
Die AfD steigt auf ein historisches Hoch. Ja, es ist nur eine Umfrage – und Umfragen sind keine Wahlergebnisse. Dennoch sendet die Erhebung des Meinungsforschungsinstituts Forsa Schockwellen in die Republik. Zumindest all jene, die sich hinter der AfD einreihen müssen, verstehen die Welt nicht mehr.
Die aktuelle Folge „Kissler Kompakt“ sehen Sie hier:
Mit einer Zustimmungsrate von 26 Prozent lassen die Rechten die Union zwei Prozentpunkte hinter sich. SPD und Grüne brauchen ein Fernglas, um die AfD ins Blickfeld zu bekommen. Die beiden linken Parteien erreichen nur gemeinsam den 26-Prozent-Wert der AfD.
Erstmals seit Merz Bundeskanzler ist, liegt die AfD zwei Prozentpunkte vor der CDU.
Das aber heißt: Die schwarz-rote Bundesregierung bewirtschaftet erfolgreich den Verdruss an ihrer eigenen Politik. Union und SPD haben sich zu Wählervertreibungsmaschinen entwickelt. Immer mehr Menschen sehen in Kanzler Merz einen Hallodri, dem man das Land nicht anvertrauen sollte.
Ein solches Umfrageergebnis wird nicht ohne Folgen bleiben. Die Fliehkräfte innerhalb der Regierungsparteien werden zunehmen. Die Union wird ihren Namen noch weniger verdienen. CDU und CSU werden höchstens im Streit vereint sein – im Streit um die Ausrichtung, den ein einziger Mann entfesselt hat: Friedrich Merz. Der Streit wird durch die Schwesterparteien hindurch gehen, aber auch zwischen CDU und CSU an Schärfe gewinnen.
Friedrich Merz hat in der Unionsfraktion mit seinem Alleingang schwere Turbulenzen ausgelöst.
Aus Sicht der Christsozialen ist es der impulsgetriebene Schlingerkurs des Kanzlers, für den jetzt die gesamte Union die Zeche zahlt. Aus Sicht von Markus Söder ist es der Drang zur einsamen Entscheidung, der Friedrich Merz als politisches Leichtgewicht entlarvt – als sprichwörtliche „loose cannon ball“, als lose Kanone auf hoher See.
Die politischen Wellen schlagen auf das Regierungsschiff über. Merz aber kappt alle Taue und wirft den Kompass ins Meer. Erst räumt er den Lebensschutz ab, dann die unverbrüchliche Solidarität mit Israel. Merz hat die Leinen zur CDU gelöst. Merkel war fremd in der eigenen Partei – Merz hat sie innerlich verlassen. Er will von seinen linken Kritikern geliebt werden, nicht von seinen rechten Wählern.
Die AfD profitiert von Gegenteil-Merz am stärksten. Die Alternative für Deutschland muss Merz gar nicht stellen. Es genügt, die Widersprüche des Kanzlers anzuprangern und die Schadensbilanz der Regierung aufzuspießen. Fast zeitgleich zum AfD-Hoch erreichten die Firmenpleiten in Deutschland die höchste Zuwachsrate seit zehn Monaten. Der Anstieg beträgt fast 20 Prozent von Juni auf Juli.
Bisher hat Merz auch als vermeintlicher Wirtschaftsfachmann mit Zitronen gehandelt. Er bleibt ein Mann der starken Worte und der schwachen Taten. Die Zufriedenheit mit ihm sank auf desaströse 29 Prozent. Merz ist seit hundert Tagen im Amt, und die Deutschen haben eine Botschaft für ihn: Fritze, lass es.
Die SPD ist mit ihren 13 Prozent um drei Punkte abgesackt gegenüber ihrem katastrophalen Bundestagswahl-Ergebnis. Die Sozialdemokraten mögen der Union noch so viele Zugeständnisse abringen: Es zahlt nicht auf das Konto der Genossen ein.
Die desaströsen Umfragewerte der Sozialdemokraten führen bei Lars Klingbeil und Bärbel Bas nicht zu einer Umkehr ihrer bisherigen Politik.
Zu befürchten ist: Die SPD wird daraus die irrige Lehre ziehen, man müsse CDU und CSU noch mehr triezen. Ein Dauerstreit in der Koalition ist damit ebenso vorprogrammiert wie ein dauerhafter Abschwung für Deutschland. Schwarz-Rot könnte als Bündnis der Abwracker in die Geschichte eingehen.
Die AfD wird von der Eskalation der Unvernunft weiter profitieren – wie auch vom Gekeife der anderen Parteien. Die vereinigte demokratische Allianz sieht in der AfD ausschließlich eine Gefahr für die Demokratie, verwechselt aber den Zustand der Demokratie mit der eigenen Machterhaltung. Das Votum für die AfD ist vor diesem Hintergrund ein Griff zur demokratischen Notbremse. Die hohen Werte sind Hoffnungswerte: Über zwölf Millionen Menschen hoffen auf eine Politik, die mehr ist als die Schnittmenge verschiedener linker Interessen.
Die Union gedemütigt, die SPD marginalisiert, die Grünen gefangen in der Nische: Die Umfrage deutet auf einen tief sitzenden Verdruss mit den herrschenden Akteuren. Sie hält aber auch eine gute Nachricht für die vereinigte demokratische Allianz bereit: Gemeinsam mit der SPD und den Grünen könnte die Union das nächste linke Bündnis schmieden. Zusammen käme man auf 50 Prozent – und die zweitplatzierte Union stellte stabil den Kanzler.
Eine entkernte Union wird sich diese Chance nicht entgehen lassen. Bis irgendwann der Krug gebrochen, die Wählerschaft verschwunden und sämtlicher Kredit aufgezehrt ist.