
In mehreren Wahlkreisen wird es am 23. Februar zwar einen Wahlkreissieger geben, aber dieser nicht im Parlament landen. Denn aufgrund der Wahlrechtsreform der Ampel verfallen Wahlkreissiege, wenn diese nicht mit der Zweitstimme der Partei gedeckt sind, also wenn der Partei zum Beispiel nach dem Zweitstimmenergebnis fünf Mandate zustehen, sie aber sechs Direktmandate gewinnt. In einem solchen Fall wird das prozentuale Ergebnis aller Gewinner der Partei unter die Lupe genommen. Der Gewinner mit dem schlechtesten prozentualen Sieg wird dann nicht in den Bundestag einziehen. Dies soll dazu dienen, den Bundestag zu verkleinern.
Während im Osten vor allem die AfD davon betroffen wäre, wäre es im Westen vor allem die Union. Für alle anderen Parteien würde es mangels Wahlkreisgewinnern zu keinen Verlierern unter den Wahlkreisgewinnern kommen.
Ein Blick auf die genauen Wahlkreise zeigt, wie die Wahlrechtsreform die Wahlkreise ad absurdum führt. In Schleswig-Holstein könnte es ein besonderes Drama im Wahlkreis Flensburg geben. Diesen gewann 2021 Robert Habeck. Dieses Jahr könnte Petra Nicolaisen den Wahlkreis wieder für die CDU zurückgewinnen. Es wäre ein starker Sieg gegen einen der bekanntesten Politiker des Landes. Doch ihr Einzug ist fraglich.
Von den 11 Wahlkreisen werden die Grünen voraussichtlich einen gewinnen, und zwar Kiel. Die anderen Wahlkreise gehen an die CDU. Von diesen würden laut INSA drei verfallen, unter anderem der Wahlkreis, den Nicolaisen gewinnt. Zwar hat der Wahlkreis zukünftig noch Vertreter im Deutschen Bundestag, da der Einzug von Habeck, den die Grünen auf Listenplatz 2 gewählt haben, als sicher gilt und auch der Südschleswigsche Wählerverband (SSW), der aufgrund seiner Minderheitenrechte sehr sicher einzieht, ebenfalls einen Abgeordneten aus dem Wahlkreis stellen wird, doch zeigt dies die Absurdität, dass ein Wahlkreis ausgerechnet von einem Wahlkreisverlierer im Bundestag vertreten werden würde.
In Ostdeutschland ist aktuell die AfD in nahezu allen Wahlkreisen Favorit. Schon 2021 konnte die Partei im Osten der Republik 16 Mandate direkt gewinnen. Davon allein in Sachsen 10 der 16 möglichen Direktmandate des Freistaats. Parteiintern rechnet man mit mindestens einem verfallenden Direktmandat pro Bundesland, in größeren könnten es sogar mehr sein.
In Mecklenburg-Vorpommern trifft das neue Wahlrecht den wohl bekanntesten AfD-Politiker des Bundeslandes: Dort muss Landeschef Leif-Erik Holm um den Einzug in den Bundestag zittern. Holm tritt zum ersten Mal in seinem Heimatwahlkreis, dem Wahlkreis Schwerin – Ludwigslust-Parchim I – Nordwestmecklenburg I, an, nachdem er zuvor zweimal im Wahlkreis von Angela Merkel antrat. Sein jetziger Wahlkreis war nach dem Bundestagswahlkreis Rostock der zweitschlechteste für die Partei im nördlichsten ostdeutschen Bundesland bei der letzten Bundestagswahl. Der AfD müssten nach dem Zweitstimmenergebnis also fünf Mandate zustehen, damit Holm sicher in den Bundestag kommt; aktuell werden der Partei in dem Bundesland vier Mandate erwartet.
Denn noch etwas wird die Arithmetik bei der Bundestagswahl verändern. Die Zahl der Sitze ist auf 630 begrenzt, was zwar 32 Sitze mehr sind, als die Sollgröße 2021 vorgab. Die Verteilung nach den Bundesländern erfolgt aber noch nach einem weiteren Faktor, der Wahlbeteiligung. Diese schwankte 2021 zwischen 67,9 Prozent in Sachsen-Anhalt und 79,9 Prozent in Bayern. Aus diesem Grund bekam Bayern allein aufgrund der höheren Anzahl an Wählern Ausgleichsmandate zugesprochen. Auch bei dieser Wahl wird es in Bayern eine hohe Wahlbeteiligung geben. Dies könnte den voraussichtlichen CSU-Wahlkreisgewinnern im umkämpften München helfen, ihr Mandat zu behalten, auch wenn die CSU nicht die Hälfte der Zweitstimmen bekommt.
Die Union hat in ihrem Wahlprogramm bereits angekündigt, das Wahlrecht wieder zu ändern. Um dennoch eine Verkleinerung des Bundestags zu bewirken, will die Union die Anzahl der Wahlkreise reduzieren. Im Raum steht eine Reduktion um 29 Wahlkreise auf 270. Womöglich wird der Druck auf eine solche Reform voraussichtlich steigen, wenn die Auswirkungen des Ampel-Wahlrechts bei der anstehenden Bundestagswahl sichtbar werden.