
Die SPD, die Deutschland seit 1998 fast ununterbrochen regiert, verkündet, sie wolle 95 Prozent der Menschen im Land steuerlich entlasten und nur das oberste Prozent belasten. Sie kommt medial mit ihrer Märchengeschichte erstaunlich gut durch. Da frage ich mich schon, was der ein oder andere sogenannte Journalist eigentlich beruflich macht.
„Die SPD sagt heute nicht nur höherer Mindestlohn von 15 Euro, die SPD sagt auch, die Mehrheit der Menschen, die Einkommensteuer bezahlen in Deutschland, soll entlastet werden, das muss Ihnen eigentlich gefallen.“ So konfrontierte Caren Miosga in ihrer Talkshow Friedrich Merz. Der unvoreingenommene Zuschauer musste und sollte wohl auch den Eindruck bekommen, dass die SPD nicht nur für höhere Löhne kämpft, sondern auch für geringere Steuern sorgen will. Dass sie so eine Entlastungspartei ist – und dass selbst der in öffentlich-rechtlichen Redaktionsstuben als Raubtierkapitalist geltende Kanzlerkandidat der Union den Sozialdemokraten zustimmen müsse.
CDU-Spitzenkandidat Friedrich Merz bei Caren Miosga im Talk.
Den Vogel abgeschossen hat aber Genosse Georg Restle vom WDR. Sein Politmagazin „Monitor“ teilte auf Instagram fast schon himmelhoch jauchzend mit: „Die SPD besinnt sich in ihrem neuen Strategiepapier auf klassische SPD-Forderungen. Die Kanzlerpartei möchte die Wirtschaft ankurbeln und eine gerechtere Lohn- und Steuerpolitik.“
Ein hochinteressanter Beitrag. Das zwangsfinanzierte und theoretisch zur Ausgewogenheit verpflichtete Medium erklärt die Lohn- und Steuerpolitik der SPD für „gerecht“. Dann sind wohl alle Gegner dieser Politik Fans der schreienden Ungerechtigkeit. Wüsste ich es nicht besser, ich würde annehmen, dass Georg Restle Generalsekretär der Sozialdemokraten ist.
Aber Moment mal, regiert diese großartige Entlastungs- und Gerechtigkeitspartei namens SPD nicht schon ein Weilchen? Doch, eigentlich schon. Genau genommen hat sie seit 1998 nur vier Jahre nicht regiert. Wie kann es dann sein, dass Deutschland bei der Größenordnung des staatlichen Griffs ins Portemonnaie der Steuerzahler an der Weltspitze vorzufinden ist? Und wie kann die SPD nach Jahren der Mehrbelastung und des Status quo der gigantischen Abgabenlast eine Botschaft der Entlastung verkünden, die nicht etwa von sämtlichen Journalisten unter lautem Gelächter zerlegt, sondern von vielen – viel mehr als in einer Kolumne Platz finden können – kritiklos verbreitet wird?
Der Grund liegt in der politstrategisch genialen Trennung von Sozialabgaben und Steuern. Bis 2035 werden die Gesamtsozialversicherungsbeitragssätze, ein Wort so abstoßend wie die Leistungen der gesetzlichen Rente, auf bis zu 51,2 Prozent ansteigen. Derzeit liegen wir bei 41,1 Prozent. Fast 20 Prozent Erhöhung in nur 10 Jahren. Wir stehen vor dem Jahrzehnt der dramatischsten Abgabenlasterhöhung der bundesdeutschen Geschichte. Dazu kommt eine immer weiter steigende CO2-Steuer, für die es immer noch keinen Ausgleich gibt, auf dessen Realisierung ich auch keinen Cent wetten würde. Von politischen Zerstörungsfeldzügen wie bei Gebäudeenergiegesetzen und Stromverteuerungswenden mal ganz abgesehen, die natürlich ebenfalls für immense Belastungen der Bürger sorgen.
Deutschland gilt europaweit als ein absolut Hochsteuerland.
Im Jahr 2024 leben wir also in einem Höchststeuerland, in dem die Sozialabgaben, die Stromkosten, die CO₂-Steuer und die Sanierungskosten für Immobilien in den nächsten Jahren durch die Decke gehen werden. In der Situation nicht an die Wurzel der etlichen Übel zu gehen, sondern einen Entlastungswahlkampf mit reinem Stellschräubchengedrehe bei der Einkommensteuer zu machen, ist an Dreistigkeit kaum zu überbieten.
