
Die Union steht derzeit vor der Zerreißprobe. Grund dafür: die anstehende Wahl von Frauke Brosius-Gersdorf zur Bundesverfassungsrichterin. Stimmt die CDU/CSU am Freitag gemeinsam mit der Linkspartei für die Kandidatin der SPD oder gemeinsam mit der AfD gegen die Juristin?
Derzeit rumort es in der Partei. Nicht nur der konservative Flügel der Partei steht Kopf. Selbst in liberalen Kreisen mehrt sich die Verzweiflung über die anstehende Wahl, die am Freitag im Bundestag stattfinden soll. CDU/CSU, SPD und Grüne kommen zusammen auf 413 Stimmen, mit der Linkspartei sind es 477 Stimmen. Für eine Zweidrittelmehrheit braucht es 420 Stimmen. Ein „Ja“ wäre also nur mit der Linkspartei möglich. Eigentlich hat die CDU per Parteitagsbeschluss grundsätzlich „Koalitionen und ähnliche Formen der Zusammenarbeit sowohl mit der Linkspartei als auch mit der Alternative für Deutschland“ ausgeschlossen.
Das bedeutet: Wenn sich 58 Abweichler der Union dazu entscheiden, gegen Brosius-Gersdorf zu stimmen, ist die Wahl gescheitert. Die AfD wird Brosius-Gersdorf nicht wählen, dafür aber den CDU-Kandidaten Günter Spinner, der um 10:10 Uhr zur Wahl für den Ersten Senat steht. Ab 12 Uhr wird es dann spannend. Für den Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts werden Ann-Katrin Kaufhold und Frauke Brosius-Gersdorf vorgeschlagen. Die Abstimmungen finden geheim statt. Sollte die Wahl im Bundestag scheitern, könnte der Bundesrat mit der Besetzung der Richterposten betraut werden.
Ein Krisengespräch des geschäftsführenden Fraktionsvorstands ließ Merz am Mittwochabend ausfallen. Der Bundeskanzler weilt derzeit im Ausland. Die Aufräumarbeiten überlässt er Jens Spahn, seinem Fraktionschef. Laut Welt-Journalist Robin Alexander fallen in der Partei bereits Begriffe wie „Koalitionskrise“ und „Staatskrise“.
Eingefädelt hatte den Richter-Deal mit der SPD der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Union, Günter Krings. Er leitete den Wahlvorschlag als „unbedenklich“ an Jens Spahn weiter. Die ideologischen Hintergründe von Frauke Brosius-Gersdorf schienen niemandem in der Partei aufzufallen.
Die Union würde mit der Wahl eines ihrer zentralen Themen endgültig aufgeben: den Lebensschutz. Zeitlebens war die CDU stark von der katholischen Soziallehre und dem konservativen Protestantismus geprägt. Der Schutz des Lebens – einschließlich des ungeborenen – galt als nicht verhandelbares ethisches Prinzip.
Noch am Donnerstag erklärte Bundestagspräsidentin Julia Klöckner: „Jedes Leben ist schützenswert von Beginn bis Ende. Der sterbende Mensch, dem wir die Hand in der letzten Lebensphase reichen, wie auch das Ungeborene, das unsere Hand noch nicht greifen kann.“ Doch wie kann die CDU den Schutz ungeborenen Lebens garantieren, wenn Friedrich Merz sich hinter eine Richterin stellt, die ungeborenen Kindern die Menschenwürde abspricht?
Am Donnerstagmittag meldete sich dann nochmal Friedrich Merz aus Italien zu Wort: „Wir werden noch versuchen, zu einer gemeinsamen Lösung zu kommen.“ Doch wie soll die aussehen? Die gemeinsame Lösung von Union und SPD heißt bislang Frauke Brosius-Gersdorf.