Das AfD-Gutachten – Aufschlag der Social-Media-Praktikanten

vor 29 Tagen

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Bildquelle: Apollo News

Seit Nancy Faeser als letzten Amtsakt Anfang Mai die Bundesverfassungsschutz-Einstufung der AfD als „gesichert rechtsextrem“ vorstellte, haben die olympischen Spiele der Doppelstandards begonnen. Zunächst gaben sich sämtliche Journalisten mit den wenigen Informationen zufrieden, die ihnen die Behörden zuwarfen. Das Gutachten selbst ist ja bekanntlich als geheim eingestuft. Der Konjunktiv kam dabei eher sporadisch zum Einsatz, warum sollte man auch am Staat zweifeln.

Eine Woche später vermeldete der Spiegel, er habe das Gutachten zu lesen bekommen. Nicht nur das: Während die imposante Länge des 1.108 Seiten starken Gutachtens immer wieder – quasi als für sich genommen schon belastendes Indiz gegen die AfD – betont wurde, hat der Spiegel es in unter einer Woche „ausgewertet“. Natürlich ist es reiner Zufall, dass ausgerechnet der Spiegel das Gutachten gleich zuallererst hatte.

Warum diese Monopolstellung des Spiegel problematisch ist, hat er auch direkt selbst bewiesen. So kann man nun, da der Cicero das Gutachten vollständig veröffentlicht hat, nachvollziehen, dass er etwa Alice Weidel verkürzt und dadurch sinnentfremdend aus dem Gutachten zitiert hat (Apollo News berichtete).

Der Leak des Gutachtens an den Cicero hat für mehr Kritik gesorgt als etwa an den Spiegel. Denn der Cicero hatte den Leak des Gutachtens selbst in einem Kommentar zuvor als strafbare Handlung kritisiert – was es faktisch auch ist – weshalb ihm Leute, die sich für ganz besonders schlau halten, dafür einen Doppelstandard vorwerfen. Dazu gehört etwa der Volksverpetzer, der das mit „Kannst du dir nicht ausdenken lol“ kommentierte. Wie ironisch.

Geheimnisverrat kann nicht durch jeden begangen werden, es ist ein sogenanntes „echtes Sonderdelikt“. Wenn etwa ein Mitarbeiter des Verfassungsschutzes das Gutachten durchsticht, macht er sich strafbar. Pressevertreter sind dagegen natürlich explizit ausgeschlossen. Dass man also einerseits kritisiert, dass das Gutachten – mutmaßlich aus politischer Motivation – strafbarerweise an ein Medium durchgestochen wurde und darüber nur einseitig berichtet wird und man es andererseits in voller Länge und unbearbeitet veröffentlicht, sobald man es selbst erhält, ist kein Widerspruch, sondern konsequent.

Und ich möchte dem Volksverpetzer gerne noch ein bisschen Allgemeinbildung in Rechtsgeschichte mitgeben. Der Grund für diese explizite Ausnahme im Strafrecht geht nämlich auf das sogenannte „Cicero-Urteil“ zurück. 2005 hatte der Cicero in seinem Artikel „Der gefährlichste Mann der Welt“ über den Terroristen Abu Musab az-Zarqawi aus einem streng geheimen Bericht des Bundeskriminalamtes zitiert. Die Breite der Zitate ließ darauf schließen, dass dem Autoren das Gutachten vorgelegen haben muss.

In Folge dessen leitete die Staatsanwaltschaft Potsdam ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Geheimnisverrats gegen den Autor und den Chefredakteur des Cicero sowie den unbekannten Informanten ein. Im Zuge dessen wurden die Redaktionsräume des Cicero durchsucht und eine Festplatte beschlagnahmt. Der Cicero musste sich gegen dieses Vorgehen durch sämtliche Instanzen bis hoch zum Bundesverfassungsgericht kämpfen, das mit dem Cicero-Urteil eine der wichtigen Entscheidungen zur Stärkung der Pressefreiheit gefällt hat.

So wird es uns in der Uni immer vorgebetet, so kann man es in der Literatur überall lesen, so würden es auch sämtliche Kritiker der Veröffentlichung des AfD-Gutachtens auf Nachfrage nachbeten – das ist der wahre Doppelstandard. Bei jedem anderen Gutachten hätte auch der Volksverpetzer gerne gewusst, was genau drinsteht. Mit fremden und dann noch verfälschten und verzerrten Zitaten als einzige Quelle dürften Faktenchecks schwer werden, die man beim Volksverpetzer doch so gewissenhaft macht.

Aber weil AfD draufsteht, gelten die Standards und Moralvorstellungen, die an alles andere gestellt werden, nicht mehr. Da ist alles, was ihr schadet, gut und alles, was ihr helfen kann – oder überhaupt nur nicht schadet – schlecht. Das gleiche Mindset hatten auch die Autoren des Gutachtens selbst. Wenn man es liest, stellt man fest, dass „Gutachten“ doch äußerst hochgegriffen ist.

Das, was der Verfassungsschutz da fabriziert hat, ist mit der Einstellung geschrieben „Ich mag die nicht, also ist alles, was sie sagen, irgendwie verfassungswidrig, ich finde da schon was“. Und in vielen Fällen haben sie das getan: Sie haben schon etwas Verfassungswidriges gefunden, nur eben nicht im Wortlaut. Ich frage mich wirklich, wer dieses Gutachten geschrieben hat. Was für Menschen wurden an den Job gesetzt? Die Besten? Oder einfach nur die Social-Media-Praktikanten?

