Wird Lenins mörderische Frage „Wer wen“ zur Geschäftsgrundlage der „wehrhaften Demokratie“?

vor etwa 3 Stunden

Blog Image
Bildquelle: Tichys Einblick

Laut INSA bekäme die AfD – würde heute gewählt werden – 25 Prozent der Stimmen und die CDU/CSU unverändert 27 Prozent. Die SPD hängt bei 15 Prozent, die Grünen bei 11 Prozent, die Linke (SED) bei 10 Prozent, BSW bei 4 Prozent und FDP bei 3 Prozent der Stimmen der Wähler. Aber eigentlich kann man, wenn man über die FDP schreibt, inzwischen auch über die Tierschutzpartei schreiben. Die untote FDP erinnert als Widergängerin der Vergangenheit nur daran, dass es in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland einmal den Versuch einer liberalen Partei gegeben hat.

Eigentlich ist das Prinzip der Demokratie sehr einfach, dennoch verstehen große Teile des politischen, wirtschaftlichen, medialen und kulturellen Establishments dieses Prinzip nicht. Weil an die Stelle des demokratischen Prinzips Selbstgefälligkeit, Überheblichkeit, die Angst vor dem Machtverlust und das Ersetzen der Analyse durch Illusionen, des Denkens durch das Fühlen getreten ist. An den Türen der Eliten hängt das Schild: „Wage niemand zu stören, wir träumen gerade so schön.“

Das Prinzip Demokratie bedeutet jedoch, dass laut Grundgesetz Artikel 20, Absatz 2 „alle Staatsgewalt … vom Volke“ ausgeht. Dieses Grundgesetz hat sich „das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt … gegeben“. Es ist also nicht gnädig von den mit den Linken und Grünen vereinigungssüchtigen Genossen der SPD, nicht von der Blockflöte spielenden Union dem dumpfen Volk bewilligt worden, nein – leider muss man es wieder klar und deutlich schreiben –, weil es den Eliten als modus operandi ihrer Dysfunktionalität nicht mehr erinnerlich ist: Das Deutsche Volk ist der Souverän des Grundgesetzes.

Das Grundgesetz, schreibt der Staatsrechtler Gersdorf, „stemmt sich damit gegen eine staatliche Beeinflussung oder gar Lenkung des grundrechtlich geschützten Kommunikationsprozesses durch den Staat“. Aber genau das unternimmt der Staat im Konzept der „wehrhaften Demokratie“ oder die EU im Digital Services Act, den „grundrechtlich geschützten Kommunikationsprozess“ zu beeinflussen und mehr noch zu lenken und zu zensieren. Gersdorf schreibt weiter: „Die Gefahr einer solchen Beeinflussung besteht, wenn der Staat gesellschaftliche Organisationen, deren satzungsmäßiger Zweck die Mitwirkung an der (politischen) Willensbildung des Volkes ist, finanziell fördert.“

Das Grundgesetz sagt im Artikel 21 ganz klar: „Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit.“ Da steht nicht, dass die Parteien sich in der „politische Willensbildung“ an die Stelle des Volkes setzen, dem sie ihren Willen aufzwingen, sondern da steht unmissverständlich, dass sie an der „politischen Willensbildung“ mitwirken. Denn, so Gersdorf weiter: „Auch kollidiert eine solche Förderung mit dem Grundrecht des Einzelnen auf gleichberechtigte Teilhabe an der politischen Willensbildung. Dieser Grundsatz gleicher Teilhabe gilt nicht nur bei Wahlen, sondern auch außerhalb von Wahlen … Das Prinzip gleichberechtigter Teilhabe an der politischen Willensbildung ist Kernelement der Demokratie.“

Die gern genutzte Möglichkeit der Willkür ist gegeben, weil die Finanzierung von parteinahen Stiftungen nicht gesetzlich geregelt ist und von der Bundesregierung entschieden werden darf. Wenn die Einheitsfront aus Linken, Grünen und SPD für ein Verbot der AfD Sturm läuft, dann will sie 10 Millionen Wähler entmündigen, dann ist „das Prinzip gleichberechtigter Teilhabe an der politischen Willensbildung“ nicht mehr gegeben. Es mag ein Restkalkül und eine Restvernunft in den Reihen der CDU und CSU vorliegen, wenn sie ein Verbot der AfD noch ablehnt, weil mit dem Verbot der AfD auch die Union als politische Kraft Geschichte wäre, denn dann ist die wehrhafte Demokratie zu dem geworden, was sie im Grunde auch ist, eine Diktatur durch den Ausschluss eines Viertels der Wähler.

Die Union stünde dann einer linken Mehrheit gegenüber, die nicht vom Wählerwillen, sondern durch einen judikativen Putsch durch das Verfassungsgericht unter Bruch des Grundgesetzes zustande gekommen wäre. Dass man diesen Bruch des Grundgesetzes juristisch durch Rechtsdogmatik und Rechtsmethodik rechtfertigen kann, ist klar, aber rechtsdogmatisch und rechtsmethodisch lässt sich auch jeder Rechtsbruch legalisieren. Im Übrigen würde eine politische Polizei, wie sie durch dubiose Materialsammlungen die AfD als „gesichert rechtsextremistisch“ einschätzen will, im umgekehrten Fall Linke und Grüne als „gesichert linksextremistisch“ und die SPD als in Teilen gesichert linksextremistisch einschätzen können.

