Das Verfassungsgericht wird nicht geschützt, es wird geschleift

vor 4 Monaten

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„So soll das Verfassungsgericht geschützt werden“, erklärt uns der „Spiegel“. Die Erklärung, die das Hamburger Relotius-Märchenmagazin dann liefert, ist auch tatsächlich korrekt und sogar für juristische Laien ganz gut verständlich.

Aber die Schlussfolgerung ist, wie üblich, völlig falsch.

Praktisch alle deutschen Medien haben die Begründung einer ganz großen Koalition aus CDU/CSU, SPD, Grünen, FDP und sogar der „Linken“ widerspruchslos übernommen, ohne sich auch nur einmal Gedanken über den tieferen Grund für diese Änderungen zu machen:

Doch die Änderungen werden das höchste deutsche Gericht mitnichten schützen, sondern schleifen.

Das ist klar zu sehen, wenn man sich die Änderungen anschaut, die die oben genannten Parteien in seltener Einmütigkeit jetzt kurz vor den Wahlen noch in aller Eile verabschiedet haben.

Einschränkung: Man muss es natürlich auch sehen wollen.

Die Hälfte der Verfassungsrichter wird vom Bundestag gewählt, die andere vom Bundesrat. Jeder Richter braucht dort, wo er gewählt wird, eine Zweidrittelmehrheit.

„Populisten“, so heißt es jetzt, könnten die Richterwahl blockieren, wenn sie mehr als ein Drittel der Abgeordneten im Bundestag haben. Das stimmt zwar – aber es gilt für jede Partei, die mehr als ein Drittel der Abgeordneten stellt. Bisher war das nie ein Problem, weil sich alle Parteien immer einvernehmlich auf die Richter-Kandidaten verständigt haben.

Dass daraus jetzt ein Problem gemacht wird, zeigt die eigentliche Absicht: CDU/CSU, SPD, Grüne, FDP und die „Linke“ haben bisher die Verfassungsrichter untereinander ausgewürfelt. Jetzt könnte die AfD so groß werden, dass man sie für diese Absprachen mit ins Boot holen müsste.

Das will man nicht. Man will keine Macht abgeben, keinen Einfluss und keine Posten.

Deshalb haben die anderen Parteien jetzt einen Mechanismus erfunden, wie man die Mitsprache der AfD bei der Wahl von Verfassungsrichtern verhindern kann: Falls die Blauen im Bundestag die Wahl eines bestimmten Richters länger als drei Monate blockieren (zum Beispiel, weil die anderen Parteien sich weigern, einen von der AfD vorgeschlagenen Richter zu berufen), dann wandert das Wahlrecht für diesen Richter einfach in den Bundesrat. In der Länderkammer wird die AfD auch in absehbarer Zeit nicht mehr als ein Drittel der Stimmen haben.

Problem gelöst.

Bisher besteht das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) aus zwei sogenannten Senaten mit jeweils acht Richtern. So steht es im „Gesetz über das Bundesverfassungsgericht“ (BVerfGG).

Dieses Gesetz kann der Bundestag mit absoluter Mehrheit ändern. Eine neue Mehrheit im Bundestag könnte also zum Beispiel einen neuen, dritten Senat mit noch einmal acht Richtern einrichten.

Das stimmt zwar – aber das war bisher auch so. Jede neue Mehrheit im Bundestag hätte das BVerfG verändern können. Keine hat es je getan. Sonst hätte es solche Änderungen wohl schon aus Vergeltung nach jedem Regierungswechsel gegeben. Bisher war das aber nie ein Problem.

Dass daraus jetzt ein Problem gemacht wird, zeigt wieder die eigentliche Absicht: CDU/CSU, SPD, Grüne, FDP und die „Linke“ wollen sicherstellen, dass gegen ihren Willen auch neue Mehrheiten im Bundestag das BVerfG auf keinen Fall verändern können.

Problem gelöst.

In bestimmten Verfahren haben die Entscheidungen des BVerfG selbst direkt Gesetzeskraft. Ein Urteil über ein bestimmtes Gesetz hat dann selbst dieselbe Wirkung wie ein eigenes Gesetz.

Dieses Prinzip wird nun ins Grundgesetz geschrieben. Das sieht auf den ersten Blick harmlos aus – ist es aber ganz und gar nicht.

Denn das sogenannte „Richterrecht“ ist in der juristischen Fachwelt durchaus umstritten. Das Prinzip der Gewaltenteilung besagt aus gutem Grund: Richter sollen Recht sprechen und keine Gesetze machen. Richter – vor allem Verfassungsrichter – sind nicht vom Volk gewählt und niemandem gegenüber verantwortlich. Das ist das genaue Gegenteil von dem, was ein Volksvertreter sein soll, der Gesetze macht.

An diesem Punkt wird das BVerfG tatsächlich gestärkt – aber zu Lasten des demokratisch gewählten Parlaments. Es ist eine höchst bedenkliche Ausweitung der Macht für eine kleine Klasse von Juristen.

CDU/CSU, SPD, Grüne, FDP und die „Linke“ versuchen, den Einfluss der Wähler (und bestimmter gewählter Volksvertreter) auf die bisher von diesen Parteien einträchtig dominierten Institutionen so weit wie möglich zurückzudrängen.

Das folgt der Idee, dass die Bürger zu selbstständigem Denken und zu eigenständigen politischen Entscheidungen im Prinzip gar nicht in der Lage sind.

Entsprechend werden mit bewusst schwammigen Kampfbegriffen wie „Hass und Hetze“ flächendeckend grundgesetzlich geschützte Meinungsäußerungen unterdrückt. Im Klartext: Man hält die Bürger für so blöde, dass man offene Debatten und politischen Streit nicht mehr als elementare Grundlage der Demokratie, sondern als Gefahr ansieht.

Weil man den Bürgern nicht traut, relativiert man auch die Achtung vor ihrer Wahlentscheidung. Wählen sie aus Sicht von CDU/CSU, SPD, Grünen, FDP und „Linken“ sozusagen die „Falschen“, dann wird versucht, diese gewählten Repräsentanten zu neutralisieren. Man drängt sie aus politischen Entscheidungsprozessen heraus, und man schirmt die Institutionen der Republik möglichst großflächig vor ihnen ab.

Der geschätzte Kollege Alexander Horn hat das absolut zutreffend so beschrieben: „Man revidiert die Ergebnisse demokratischer Wahlen.“

Was CDU/CSU, SPD, Grüne, FDP und die „Linke“ gerade veranstalten, um angeblich Gefahren für die Demokratie abzuwehren, ist selbst zur größten Gefahr für die Demokratie geworden.

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