
Stoppt das Bundesverfassungsgericht die Sondersitzung des Bundestags am Donnerstag? In Karlsruhe sind bislang sechs Klagen eingegangen, mit denen die Sondersitzungen des „alten“ Bundestags am Donnerstag und am nächsten Dienstag verhindert werden sollen. Das teilte das Bundesverfassungsgericht am Dienstag auf Anfrage von NIUS mit.
Damit geht es um vier Organstreitverfahren, die mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verbunden sind. Bundestagspräsidentin Bärbel Bas soll nach dem Wunsch der Anträge die Sondersitzungen am 13. und 18. März absagen. Eine Klage wurde eingereicht von der AfD-Fraktion und den AfD-Abgeordneten Stephan Brandner sowie Anna Leonore Labitzke Rather.
Dazu kommt ein eigener Antrag von fünf Abgeordneten der AfD-Fraktion (drei Abgeordnete des 20. und 21. Deutschen Bundestags, zwei Abgeordnete des 21. Deutschen Bundestags). Gleichzeitig ziehen zwei Abgeordnete der Linkspartei (Jan van Aken und Ines Schwerdtner) sowie die „Vor-Fraktion Die Linke im 21. Deutschen Bundestag“ vor das Gericht in Karlsruhe. Die fraktionslose Abgeordnete Joana Cotar hat ebenfalls eine Klage beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. Dazu kommen zwei Verfassungsbeschwerden von Einzelpersonen, jeweils mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Auch die Linkspartei reichte Klage ein.
Die nächsten Stunden dürften für die Richter in Karlsruhe äußerst arbeitsintensiv werden. Denn schon am Donnerstag soll der Bundestag zusammenkommen. Eine Entscheidung müsste also spätestens am Mittwoch erfolgen. Selbst wenn die Grünen also den Vorschlägen von Union und SPD noch zustimmen, könnte das Gericht in Karlsruhe die Aufnahme des Mega-Schuldenpakets frühzeitig verhindern.
Nach Beratungen im Ältestenrat am 6. März hatte Bundestagspräsidentin Bärbel Bas zwei Sondersitzungen einberufen. „Aufgrund eines Verlangens der Fraktionen der SPD und der CDU/CSU berufe ich gemäß Artikel 39 Absatz 3 Satz 3 des Grundgesetzes in Verbindung mit § 21 Absatz 2 der Geschäftsordnung den Deutschen Bundestag ein“, hieß es in der Einladung an die Abgeordneten.
Union und SPD wollen eine gelockerte Schuldenbremse und ein 500 Milliarden schweres Sondervermögen für die Instandsetzung der Infrastruktur in Sondersitzungen durch den Bundestag peitschen.
Grund für die plötzliche Eile sind die geänderten Mehrheitsverhältnisse im Plenum. Für die Grundgesetzänderung bräuchte es eine Zweidrittelmehrheit. Mit den Stimmen von Union, SPD und Grünen gäbe es diese nur im alten, nicht aber im neuen Bundestag, da AfD und Linkspartei dort zu stark vertreten sind. Doch die Zustimmung der Grünen scheint derzeit ohnehin vom Tisch.
Die 1. Lesung zur Grundgesetzänderung soll am Donnerstag (13. März) um 12 Uhr stattfinden. Die 2. und 3. Lesung würde dann am Dienstag (18. März) ab 10 Uhr folgen. Gesetzt den Fall die Beschlüsse gehen durch den Bundestag, würden sie anschließend dem Bundesrat vorgelegt werden. Der tagt voraussichtlich am 21. März. Damit die Grundgesetzänderungen in Kraft treten, ist sowohl im Bundestag als auch im Bundesrat eine Zweidrittelmehrheit erforderlich. Bereits jetzt gibt es jedoch aus Bremen, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg gehörigen Gegenwind. Die an den Landesregierungen beteiligten Grünen drohen, dem Paket nicht zuzustimmen. Die konstituierende Sitzung des neuen Bundestags ist momentan erst auf den 25. März (11 Uhr) datiert.