In beiden Fällen ist von derartigen Unternehmungen einer politischen Polizei nichts zu halten, denn dort, wo man nicht mehr „rechts“ sein darf, befindet man sich in einer linken, und wo man nicht mehr links sein darf, in einer rechten Diktatur. Die Entscheidung liegt beim Wähler, nicht bei einer politischen Polizei. Ein Verfassungsschutz, der politische Polizei sein will, delegitimiert sich selbst. Wenn er diese kritische Einlassung als Versuch, den Verfassungsschutz zu delegitimieren zu werten versucht, begibt er sich auf die Ebene des Paragraphen 220 des StGB der DDR (§ 220. Staatsverleumdung. (1) Wer in der Öffentlichkeit 1. die staatliche Ordnung oder staatliche Organe, Einrichtungen oder gesellschaftliche Organisationen oder deren Tätigkeit oder Maßnahmen; 2. einen Bürger wegen seiner staatlichen oder gesellschaftlichen Tätigkeit, wegen seiner Zugehörigkeit zu einem staatlichen oder gesellschaftlichen Organ oder einer gesellschaftlichen Organisation verächtlich macht oder verleumdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Verurteilung auf Bewährung, Geldstrafe oder mit öffentlichem Tadel bestraft.).

Erinnern wir all jene, die ein Verbot der AfD durchsetzen wollen, an die Grundprinzipien der Demokratie. Die Parteien wirken insofern an der politischen Willensbildung des Volkes mit, indem sie gleichberechtigt im Wettstreit der Konzepte und der Richtungen der gesellschaftlichen Entwicklung um Mehrheiten bei den Wählern werben. Die Entscheidung darüber, welches Konzept realisiert werden soll, liegt beim Wähler, nicht bei den Parteien, auch wenn die Funktionäre mancher Parteien all jene, die sie nicht wählen, verachten und deren Stimmen entwerten wollen. Diese Konzepte, in vulgo zentrale Wahlversprechen, für deren Umsetzung die Parteien gewählt worden sind, zu brechen, ist kein Kavaliersdelikt, sondern stellt die Demokratie in Frage, die von Mehrheitsentscheidungen und von Verlässlichkeit lebt. Hinzu kommt, dass Parteien Wählerinteressen vertreten.

Werden Interessen von großen oder wichtigen Gruppen der Wähler nicht mehr vertreten, so suchen sich diese Wählergruppen neue Vertreter. Gerade dadurch realisiert sich der friedliche Aushandelsprozess in der Demokratie. Mit dem Verbot von Parteien, von Vertretern der Interessen immer größerer Wählergruppen werden die Interessen nicht aus der Welt geschafft, sie werden nur unterdrückt. Der für die Demokratie wesentliche Mechanismus des Aushandelns und Ausbalancierens von Interessen findet nicht mehr statt und wird sich à la longue andere Wege suchen.

Der Kampf der dysfunktionalen Eliten gegen „rechts“ ist in Wahrheit der Kampf gegen die Wirklichkeit. Die AfD ist in diesem Zusammenhang, um Carl Schmitt zu paraphrasieren, die eigene Frage der dysfunktionalen Eliten Deutschlands als Gestalt, mehr noch als Gestalt des Versagens angesichts der Dimension der historischen Prozesse. Das Versagen angesichts der Dimension der historischen Prozesse nennt man gemeinhin Dekadenz.

Deutschland befindet sich in einem unruhigen Zustand. Die Parteien laufen der Entwicklung hinterher, unfähig der Forderung des Tages zu entsprechen. Ihre Sprache wird martialischer. Je mehr sie an Wirklichkeit verlieren, müssen sie Wirklichkeit simulieren. Doch die Erkenntnis der Wirklichkeit ist kein intellektueller Akt, sondern ein Akt der Erfahrung oder genauer des Erfahrens. Was immer mehr Menschen auf der Alltagseben erfahren, ist der Zusammenbruch dessen, was für sie über Jahrzehnte hinweg Realität war. Schaut man sich Klingbeils Haushalt an, kann man an einem Beispiel den Wirklichkeitsverlust der dysfunktionalen Eliten praktisch studieren. Es drängt sich der Eindruck auf, dass Lars Klingbeil der erste Finanzminister der Bundesrepublik ist, der den Überblick über die Finanzen und über das finanziell Mögliche verloren hat.

Die Regierung spielt Hasard, während die letzte Chance der Linken, Grünen und SPD darin besteht, die Machtfrage mit allen Mitteln in ihrem Sinne zu entscheiden, wird ihr Handeln einzig von der Frage bestimmt: wer wen? Den Linken, wie den Grünen, wie der SPD geht es darum, wie man auf dem Blog der Rosa Luxemburg Stiftung nachlesen kann, den Katastrophenkapitalismus „aus den Angeln“ zu heben, „die ökologische und soziale Frage in einer radikalen Transformation“ zu „verbinden, wirtschaftliche Forderungen und langfristigen wirtschaftlichen Umbau“ zusammenzuführen …

Es geht nicht um die Demokratie, ob wehrhaft oder nicht, es geht gegen die Marktwirtschaft und gegen die Freiheit, es geht um die Macht, und das umso heftiger, je weiter eine linke Mehrheit auf demokratischem Weg, wie Umfragen, auch diese, zeigen, nicht zu erreichen ist.

Publisher Logo

Dieser Artikel ist von Tichys Einblick

Klicke den folgenden Button, um den Artikel auf der Website von Tichys Einblick zu lesen.

Weitere Artikel