Wenn ich 100 Euro weniger Einkommensteuer, aber 300 Euro mehr Sozialabgaben und CO₂-Steuer zahle, werde ich unter dem Strich mehr belastet. Ich sehe keinen Unterschied, ob das Geld in einem Landeshaushalt, in einem Bundeshaushalt oder bei der Rentenversicherung landet. Ob das Raubinstrument Abgabe, Steuer, CO2-Preis oder Lilafeenstaub genannt wird, ist total egal. Das Geld geht letztendlich an den Staat. Es ist auf und davon, ich werde es im Zweifel nie wieder sehen. Die Trennung zwischen Sozialabgaben und Steuern ist deshalb denklogisch völlig hirnrissig.
Der Staat selbst sorgt schließlich nicht mal für eine klare Trennung zwischen den Sozialversicherungen und den Steuereinnahmen. Die Rentenversicherung wird jedes Jahr mit über 100 Milliarden Euro Steuergeldern bezuschusst und während Corona wurden der Pflegeversicherung etwa sechs Milliarden Euro entwendet, um Tests, Boni und Desinfektionsmaßnahmen zu finanzieren, um nur zwei Beispiele zu nennen.
Ein Plakat bei den Bauernprotesten im Januar fordert die sofortige Abschaffung der CO₂-Steuer.
Dass dieser Begriffs-Hokuspokus bei einem Normalbürger funktioniert, der sich maximal ein paar Minuten am Tag mit Politik beschäftigt: verständlich und verzeihbar. Dass die Verschleierungstaktik aber bei hochbezahlten, zu großen Teilen zwangsfinanzierten Journalisten, die sich den ganzen Tag mit Politik befassen, auf fruchtbaren Boden fällt, ist ein intellektuelles Armutszeugnis und eine Bankrotterklärung.
Wenn Georg Restles Monitor die Steuerpläne der SPD pauschal für „gerecht“ erklärt, wenn Caren Miosga kontextlos verbreitet, die Sozialdemokraten wollten die Mehrheit der Steuerzahler entlasten, wenn beide dabei die explodierenden Sozialabgaben und die sukzessiv steigende CO2-Steuer verschweigen, hat das nichts mehr mit Journalismus zu tun. Es ist distanzlose, zwangsfinanzierte Hofberichterstattung. Es ist parteipolitische Propagandaverbreitung. Es ist unvereinbar mit Journalismus im Allgemeinen und mit dem Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im Speziellen.
Niemand braucht Journalisten, die für die Parteizentralen Meldungen an die Bürger weitergeben. Wir brauchen Journalisten, die für die Bürger die Meldungen der Parteizentralen maximal kritisch hinterfragen. Selbstverständlich, wenn eine Partei etwas von Relevanz verkündet, kann das im ersten Moment ruhig so verbreitet werden, aber im zweiten Moment muss die Kritik Einzug halten. Bei den Beispielen Miosga und Restle war von der selbst im zehnten Moment nichts zu spüren.
Die SPD bedient sich eines Taschenspielertricks, um den Eindruck zu vermitteln, man entlaste Arbeitnehmer, so unser Autor Ben Brechtken.
Dabei wäre Kritik sowas von angebracht gewesen. Die umgekehrte Berichterstattung hätte die Realität besser beschrieben. Wer die Einkommensteuer für fast alle leicht senken, aber die Abgaben und indirekten Steuern für alle stark erhöhen will, ist nicht für Entlastung, sondern für Belastung. Steuern und Abgaben sind nur als Gesamtbild zu verstehen, eine isolierte Betrachtung führt in die Irre. Die SPD plant keine Entlastung für 95 Prozent. Die SPD ist verantwortlich für eine weltweit fast einzigartig hohe Belastung für alle und plant eine noch weiter steigende Belastung für alle in der nächsten Legislaturperiode. Sie will den Steuerzahlern etwas zurückgeben und ihnen an anderer Stelle doppelt so viel wegnehmen. Das ist die Wahrheit, die Berichterstattung verdient.
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