Denn von einem super, super top geheimen Gutachten, das unbedingt geheim bleiben muss, weil sonst die total geheimen Arbeitsweisen des geheimen Geheimdienstes auffliegen, hätte ich doch irgendwie mehr erwartet als ein Sammelsurium an Tweets und sonstigen öffentlichen Aussagen. Ich dachte, wir kriegen da Protokolle von Krahs Telefonaten nach China oder Screenshots von Bystrons Duolingo-Russisch-Lern-Score.

Und dann dieser Schreibstil. Das ist das, was mich wirklich am fassungslosesten zurückgelassen hat. Wir machen im Studium nie so etwas Spannendes wie Geheimdienst-Zeugs. Aber wenn ich daran denke, wie sehr man sich im Polizeirecht schon mit der einfachen Taschenkontrolle und Konfiszierung einer Bierflasche vor einem Fußballspiel mit seitenlangen Gutachten quälen muss, mit Inzident-Inzident-Prüfung hier, hypothetischem Verwaltungsakt da und ich dann sehe, wie die Profis so wichtige Gutachten in der Praxis schreiben, dann frage ich mich doch, ob ich mir die Schreibkrämpfe nicht auch hätte sparen können.

1.108 Seiten klingen erstmal viel, aber bei der Masse an Äußerungen, die sie da alle einzeln analysiert haben, ist es eigentlich zu wenig. Und das merkt man in der Argumentation, die, sagen wir, viele Wünsche offen lässt. Besonders amüsant: Das Kapitel zum Demokratieprinzip. Da merkt man besonders, wie sehr sich die Autoren des Gutachtens verrannt haben. Demokratiefeindlich dürfte wohl als „gegen die Demokratie“ zu interpretieren sein. Also etwa die Forderung nach einer Diktatur oder einer Monarchie.

Was der Verfassungsschutz dann aber auflistet, sind Aussagen, die kritisieren, dass Deutschland nicht oder nicht ausreichend demokratisch ist. So werden Sätze wie „Wie 1933, da ging man auch gegen die Opposition vor“ (Seite 583) als demokratiefeindlich aufgelistet, unter dem Unterkapitel „Gleichsetzung mit dem Nationalsozialismus“. Der Verfassungsschutz zeigt mit dieser Überschrift schon, dass er seine Schwächen in seiner Argumentation selbst erkannt hat. Die Überschrift wird das nicht retten können.

Vergleich und Gleichsetzung – nicht das Gleiche. Ganz einfaches Beispiel: Wenn ich sage „Das ist eine Diktatur“ oder „Das ist wie eine Diktatur“, ist das ein inhaltlicher Unterschied. Gegen die Verfassung richtet sich diese Bemerkung nicht, sie stellt das Demokratieprinzip nicht infrage, sie kritisiert vielmehr ein Verhalten, das sie für verfassungsfeindlich hält.

Das ist ein Zirkelschluss. Darf man in einer Demokratie demokratiefeindliches Verhalten kritisieren oder stellt das nicht in Frage, dass die Demokratie nicht so vollkommen ist, dass demokratiefeindliche Bestrebungen unmöglich sind, man also an der Vollkommenheit der Demokratie zweifelt? Ist dann nicht der Verfassungsschutz verfassungsfeindlich, weil er impliziert, dass die Verfassung sich nicht selbst schützen kann?

Ist dann nach Artikel 1 Grundgesetz eine Verletzung der Menschenwürde nicht auch unmöglich, weil es ja heißt, dass die Menschenwürde unantastbar ist? Wir drehen uns im Kreis. Ein spannendes Experiment wäre mal, einen AfD-Politiker das Churchill-Zitat „Demokratie ist die schlechteste Staatsform – mit Ausnahme aller anderen“ ohne Zuordnung auf Facebook posten zu lassen. Ich bin mir sicher, beim Verfassungsschutz würde man da tatsächlich ganze drei Sätze zu schreiben, was eine überdurchschnittliche inhaltliche Auseinandersetzung sein dürfte.

Das Gutachten lässt weniger über das Verfassungsverständnis der AfD tief blicken – schon alleine weil jeder, der es wollte, sich diese Zitate bei oberflächlicher Recherche selbst zusammensammeln hätten können. Sehr tief aber über das Verfassungsverständnis seiner Autoren.

Mir gibt es aber Hoffnung. Ständig heißt es, dass es Juristenmangel gibt, dass selbst die Großkanzleien inzwischen fast alles nehmen und es kaum möglich ist, durch das Staatsexamen zu fallen. Der chronische Stress, der mit dem Jurastudium einhergeht, von dem doch alle sagen, dass es das schwerste Studium von allen ist und niemand jemals glaubt, genug gelernt zu haben, wenn er morgens um 3 Uhr nicht übermüdet ins Bett fällt, macht es den meisten unmöglich, das zu glauben. Jetzt, wo ich dieses Gutachten gelesen habe, das für vermeintliche Top-Juristen einer vermeintlichen Top-Behörde wohl das wichtigste Gutachten ihrer Karriere ist, kann ich es langsam glauben.

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