Bärbel Bas hatte am Montag im ARD-Morgenmagazin klargestellt, dass sie die Sitzungen am 13. und 18. März nicht absagen wolle. „Der aktuelle Bundestag ist voll handlungsfähig“, betonte Bas. Sie stellte zugleich klar, dass sie rechtlich keine andere Möglichkeit habe, als den alten Bundestag einzuberufen. Dazu sei sie verpflichtet, wenn ein Drittel der Abgeordneten dies beantrage. Dies sei aufgrund des von Union und SPD dazu gestellten Antrages der Fall.
Genau diesen Punkt bezweifelt die AfD-Fraktion in ihrer Klage.
Die Einberufung durch die beiden Fraktionen verstoße gegen Art. 39 Abs. 3 S. 3 des Grundgesetzes. Laut dem Artikel kann die Einberufung des Bundestags erfolgen, wenn ein Drittel der Mitglieder dies verlangt. Ein Recht zur Einberufung durch Fraktionen kenne Art. 39 Abs. 3 GG (anders als etwa § 6 Abs. 1 GO-BT) jedoch nicht, argumentiert die AfD. Es brauche stattdessen „246 konkrete, handschriftlich unterzeichnete Verlangen namentlich benannter Abgeordneter“.
Zudem bemängelt der Antrag der AfD-Fraktion eine „Nichtigkeit der Einberufung“, die „Verletzung der Rechte der Abgeordneten und des (alten) Bundestags, vor allem des Rechts zur Parlamentsautonomie und des Selbstorganisations- und Selbstversammlungsrechts“, die „Verletzung der Rechte der neuen Abgeordneten durch pflichtwidrige und demokratiefeindliche Einberufung von Sitzungen des alten Bundestags“ sowie die „Unterlassung der Einberufung des neuen Bundestags trotz Konstituierung aller neuen Fraktionen“.
Die Abgeordneten der Linkspartei machen eine Verletzung ihrer Mitwirkungsrechte geltend. Ihr Antrag zielt darauf ab, dass der alte Bundestag nicht mehr einberufen werden darf, nachdem an diesem Freitag voraussichtlich das amtliche Endergebnis der Bundestagswahl festgestellt wird. In der ARD hatte Linken-Chef Jan van Aken gespottet: „Vor zwei Wochen waren 50 Millionen Menschen wählen. Dann passt ihnen das Ergebnis nicht. Nee, der Bundestag gefällt uns nicht, wir nehmen nochmal den alten, um gerade nochmal riesige Milliarden-Pakete durchzubringen. Das kann doch nicht wahr sein.“
Der Zeitplan für die „Beratung eines Gesetzentwurfs zur Änderung des Grundgesetzes“ würde ihre Rechte als Abgeordnete verletzen, argumentiert unterdessen die fraktionslose Abgeordnete Joana Cotar. Deshalb will sie dem Deutschen Bundestag „im Wege der einstweiligen Anordnung aufgeben, keine Sitzung des 20. Deutschen Bundestages zu laden und zu eröffnen“. Durch die „sachlich nicht gebotene übergroße Eile im Verfahren“ sei ihr als fraktionslose Abgeordnete „eine sorgfältige Abwägung und Prüfung der immensen volkswirtschaftlichen Konsequenzen des Gesetzentwurfs“ nicht möglich. Es brauche keine Sondersitzung, denn auch der neue Bundestag könne über die Änderungen des Grundgesetzes beraten.
Joana Cotar sieht keine Eilbedürftigkeit.
Die Einberufung einer solchen Sondersitzung des „alten“ Bundestags hat es schon einmal gegeben, und zwar 1998. Am 16. Oktober 1998 kam der 13. Deutsche Bundestag nach der Abwahl von Helmut Kohl (CDU) im Bonner Wasserwerk zu einer Sondersitzung zusammen, um über den Einsatz der Bundeswehr im Kosovo zu entscheiden. Hierbei handelte es sich eindeutig um eine Entscheidung, die aufgrund eines Krieges eilig getroffen werden musste. Geklagt hatte niemand gegen die Einberufung der Sondersitzung, denn die Fraktionen waren sich weitgehend einig.
Im jetzigen Fall sieht es anders aus: In den nächsten Stunden dürfte eine Entscheidung aus Karlsruhe fallen.
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