
Die deutschen Theater spielen keine zehn Prozent ihrer Kosten ein. Der Film hängt an dem Tropf der staatlichen Förderung. Direkt durch staatliche Zuschüsse. Oder indirekt aus den 9 Milliarden Euro, die das Staatsfernsehen den Bürgern per Zwangsgebühren jährlich abpresst. Die deutsche Kultur ist schon staatlicher, als ihr gut tut. Produziert „Kunst“, die oft nicht mehr als zur Selbst-Bespiegelung der Produzierenden dient. Doch das ist CDU, CSU und SPD noch zu wenig. Sie wollen die Kultur als Staatsziel ins Grundgesetz schreiben.
SPD, Grüne und FDP hatten sich das bereits als Ziel in ihren Koalitionsvertrag geschrieben. Die Christdemokraten sprachen sich dagegen aus. Vor der Wahl. Doch mit der Schuldenbremse scheint die CDU gleich all ihre anderen bisherigen Positionen mit aufgegeben zu haben. Mit Monika Grütters ist es eine christdemokratische Abgeordnete, die in einem Interview mit Radio 3 für das Staatsziel Kultur wirbt.
Wofür das gut sein soll? Die Kultur sei aus „bestimmten Kreisen“ immer wieder Druck ausgesetzt, werde „ganz explizit“ bedroht. Ach sei sie „Anfechtungen“ in Form von Etat-Kürzungen ausgesetzt. Außerdem sei es schwer, ohne sie auszukommen. All das sei nicht mehr gegeben, wenn die Kultur als Staatsziel in der Verfassung stünde. So Grütters. Das ist zum einen ein schwülstiger Wulst aus toten Worten, die über die Unschärfe in den Gedanken hinwegtäuschen soll – und diese dabei so gnadenlos offenlegt.
Zum anderen stecken gefährliche Ideen hinter Grütters unscharfen Gedanken einer Christdemokratin. Wenn Grütters sagt, Etat-Kürzungen in der Kultur seien „Anfechtungen“, vor denen die Verfassung die Kulturschaffenden beschützen soll, dann zeigt sich: Das Gift der unbegrenzten Schuldenmacherei wirkt rasend schnell. Würden sich CDU und SPD mit ihrer Idee durchsetzen, könnte ein Regisseur künftig einen millionenteuren Trip nach Ibiza beanspruchen, um dort einen verwitternden Stein zu filmen als Symbol der Vergänglichkeit des Lebens. Wer ihm das nicht staatlich finanzieren wollte, wäre dann ein Verfassungsfeind.
Noch gefährlicher ist der Gedanke, die Kultur von „Druck“ befreien zu wollen. An späterer Stelle sagt Grütters im Interview, dass es ihr um die AfD gehe und deren Wunsch, keine Kultur staatlich zu finanzieren, die für Ideen der CDU und SPD werben. In der Konsequenz hieße das: Wer Kultur macht und sich an die Vorgaben der regierenden Parteien hält, wird mit unbegrenzt viel Steuergeld entlohnt. Wer oppositionelle Gedanken vertreten will, erhält indes keinen Cent. Alles vermeintlich im Sinne der Verfassungstreue. Die CDU will an dieser Stelle nichts anderes als eine Staatskunst, wie es sie in der DDR gegeben hat. Dort wurden Künstler wie der Regisseur Heiner Müller nach eigenen Angaben zu Millionären, solange sie Inhalte der SED teilten. Äußerten sie Opposition, dann drohten Berufsverbot, Haft oder Abschiebung.
Apropos SED. Noch ist der Wunsch, die Verfassung zu ändern, nur eine Verabredung der Arbeitsgruppe von CDU, CSU und SPD. Die Steuerungsgruppe um die Parteivorsitzenden Friedrich Merz, Markus Söder und Lars Klingbeil müsste sie zum Regierungsauftrag erheben. Aber selbst dann bräuchten die Koalitionäre im Bundestag die Stimmen der AfD. Die wird es nicht geben. Allerdings genügen auch die Stimmen der Linken. Die dürfte für einen staatlich gelenkten Kulturbetrieb offen sein. Die Erben Konrad Adenauers und der SED-Nachfolger würden dann mit Hilfe der SPD und der Grünen die Staatskultur ins Leben rufen. Selten zuvor hat eine Partei sich selbst derart hemmungslos und mit Spaß an der Freude aufgegeben wie die CDU.
Die Probleme mit der Unklarheit und die Angst vor dem politischen Missbrauch einer unscharfen Formulierung in der Verfassung teilen Verfassungsrechtler. Sie sprachen im September 2023 anlässlich einer Anhörung im Bundestag zum Thema. Im besten Fall hätte eine solche Änderung nur symbolischen Charakter, sagte Professor Steffen Augsberg von der Gießener Justus-Liebig-Universität. Schwierig sei, dass der Kulturbegriff juristisch äußerst unbestimmt sei. Daraus leitet sich immer die Gefahr ab, damit machen zu können, was den jeweils Mächtigen gerade recht ist. Und das ist im Falle der CDU, im Jahr 62 nach dem Rücktritt von Konrad Adenauer, die Staatskultur.