoche finden keine Bundestagssitzungen statt. Im Januar könnte es nur eine einzige Sitzungswoche geben, im Februar keine einzige.

Auch in den Ausschüssen regiert der eiserne Besen von SPD, Grünen, CDU, CSU. Die Sitzungen des Haushaltsausschusses wurden abgesagt und im Finanzausschuss alle Beschlüsse über Gesetzesentwürfe und Anträge vertagt. Das Protokoll vermeldet: „Die Regierungsfraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen hatten einen entsprechenden Geschäftsordnungsantrag gemeinsam mit der CDU/CSU-Fraktion eingebracht. Für diesen Antrag stimmte auch die FDP-Fraktion. AfD-Fraktion und die Gruppe Die Linke votierten dagegen.“

Am selben Tag, als Friedrich Merz den Schulterschluss mit der Regierung verkündete, lieferte eine Erhebung aus Sachsen beunruhigende Ergebnisse. Laut der neuen „Leipziger Autoritarismus-Studie“ sind die Deutschen sowohl im Westen als auch im Osten unzufrieden mit der „Demokratie, wie sie in der Bundesrepublik Deutschland funktioniert“. Das Maß der Zufriedenheit sank auf nur noch 46 beziehungsweise knapp 30 Prozent. Seit 2006 waren die Werte nie geringer.

Die Autoren schreiben: „Der Einbruch bei der Zufriedenheit mit der Alltagserfahrung der Demokratie ist besonders drastisch und besorgniserregend.“ Häufig seien die Menschen unzufrieden, weil sie mit Politikern und Parteien „negative Eigenschaften“ verbinden und ihnen eine „Abkopplung von der Wählerschaft als Elite“ vorwerfen.

Wer nach einem Bild sucht für diese abgehobene Abkoppelung, wird vom Staatsoberhaupt reich beschenkt. Frank-Walter Steinmeier, ein sozialdemokratischer Parteisoldat und einst ein irrlichternder Außenminister, gefällt sich als Gralshüter der korrekten Gesinnung. Er möchte gar nicht Bundespräsident aller Deutschen sein. Er begnügt sich damit, den Wohlmeinenden, Braven und Staatsfrommen ein Gesicht zu geben.

Steinmeier lud nach dem Ampel-Aus die, wie er sagte, „Beteiligten“ in seinen Berliner Amtssitz. Gemeint waren die Fraktionsvorsitzenden von CDU/CSU, SPD und den Grünen. Ein Foto aus Schloss Bellevue zeigt fünf Menschen am Tisch vor Wassergläsern. Es ist ein trostloses Dokument jener Klüngel-Demokratie, die für wachsenden Verdruss sorgt und die Republik einem Stresstest aussetzt. Der Bundespräsident adelt ein informelles Bündnis von Regierung und stärkster Oppositionskraft, um den Fahrplan zu Neuwahlen zu besprechen.

Bundespräsident Steinmeier empfängt auf Schloss Bellevue die Fraktionsvorsitzenden von SPD, CDU und Bündnis90/Die Grünen.

Die Republik aber ist die Sache, die alle angeht, nicht nur die Politelite. Die Beteiligten an einem Parlament sind alle Abgeordneten. Und die Beteiligten an einer Demokratie wiederum bilden die wahlfähigen Angehörigen des jeweiligen Volkes, hier also des deutschen. Je mehr sich Politik als das Resultat von Absprachen und Stillhalteabkommen und Brandmauern versteht, desto rascher schwindet der demokratische Geist. Aus dem Prinzip der Volksherrschaft droht ein Machtmonopol der Parteien werden.

So hebeln Demokraten und solche, die sich dafür halten, die Demokratie aus. Man rettet die Demokratie aber nicht, wenn man sie außer Kraft setzt – und schon gar nicht, wenn fadenscheinige Gründe herhalten müssen. Merz gab im Bundestag zu Protokoll, „zufällige oder tatsächlich herbeigeführte Mehrheiten mit denen da von der AfD“ müssten um jeden Preis verhindert werden. Das Parlament soll sich beschneiden, damit Volkes Wille nicht in die falsche Richtung ausschlägt.

Wer so gering von der Demokratie denkt, der hat sie nicht begriffen.

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